Die Erforschung von Selbstlernprozessen im fremdsprachendidaktischen Kontext steht im Mittelpunkt vieler Studien. Dabei handelt es sich sowohl um Selbstlernkurse mit analogen Medien (vgl. z. B. Lahaie 1995) als auch mit digitalen (Nandorf 20045; Würffel 20066; Schmidt 20077).
Während die Studien von Nandorf (2004), Würffel (2006) und Schmidt (2007) Lernende über einen längeren Zeitraum beim Selbstlernen begleiten und beobachten, handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um die Beobachtung eines deutlich kürzeren Lernprozesses, und zwar nur um die Untersuchung der ersten Begegnung mit dem Programm zum Grammatiklernen. Während dieser ersten Begegnung kann ein grammatisches Thema selbstständig entdeckt bzw. können Kenntnisse zum Thema durch die Regelformulierung systematisiert und in Übungen angewendet werden. In diesem Zusammenhang kann eine ausführliche Analyse einzelner Elemente des Lernprogramms – Multimodalität, Interaktivität, vorgesehene Aktivitäten etc. – zur Nachvollziehbarkeit kognitiver Prozesse bei der Bearbeitung des grammatischen Themas dienen. Darüber hinaus bearbeiteten alle Teilnehmenden dieselbe Einheit der Interaktiven Grammatik , somit erfolgte eine präzise Vergleichbarkeit der Lernwege einzelner Personen. Eine weitere Besonderheit der Teilnehmenden ist das Sprachniveau A im Deutschen, d. h. sowohl die Begegnung mit einem neuen Lernprogramm als auch eine selbstständige Auseinandersetzung mit sprachlichen Inhalten in der Anfängerstufe stehen im Vordergrund der Untersuchung. In Kapitel 6 werden weitere Unterschiede zu den genannten Studien hinsichtlich des triangulierenden Verfahrens bei der Datenauswertung aufgezeigt.
In digitale Lernangebote können unterschiedliche Medien – Texte, Audio und Bilder – integriert werden und somit die Wahrnehmung von Informationen über unterschiedliche Sinneskanäle ermöglichen (vgl. Kerres 2013: 168). Multimedia-Programmen wird eine Eigenschaft zugeschrieben, die andere Medien nicht leisten könnten: den Zugang zu Lerninhalten in textueller und auditiver Form zu ermöglichen (vgl. Grießhaber 2003: 32). Das bereits zu Kapitelbeginn erwähnte Sprachlabor ist in Form digitaler Audioaufzeichnungen und technisch auf höherem Niveau wiederbelebt (vgl. Freibichler 2000: 113). Die Einbindung mehrerer Medienarten wird auch von Ross als vorteilhaft bezeichnet; außerdem handelt es sich um eine günstige Handhabung (Ansteuerung, Bearbeitung, Abspielen etc.) digitalisierter Informationen (vgl. Ross 1997: 14), was Ende des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen sollte und heutzutage selbstverständlich scheint. Plass fasst einige potenzielle Vorteile des Multimediaeinsatzes beim Sprachenlernen zusammen. So können durch den Einsatz von Multimedia-Elementen der Realitätsbezug hergestellt und eine konstruktivistische1 Lernumgebung gestaltet werden. Informationen werden in unterschiedlichen Präsentationsformen dargestellt und damit kann der Cognitive Load Effect 2 entstehen. Durch die Einbindung von Multimedia-Elementen lassen sich Lernpräferenzen und individuelle Lernprozesse unterstützen und adaptive Lernumgebungen entwickeln (vgl. Plass 1999: 27). Auf der Grundlage lernpsychologischer Studien fasst Kerres Gestaltungsprinzipien von Text, Bild und Ton zusammen, wobei sie auch aus „kognitions- oder motivationspsychologischer Sicht“ widerlegt werden könnten (Kerres 2013: 170). Auch Weidenmann weist auf den Korrekturbedarf einiger „naiver“ Argumente für das Lernen mit Multimedia, wie Verbesserung des Behaltens durch die Einbindung mehrerer Kanäle, Motivation durch Abwechslung sowie Aktivierung von Lernenden durch Multimedia, hin. Er ist der Ansicht, dass mediale Angebote nicht nur durch die Kategorie Multimedia zu beschreiben, sondern „in Bezug auf alle drei Dimensionen – technisches Medium, Codierung und Modalität“ – zu analysieren sind (Weidenmann 2011: 85). Multimodale Präsentation kann zur intensiveren Verarbeitung von Lerninhalten führen und somit die Verfügbarkeit des Wissens verbessern. Durch Multicodierung3 und Multimodalität wird die Darstellung des Lerngegenstandes realitätsnah und multiperspektivisch ermöglicht und demzufolge werden das Interesse an Lerninhalten, die Entwicklung mentaler Modelle und die Anwendung des Wissens gefördert. Interaktive multimodale Lernprogramme bieten vielfältige Aktivitäten (vgl. ebd.). Auf die Rolle der Interaktivität wird in Kapitel 2.2 ausführlicher eingegangen.
Im Hinblick auf die Veränderung mediengestützter Informationen durch die Digitalisierung weist Mitschian darauf hin, dass Lernsoftware im Vergleich zu Printmedien, Tafel etc. neuere „Verbindungen zwischen Schrift und Bewegtbild, gesprochener Sprache mit Bildinformationen sowie zwischen geschriebener und gesprochener Sprache“ haben (Mitschian 2004b: 138). Dadurch stehen Lernenden nicht nur vielfältige und abwechslungsreiche Lernmaterialien zur Verfügung. Sie zeichnen sich mit Hilfe von Multicodierung und Multimodalität durch Authentizität aus (vgl. Schmidt 2007: 30). Als Beispiel dafür nennt Schmidt eine sinnvolle Einbindung verbaler und visueller Informationen, wie bspw. Programme zum Vokabellernen, in denen die Vokabel in geschriebener Form auch visuell und auditiv dargestellt wird (vgl. ebd.). Auch für das Grammatiklernen könnte eine multimodale Präsentation grammatischer Inhalte, die häufig abstrakt und schwer erlernbar scheinen, als Vorentlastung dienen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Darlegung von Lerninhalten durch Text und Bild für Lernende mit wenig Vorwissen lernunterstützend sein kann, wenn die Darlegung didaktisch sinnvoll aufbereitet wird. Da für die Interaktive Grammatik das Zusammenspiel sprachlicher und visueller Informationen im Vordergrund steht, folgt in Kapitel 3 eine intensive Auseinandersetzung mit den Potenzialen von Visualisierungen für das Grammatiklernen. Im Folgenden werden unterschiedliche Formen digitaler Materialien dargestellt.
Laut Grünewald bedeutet Lernsoftware Computerprogramme, „mit deren Hilfe Lernende sich eigenständig mit einem bestimmten Stoffgebiet vertraut machen können“ (Grünewald 2010: 188). Mitschian grenzt den Begriff Lernprogramm von Lernsoftware ab, in dem er den Lernprogrammterminus mit dem Programmcode in der Programmiersprache in Verbindung bringt. Darüber hinaus verbindet der Verfasser den Programmbegriff mit dem behavioristischen Ansatz, den er wegen strenger Vorgabe der Lernschritte als kritisch betrachtet. Die Lernsoftware sieht er als Oberbegriff für digitale Lernwerkzeuge und Lernmedien , dabei werden die Werkzeuge für die Erstellung, Bearbeitung, Speicherung oder Übertragung von Medien eingesetzt. Lernmedien übermitteln hingegen Lerninhalte (vgl. Mitschian 2004a: 14-15). Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Lernsoftware mit grammatischen Inhalten, die Lernwerkzeuge werden nicht näher betrachtet. Die Ausdifferenzierung von Lernsoftware und Lernprogrammen spielt aus fremdsprachendidaktischer Perspektive keine Rolle, daher werden sie im Folgenden synonym verwendet.
Die Unterscheidung zwischen Werkzeugen und Medien wird auch in die Typologien übernommen und weiter differenziert als authentisch adaptiert und methodisiert (vgl. Mitschian 2004a: 26; Würffel 2016: 388). Auf Grundlage der Kriterien nach Mitschian (2004a: 26) lässt sich die Interaktive Grammatik den methodisierten Lernmedien zuordnen: Das Lernprogramm gibt Inhalte und Intentionen sowie die Vorgehensweise zur Bearbeitung der Inhalte vor. Allerdings sind Verzweigungen nicht nur für eine Art der Bearbeitung vorprogrammiert, dadurch kann das Lernziel durch unterschiedliche Lernwege erreicht werden. Würffel unterscheidet die Medientypen auch in offline stationär, online stationär und mobil (2016: 388). Beispiele für methodisierte Medien sind
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