1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Eines der bekanntesten Modelle zur Beschreibung der Vorgänge beim Sprechen ist das von Levelt aus dem Jahr 1989. Es benennt vier Phasen, vier kognitive Hürden, die ein Sprachenlerner überwinden muss, wenn er eine Sprechabsicht in der Zielsprache realisieren möchte: conceptualization, formulation, articulation und self-monitoring (vgl. Levelt 1989, Skehan 2009, Field 2011).
In der Konzeptualisierungsphase entscheidet sich der Sprecher für ein Thema bzw. eine Idee, die er ausdrücken möchte. Die Effizienz wird wesentlich davon determiniert, ob es sich um völlig neue oder bereits bekannte Themen/Ideen handelt, die entsprechend im Langzeitgedächtnis gespeichert sind (vgl. Goh/Burns 2012: 37, Muranoi 2007).
Die Formulierungsphase bezieht sich auf die sprachliche Ebene. Die Ideen, die in der Konzeptualisierungsphase generiert wurden, werden nun bestimmten Wörtern im mentalen Lexikon des Sprechers zugeordnet. Goh und Burns beschreiben diese Phase als die herausforderndste im gesamten Sprechvorgang. Die Sprecher müssen eine Reihe von Entscheidungen treffen, daher ist sie auch überaus fehleranfällig. Es handelt sich um Entscheidungen auf mehreren sprachlichen Ebenen. Sie müssen die grammatikalischen Strukturen festlegen, die ihre Gedanken korrekt ausdrücken, auf lexikalischer Ebene die Bedeutungsnuancen zwischen vermeintlichen Synonymen unterscheiden, um die treffendsten Ausdrücke zu wählen und zudem auch den sozialen Kontext beachten, der wiederum die Angemessenheit gewählter Ausdrücke in der jeweiligen Diskurssituation festlegt (vgl. Goh/Burns 2012: 38).
In der nun folgenden Artikulationsphase setzen die Sprecher die zuvor mental konstruierten Ideen in konkrete Sprache um. Dies erfordert die Aktivierung mehrerer Sprechorgane (Lippen, Zunge, Lunge, Stimmbänder etc.). Auch wenn es sich hierbei um einen physiologischen Vorgang handelt, so ist auch diesem eine kognitive Komponente beizumessen. Schließlich gehört es ebenso zur Sprechkompetenz zu entscheiden, welche Betonungsnuancen schon zu Bedeutungsunterschieden führen (Minimalpaare) und welche Wörter im Kontext der gewählten Äußerung durch Betonung hervorzuheben sind (z.B. Fragen, Hervorhebungen). Zudem gilt eine korrekte Betonung häufig als Qualitätsmerkmal mit Blick auf die Sprechkompetenz und kann im Umkehrschluss dazu führen, dass Sprecher, die in der korrekten Betonung weniger sicher sind, eher zurückhaltend agieren und das Sprechen vermeiden (ibid).
Die letzte in Levelts Modell beschriebene Phase ist die der Selbstüberprüfung bzw. Selbstkorrektur (vgl. Levelt 1989). Sie folgt nicht linear den anderen drei Phasen, sondern ist diesen zwischengeschaltet. Das heißt, dass in jeder der oben genannten Phasen auch eine Selbstüberprüfung und gegebenenfalls Korrektur stattfinden kann. Ob dies der Fall ist und in welchem Umfang bzw. mit welcher Effektivität dies geschehen kann, hängt maßgeblich von dem metalinguistischen Wissen des Sprechers ab. Dieses umfasst sowohl Grammatik und Wortwahl wie auch die Kenntnis des sozialen Kontexts, in dem ein Diskurs stattfindet. Kompetente Sprecher reflektieren ihren eigenen Sprechprozess häufig und wählen ihre Worte auch unter Berücksichtigung der Kommunikationssituation sowie ihres Wissens über den Kommunikationspartner. Insbesondere Fremdsprachenlerner, die noch wenig Sicherheit beim Sprechen haben, können durch zu intensive Reflexionsphasen auch in negativer Weise beeinflusst werden, da sie sich zu sehr auf die Korrektheit ihrer Äußerung fokussieren und immer unsicherer werden (vgl. Goh/Burns 2012: 39).
Levelt selbst hat sein Modell weiter überarbeitet und liefert zehn Jahre später eine veränderte Version, in welcher die Konzeptualisierungsphase ausdifferenziert wird. Er unterschiedet nun in grammatical encoding, welches das mentale Konstruieren eines syntaktischen Rahmens und das Einfügen lexikalischer Bestandteile in die Äußerung umfasst, phonological encoding , in welchem die abstrakte Äußerung in phonologisch realisierbare sprachliche Strukturen umgewandelt wird und das phonetic encoding , in welchem schließlich die Laute in neuronale Informationen umgewandelt und an die Artikulatoren übermittelt werden (vgl. Levelt 1999). In diesen Modifikationen spiegeln sich vor allem die Erkenntnisse aus der Neurolinguistik, die das vorherige Modell, insbesondere die Prozesse während der Formulierungsphase, als zu einfach erscheinen lassen. Neben der Erkenntnis, dass Sprachproduktion ein psycholinguistisch komplexer Vorgang ist, liefert Levelts Modell auch Implikationen für die Fremdsprachenforschung. Es zeigt drei wichtige Informationsquellen auf, die die für die Sprachproduktion relevanten Informationen beinhalten: das mental lexicon zur Speicherung des Wortschatzes, das syllabary zur Speicherung der Informationen über Lautproduktion und der Übertragung von mentalen Konstrukten in konkrete Sprache, sowie den Speicher des world knowledge, welcher Grundlage der Konzeptualisierungsphase ist. Sprechkompetenzförderung muss so geschehen, dass alle Informationsspeicher bedient werden. Fehler in mündlichen Lernertexten lassen sich anhand dieser zuordnen und lernförderlich nutzbar machen, wenn bedacht wird, dass diese nicht nur in der Produktion entstehen, sondern manchmal bereits im Vorhinein, weil beispielsweise eine Aussage des Gesprächspartner inhaltlich oder sprachlich nicht verstanden wurde.
Field (2011) stellt heraus, dass dialogische Sprechaufgaben die Lernenden vor zwei kognitive Hürden stellen, die sie überwinden müssen. Zum einen vollziehe sich dialogisches Sprechen unter Zeitdruck. Im Vergleich zum Schreiben sei insbesondere die Planungs- und die Reflexionszeit verkürzt. Zum andere beschreibt er dialogisches Sprechen als reciprocal und bezieht sich auf das spontane Wechselspiel von Sprecherrolle und Zuhörerrolle innerhalb eines Gesprächs. Genau wie beim Schreiben müsse der Adressat die Intention des Gesagten und die Position des Gegenübers erkennen, anders als bei der Beantwortung von Mails und Briefen allerdings, geschieht dies dynamisch und erfordert eine schnellere und spontanere Reaktion. Zudem sei es möglich, dass sich die Position des Gegenübers im Verlauf des Gesprächs ändert und auch auf diese Entwicklungen spontan zu reagieren ist (Field 2011: 97).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sprachproduktion kognitiv anspruchsvoll ist und dass Aufgabenformate zur Förderung des Sprechens die kognitiven Anforderungen der Kompetenz berücksichtigen müssen. Insbesondere in der gymnasialen Oberstufe haben die Lernenden bereits Erfahrungen mit der Fremdsprache gesammelt und werden mit komplexeren und anspruchsvolleren Themen und Formaten konfrontiert. Ein Forschungsdesiderat liegt daher in der Betrachtung der Aufgabenkonzeption und -durchführung von Sprechformaten unter Berücksichtigung der psycholinguistischen Passung. Diese Studie liefert in diesem Zusammenhang neue Fallstudien und bezieht die Resultate aus der empirischen Analyse von Daten auf die bereits bekannten Erkenntnisse zurück.
2.5.2 Fluency, accuracy & complexity – Dimensionen der fremdsprachlichen Sprechleistung
Die Faktoren Flüssigkeit ( fluency ), Korrektheit ( accuracy ) und Komplexität ( complexity ) zählen zu den zentralen Kriterien bei der Beurteilung einer Sprechleistung. In diesem Zusammenhang sind sie für die fremdsprachendidaktische Forschung von herausragender Bedeutung und wurden in den letzten Dekaden multiperspektivisch untersucht (Laufer & Nation 1995, Foster & Skehan 1996, DeKeyser 1998, Skehan 1998, Segalowitz 2000, Derwing & Rossiter 2003, Yuan & Ellis 2003, Collentine 2004, Larsen-Freeman 2006, Mora 2006, Norris & Ortega 2009, Spada & Tomita 2010, Robinson 2011). Housen, Kuiken & Vedder heben hervor, dass der Begriff der Korrektheit derjenige sei, der die geringste definitorische Unschärfe aufweise (2012: 4). Hauptsächlich ließe sich mit accuracy der Grad bezeichnen, mit dem eine sprachliche Leistung von einer festgelegten Norm abweiche (ibid). Meist handelt es sich um Abweichungen von der Sprache des native speaker (Pallotti 2009).
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