1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Wie immer wieder betont, wird die Forcierung der Outputorientierung im Fremdsprachenunterricht der letzten 10 bis 15 Jahre im deutschsprachigen Kontext wesentlich vom GeR bestimmt und auch entsprechend kritisiert (vgl. u.a. Bausch et al. 2003). Die damit einhergehende Kompetenzorientierung im Unterricht wird jedoch interessanterweise nicht von allen als neu oder kritisierenswert eingeschätzt: Hilbert Meyer (2012) verweist vielmehr auf die über 100 Jahre alten Ansätze der Reformpädagogik und gesteht der aktuellen Kompetenzorientierung lediglich ein Alleinstellungsmerkmal bei der Definition und Beschreibung von Kompetenzstufen zu. Für den Fremdsprachenunterricht ist diese Leistung dem GeR und seinen Niveaubeschreibungen geschuldet.
Arbeitsaufträge und Diskussionsfragen
1 Wie schätzen Sie die Bedeutung des GeR für Ihre eigene Ausbildung und Ihr berufliches Umfeld ein?
2 Welcher Paradigmenwechsel im fremdsprachlichen Testen und Bewerten wird durch den GeR unterstützt? Führen Sie dafür mehrere Gründe an.
3 Welche Kritikpunkte werden gegenüber dem GeR angeführt? Wägen Sie diese ab, finden Sie Pro- und Kontra-Argumente und diskutieren Sie diese mit FachkollegInnen.
Weiterführende Literatur
Hulstijn, J.H. (2014): „The Common European Framework of Reference for Languages. A Challenge for Applied Linguistics“. In: International Journal of Applied Linguistics 165 (1), 3–18. Dieser Aufsatz verweist auf den Entstehungskontext des GeR und bezieht Originalaussagen jener Autoren mit ein, die den Weg für den GeR bereitet haben. Der Beitrag bietet auch für den schulischen Rahmen eine gute Kontextualisierung des GeR.
Kecker, G. (2016): „Der GeR als Referenzsystem für kompetenzorientiertes Testen. Was bedeutet der Bezug zum GeR für eine Sprachprüfung?“ In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 27 (1), 5–37. Der Beitrag berücksichtigt gezielt den deutschsprachigen Kontext und bietet differenzierte Einsichten in die Nutzung des GeR für das Testen und Überprüfen von Sprachen.
3. Die Rolle des Fehlers in der Aneignung von Sprachen
Barbara Hinger
Kann-Beschreibungen
Ich kann
die Rolle des Fehlers im Kontext der kommunikativen Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts erklären.
die Rolle des Fehlers in den Skalen und Deskriptoren des GeR (Europarat 2001) erläutern.
Unterschiede zwischen Kompetenz- und Performanzfehlern darlegen.
den Fehler als Teil der Lernersprache ( interlanguage ) erklären.
Möglichkeiten im Umgang mit Kompetenzfehlern im Fremdsprachenunterricht skizzieren.
Umsetzungsmöglichkeiten lernersprachensensiblen Überprüfens beschreiben.
Die Rolle des Fehlers in der Aneignung einer neuen Sprache wird von verschiedenen Blickwinkeln aus als positiv definiert. Dies bedingt eine tolerante Haltung Fehlern gegenüber und ist besonders augenfällig im kommunikativen Ansatz des Fremdsprachenunterrichts, in dem das Erreichen kommunikativer Absichten als übergeordnetes Ziel im Vordergrund steht: In diesem Sinne sollen Fehler dann korrigiert werden, wenn sie eine kommunikative Absicht beeinträchtigen; ist dies nicht der Fall, spielen Fehler eine untergeordnete Rolle. Die damit eingenommene pragmalinguistische PerspektivePositive Sichtweise auf den Fehler aus pragmalinguistischer Perspektive begründet die PositivkorrekturPositivkorrektur bei schriftlichen Arbeiten von Fremdsprachenlernenden und eine zurückhaltende Korrektur bei ihren mündlichen Äußerungen. Zu unterscheiden gilt es immer zwischen der Rolle von Fehlern bei Prüfungen oder in Testsituationen auf der einen und in Lernkontexten auf der anderen Seite. Im Folgenden wird zunächst Letzteres betrachtet und hinsichtlich des GeR (Europarat 2001) sowie der Forschung zur Lernersprachenentwicklung diskutiert. Anschließend wird auf die Rolle von Fehlern in Prüfungs- und Testkontexten eingegangen.
3.1 Fehler im Lernkontext
Im GeR beziehen sich die diversen Skalen und ihre Deskriptoren durchgehend auf das Erreichen kommunikativer Absichten. In diesem Sinne erläutern in der Globalskala und dem Selbstbeurteilungsraster (Europarat 2001, 3.3) positiv formulierte Kann-BeschreibungenKann-BeschreibungPositive Sicht auf Fehler im GeR die sprachliche Entwicklung von Lernenden. Der Begriff des Fehlers findet in diesen Skalen ebenso keine Erwähnung wie in den umfangreichen Skalen zu den verschiedenen sprachlichen Fertigkeiten. Anders gestaltet sich dies in jenen Beschreibungen, die die linguistischen Kompetenzen, Produktionsstrategien oder die sprachliche Korrektheit skalieren (s. dazu auch Kleppin 2006). So wird bei sprachlicher Korrektheit bis zur Niveaustufe C1, und damit bis zum Bereich der kompetenten Sprachverwendung, der Begriff Fehler explizit angeführt. Für die Niveaustufe C1 wird beschrieben: „Fehler sind selten, fallen kaum auf und werden in der Regel selbst korrigiert“ (Europarat 2001, 3.3, 37). Im Bereich der Produktionsstrategien für mündliche und schriftliche Sprachaktivitäten fließt der Verweis auf Fehler in der Skala zu „Kontrolle und Reparaturen“ bis inklusive der Niveaustufe B2 ein, für die es heißt:
Kann Versprecher oder Fehler normalerweise selbst korrigieren, wenn sie ihm/ihr bewusst werden. Kann eigene Fehler korrigieren, wenn sie zu Missverständnissen geführt haben. Kann sich seine Hauptfehler merken und sich beim Sprechen bewusst in Bezug auf diese Fehler kontrollieren. (Europarat 2001, 4.4.1.2, 70)
Im Bereich der sprachlichen Mittel, also bei Wortschatz und Grammatik, findet sich der Verweis auf Fehler bis inklusive Niveaustufe C1. So wird für die Wortschatzbeherrschung auf C1 festgehalten: „Gelegentliche kleinere Schnitzer, aber keine größeren Fehler im Wortgebrauch“ (ebd., 5.2.1.1, 113). Für die Wortschatzbeherrschung auf B2 gilt: „Die Genauigkeit in der Verwendung des Wortschatzes ist im Allgemeinen groß, obgleich einige Verwechslungen und falsche Wortwahl vorkommen, ohne jedoch die Kommunikation zu behindern“ (ebd.). Damit wiederum ist, wie bereits erwähnt, das Erreichen des Kommunikationsziels als prioritär ausgewiesen. Auch die Skala zur Grammatischen Korrektheit kennt einschließlich der Niveaustufe C1 den Fehler als Beschreibungskriterium: „Kann beständig ein hohes Maß an grammatischer Korrektheit beibehalten; Fehler sind selten und fallen kaum auf“ heißt es etwa auf Niveaustufe C1 (ebd., 5.2.1.2, 114). Demgegenüber wird auf Niveaustufe B2 von Fehlern gesprochen, die zu keinen Missverständnissen führen, womit also wiederum das Erreichen der kommunikativen Absicht respektive der Ansatz message before accuracy message before accuracy Message before accuracy : Die Erfüllung der kommunikativen Absicht steht im Vordergrund. ins Zentrum gerückt wird. Für die Niveaustufe B2+ wird davon ausgegangen, dass die Grammatik gut beherrscht wird, auch wenn „gelegentliche Ausrutscher oder nichtsystematische Fehler und kleinere Mängel im Satzbau […] vorkommen [können]“, die „aber selten [sind] und oft rückblickend korrigiert werden“ (ebd.). Was allerdings nichtsystematische Fehler sind, bleibt offen und wird nicht weiter definiert.
Auszugehen ist hier davon, dass – auch wenn der GeR seinen beschreibenden Skalen explizit keine spezifische Sprachtheorie, genauer Grammatiktheorie, zugrunde legt (Europarat 2001, 5.2.1.2) – der Begriff „nichtsystematischer Fehler“ auf den von der kognitiven Wende in der Sprachwissenschaft eingeleiteten Paradigmenwechsel verweist. Dieser bedingt als eine von mehreren Auswirkungen, dass erstmals sprachliche Äußerungen, die Lernende mündlich oder schriftlich auch tatsächlich produzieren, einer empirischen Analyse zugeführt werden. Bis dahin war es üblich, Fehler auf der Basis von sprachwissenschaftlichen Vergleichen zu betrachten, bei denen die Ausgangssprache von Lernenden mit der im Unterricht vermittelten Zielsprache kontrastiert wurde. Die neuen, als Fehleranalysen konzipierten empirischen Studien bezogen sich nun aber auf Fehler, die Lernende einer Fremdsprache tatsächlich begingen: Nachgewiesen wurde, dass in den Lerneräußerungen Fehler auftraten, die sowohl unabhängig von der Ausgangssprache der Lernenden als auch unabhängig von der angestrebten Zielsprache waren und als Teil eines sich entwickelnden, eigenen Sprachsystems begriffen werden konnten. Damit wurde gezeigt, dass die von Lernenden geäußerten Fehler nicht – oder besser nicht zur Gänze – auf der Grundlage einer sprachwissenschaftlich-strukturalistischen Vergleichsperspektive erklärt werden konnten. Für das sich entwickelnde Sprachsystem von Lernenden prägte Selinker (1972) schließlich den Begriff interlanguage interlanguage Wahrnehmung des Fehlers in der interlanguage als inhärenter Teil der lernersprachlichen Entwicklung. Der Begriff wird als Lernersprache, Interimssprache oder auch als Zwischensprache ins Deutsche übertragen und bezeichnet ein psycholinguistisches System, das den sprachlichen Weg beschreibt, den Lernende bei der Aneignung der jeweiligen Zielsprache durchlaufen. Unterschiedlichste – und einander oft diametral entgegengesetzte – theoretische Ansätze gehen dabei davon aus, dass Fehler wie etwa Übergeneralisierungen (z.B. goed anstelle von went in der englischen past tense ) inhärenter Teil der lernersprachlichen Entwicklung sind. Sie sind unausweichlich und bieten Einblicke in die Entwicklung der Lernersprache.
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