Frédéric Guillaume HAUCHECORNE, Lectures pour la jeunesse. Tome III. Première partie. Berlin: G. F. Starcke 1790, S. 123-125.
In der Ausgabe seiner Lectures pour la jeunesse von 1794 wird das Jahrals Tagebuchdargestellt und beginnt mit den bonnes résolutions des Kindes: „Janvier 1794: Résolutions d’un enfant sage en commençant l’année .“78 Wichtige Leitelemente der kindgemäßen philanthropischen Ideale werden aufgenommen:
Je viens de commencer une nouvelle année. Mes bons parensm’ont si tendrement embrassélorsque je leur présentai les vœux que j’avois fait en leur faveur; ils en faisoient de si ardents pour ma sagesse, & sembloient me dire que leur félicitéen tenant étroitement à la mienne dépendoit de mes efforts pour me conforter à leurs intentions paternelles; j’étois si touché en les embrassant moi même, je sentois dans ce moment combien je les aimois, combien il étoit important pour moi de m’abandonner à leur sage direction!Je veux maintenant mettre à profit l’impression que cette journée m’a faite, & tâcher d’être aussi heureux toute ma vie.Je veux me rappeler les bons avis qu’ils m’ont donné [sic] pour diriger mes résolutions. Je les relirai quelquefois pour ne pas en perdre le souvenir, & j’aurai la satisfaction de porter la joiedans le cœur de mes parens & la tranquillité la plus douce dans le mien.79
Verschiedene französische Gedichte sind den Prinzessinnen Luise und Friederike von Mecklenburg Strelitz und Ferdinand von Preußen, dem Neffen Friedrichs des Großen, gewidmet. Ein Lokalkoloritder preußischen Dorflandschaft wird durch eine Chanson pour un jour de naissance. Air: Les jeux d’amour et du village wiedergegeben. Hierbei wird wieder die Technik der Kontrafaktur benutzt:80 Auf eine damals allen bekannte Melodiewird ein neuer Text gesungenund so die Verbreitung des neuen Textserleichtert. Durch die drei Asteriskenkann jede Person individuell eingesetztund das Lied auch in der Klasse nach der Lektüre gesungenwerden. Der Text wurde vermutlich von einem Schüler vorgesungenund der Refrain im Chordann gemeinsamvon der gesamten Klasse:
Chantons, amis, chantons la fête
De l’amour & du sentiment.
Que ce soit le cœur qui nous prête
De sa voix le divin accent.
Le cœur est tout, pour ***
Elle fait grâce du talent ;
Offrons lui, pour présent unique
Les hommages du sentiment. (bis)81
Weitere Theaterstücke mit Chorsequenzenzu Ehren der königlichen Prinzessin Luise werden dargestellt und der Text zum Mitsingen abgedruckt.82 Es folgen speziell für Hauchecornes Schule inszenierte Komödien und Theaterstücke,die auch Stimmvariationen im Theaterspielder Schüler verlangen, oft werden auch Gedicht- und Liedelementeintegriert.83 Neben den von Hauchecorne aus dem Deutschen ins Französische übersetzten Fabeln findet man zur Illustration die französische Version der Fabeln der Moralisten Gellert, Hagedorn, Lichtwer und Gleim.84 Die Affinität zum friedlichen, glücklichen Dorflebenwird dargestellt in Jonival; ou, l’Enfant empressé à célébrer l’Anniversaire du Jour de Naissance de sa Mère; Divertissement. 85 In einer unterhaltsamen Parodie der bukolisch-akadischen Dichtung verschmelzen lyrisch-musikalische Elemente mit Dialogen zur Idealisierung des Hirtenlebens und werden in einer Art Mise en abyme in eine Theatersituation integriert. Es handelt sich also um Theater im Theaterfür das Schülertheater! Bekannte Fabelnund Gedichtewerden in die Rollenspiele integriert.In der fünften (und letzten) Szene kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler auf die Bühne und als Krönung tanzen alle den Schweizerischen Ranz des Vaches. 86 Als Form der Realiafügt Hauchecorne eine Klappkarte mit den Noten und Instrumenten (Kuhglocke und Cornemuse ) an und gibt in einer Fußnote dazu Rousseaus Erklärungen aus dem Dictionnaire de la musique wieder: „Air célèbre parmi les Suisses, & que leurs jeunes Bouviers jouent sur la Cornemuse en gardant le bétail dans les montagnes.“87 Hauchecorne übernimmt diesen Teil der Erklärung und fügt aus Rousseaus Artikel zur Musique hinzu: „Il est défendu sous peine de mort de le jouer dans leurs troupes, parce qu’il fait fondre en larmes, déserter ou mourir ceux qui l’entendent, tant il excite en eux l’ardent désir de revoir leur pays.“88 Rousseau unterstreicht hierbei die emotionale, identifizierende, memorisierendeund identitätsstiftende Funktion von Musik:
On chercheroit en vain dans cet Air les accents enérgiques capables de produire de si étonnants effets. Ces effets, qui n’ont aucun lieu sur les étrangers, ne viennent que de l’habitude, des souvenirs, de mille circonstances qui, retracées par cet Air à ceux qui l’entendent, & leur rappellant leur pays, leurs anciens plaisirs, leur jeunesse, & toutes leurs façons de vivre, excitent en eux une douleur amère d’avoir perdu tout cela. La Musique alors n’agit point précisément comme Musique, mais comme signe mémoratif.Cet Air, quoique toujours le même, ne produit plus aujourd’hui les mêmes effets qu’il produisoit ci-devant sur les Suisses; parce qu’ayant perdu le goût de leur première simplicité, ils ne regrettent plus quand on la leur rappelle. Tant il est vrai que ce n’est pas dans leur action physique qu’il faut chercher les plus grands effets des Sons sur le cœur humain.89
Diese detaillierte Beschreibung der Gebräuchedeckt sich mit Hauchecornes realienkundlicher Unterrichtskonzeption.90
I. 6. 2 Unterrichtsmethodische Entwicklungen bei den Philanthropen Wolke und Trapp
Christian Heinrich Wolke, der an Basedows Elementarwerk mitgearbeitet hat, ist neben Basedow ein weiterer wichtiger Vertreter der Philanthropen. Für Wolke steht, noch stärker als bei Basedow, der praktisch-spielerische Aspekt der Spracherlernungim Vordergrund. Grundlage des Anfangsunterrichts ist die naturgemäße Lehrmethode1, die eine Affinität zum muttersprachlichen Lernprozessaufweist. Für die Philanthropen erfolgt dieses imitative, nachahmende Lernendurch den bloßen Gebrauch2 und auf angenehme, natürliche und spielerische Weise.Das Spielim Unterricht ist für Basedow und Wolke zentral und bildet eine naturgemäße Form des Lernens.3 Dabei spielt die phonetisch-artikulatorische Komponenteeine elementare Rolle. Der Zweitspracherwerborientiert sich an der evolutiven Entwicklung des Erstspracherwerbs:
Man mache den Kindern nur Lust zur Aufmerksamkeit […]. Zuerst gewöhnt sich das Ohr zu den Tönen; hernach erhalten dieselben anfangs eine schwankende und etwas unrichtige, mit der Zeit aber eine festere und richtigere Bedeutung […]. Unterredet euch nur fleißig mit der Jugend von sinnlichen Dingen, die ihr angenehm sind; sorget nur, dass eine gewisse Anzahl Wörter in der ersten, eine andere in der zweiten Woche herrschen; alsdann wird die Fähigkeit, euch zu verstehen, unfehlbar anwachsen, die Jugend wird euch nachahmen wollen, besonders dann, wenn ihr sie für die geringste Bemühung rühmet.4
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