Tina schob meine Hand beiseite.
„Lass sie schlafen.”
„Es wird ein Mädchen?”, kreischte ich auf.
„Woher soll ich das wissen?”
Das fragte ich mich auch. Tina und ich gingen immer zusammen zu ihrer Gyn. Dort hielten sie uns schon für ein lesbisches Paar, das sich einen Samenspender genehmigt hatte.
„Warum sagst du es dann?”
„Nur so. Es fühlt sich persönlicher an.”
Aber Tina hatte keine Lust, weiter über unser Baby zu reden.
„Nach mehreren Monaten hat Jacob Morgan zum ersten Mal wieder in der Agentur angerufen. Zum Glück! Und zum Glück hatte ich Bürodienst. Und jetzt sag noch einmal, dass das kein Schicksal ist! Ich sage dir jetzt, wie ich das sehe, Emma: Der Mann hat gelitten wie ein Hund, weil du ihn hast abblitzen lassen. Du hast dem Mann, der wie Richard Gere in Pretty Woman hinter dir her gehetzt ist und dir sein Herz zu Füßen legte, das Messer ins Herz gerammt.”
„Abgesehen davon, dass ich kein Herz zu meinen Füßen sehe: Ich soll ihm den Todesstoß verpasst haben?”
„Wer denn sonst? Jedes Mal, wenn er hinter dir her telefoniert hat und du seine Anrufe weggedrückt hast, hast du ihm das Messer nochmal ins Herz gestoßen. Wieder, wieder und wieder …”
„Meinst du nicht, dass du übertreibst?”
„Wenn du nicht meine allerbeste Freundin wärst, der ich praktisch mein Leben zu verdanken habe, und wenn ich nicht wüsste, dass du diesem Mann jede Nacht und auch bei jeder anderen Gelegenheit nachheulst, hätte ich nur Mitleid mit ihm und nicht mit dir!”
„Du weißt, dass das nicht stimmt.”
„Sag mal, hältst du mich eigentlich für bescheuert? Meinst du, ich krieg es nicht mit, wenn du in deinem Zimmer heulst?”
„Das ist nicht wegen ihm.”
„Lüg nicht!”
„Ich heule um meine Karriere.”
„Für deine Karriere schreibst du Bewerbungen.”
„Das auch, aber nebenbei heule ich.”
„Klappe! Ich spreche jetzt ein Machtwort. Ich treffe diese Entscheidung für dich. Du hast da kein Wort mitzureden. Du fährst an diesem Wochenende nach Philadelphia und bringst das, was du kaputt gemacht hast, in Ordnung!“
Mit Verlaub, aber meine Freundin spinnte ja wohl! Vielleicht war mein Herz noch nicht auf dem Weg der Genesung, aber schlimmer werden konnte es nicht mehr. Also konnte es nur besser werden. Schlimmer wurde es nur, wenn ich den Mann wiedersah. Warum also sollte ich nach Philadelphia fahren und irgendwas in Ordnung bringen, was noch nie in Ordnung gewesen war. Was im Grunde genommen niemals existiert hatte?
„Was, wenn ich es nicht tue?“
„Dann, dann … Dann gebe ich dein Patenkind zur Adoption frei!“
Bartüren in Hotels, die zur Hälfte aus Glas bestanden, waren nicht die günstigsten Bauteile, um sich dahinter zu verstecken. Wenn dann noch alle drei Minuten ein Gast auf einen runter guckte, und fragte, ob er was für einen tun könne, sah man sich sehr bald nach einem anderen Aufenthaltsort um.
Das Problem war nur, das ich dann entweder hätte gehen oder die Bar betreten müssen. Da Gehen ausschied, weil es bedeutete zu kneifen, kauerte ich weiterhin hinter dem rechten Türflügel und drückte mir die Nase in der unteren rechten Ecke der Scheibe platt.
Da saß er. An der langen Seite des Tresens, der eine U-Form hatte. Ich erkannte nur ein Stück von seinem Rücken. Sein Barhocker stand etwas weiter nach hinten im Raum als die Sitzgelegenheiten der anderen. Er saß auch nicht ganz auf dem Hocker, sondern sein kleiner, muskulöser Knackarsch küsste die gepolsterte Sitzfläche und seine Beine berührten den Boden. An den angewinkelten Armen erkannte ich, dass er sein Glas mit beiden Händen hielt. Manchmal bewegte sich der rechte Ellbogen und sein dunkler Schopf nickte erst ein wenig, bevor er sich leicht in den Nacken legte. Das war der Moment, in dem er einen Schluck trank. Wein, nahm ich an, denn vor meinem inneren Auge erstand das Bild von dem Hasenessen am ersten Abend unserer Begegnung auf. Damals hatte er jede Menge davon getrunken.
Auf meinem Beobachtungsposten hätte ich Alkohol gebrauchen können. Ich war so ein Feigling. Nur noch ein paar Minuten , sagte ich mir, glaubte mir aber selbst nicht.
Andererseits sprach er mit der Frau, die neben ihm an der Bar hockte. Sollte ich in das Gespräch reinplatzen?
Ja, natürlich! Was denn sonst?, hörte ich Tinas Worte in meinem Ohr.
Gut, dass sie nicht bei mir war, sondern zu Hause auf dem Sofa lag und Babyzeitschriften studierte. Und auch gut, dass ich mein Handy abgeschaltet hatte.
Allein bei dem Gedanken, mich auf die Füße zu stellen, meine eingeschlafenen Beine aufzuwecken und in die Bar hinein zu marschieren, brach mir der kalte Schweiß aus.
Plötzlich legte sich eine zarte Hand auf meinen Rücken. Sie gehörte zu der Rezeptionistin.
War die Frau denn wahnsinnig geworden? Ich hätte an einem Herzinfarkt sterben können!
„Wir beobachten Sie schon eine Weile“, sagte sie und nickte in Richtung der Rezeption, wo zwei Kolleginnen und ein Kollege von ihr hinter dem Tresen standen und irgendwie vorwurfsvoll zu mir sahen.
Immerhin stand ich jetzt aufrecht.
„Ich weiß, dass sie mich beobachten“, gab ich zu und grinste schief. „Aber ich dachte, Hotelpersonal wäre immer diskret.“
„Natürlich. Verzeihen Sie. Wir dachten, Sie bräuchten eventuell etwas.“
Ja, den Tritt in den Arsch, den Sie mir soeben verpasst haben.
„Ich bin da drinnen mit jemandem verabredet. Danke, Sie haben mir sehr geholfen.“
Ich trampelte leicht von einem Fuß auf den anderen, um meine kribbelnden Beine unter Kontrolle zu bringen und griff nach der Klinke. Aber ob ich sie wirklich runter drückte?
„Gern geschehen“, sagte die Rezeptionistin, zwinkerte mir zu und schob ab.
Drei, zwei, eins ...
Die Ballerinas an meinen Füßen waren fast so bequem wie meine Sportschuhe. Und das Kleid, das eigentlich ein T-Shirt für adipöse Männer war, ließ mir reichlich Luft zum Atmen. Die brauchte ich auch. Bei dem, was mir bevorstand.
Warme Luft, geschwängert von Alkohol und Parfüm, schlug mir entgegen und der Lärmpegel war enorm. Doch ich fühlte mich, als hätte mir jemand eine Käseglocke übergestülpt. Mir war schwindelig und heiß, meine Beine kribbelten, als wären darin ganze Ameisenarmeen unterwegs.
Ich würde das hier nicht durchstehen. Am besten, ich senkte den Kopf und verschwand. Doch ich konnte nicht. Ich war unter meiner Käseglocke wie festgeschraubt und starrte durch das Glas zu Jacob, der sich umdrehte, als hätte er mich gerochen wie ein Löwe die lahme Hyäne.
Mich traf der Blitz, während er den Anschein erweckte, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich in meinen Schlabberklamotten hier auftauchte. Seine dunkle Haut, die hohen Wangenknochen, das schwarze Haar, das ich in unserer letzten Nacht mit meinen Händen durchgestrubbelt hatte, und das jetzt eng an seinen Kopf anlag, gaben meinem Herzen den Rest. Es hämmerte nicht mehr, es sprang durch den Raum, direkt in Jacobs Hände.
Ich musste wahnsinnig gewesen sein, als ich in den Flieger gestiegen war. Wie um alles in der Welt hatte ich es geschafft, seine Anrufe immer wieder wegzudrücken und meine Telefonnummer zu ändern?
Sein leibhaftiger Anblick knallte mich komplett aus den Puschen. Das durfte nicht wahr sein, welche Wirkung dieser Mann auf mich hatte. War das damals auch schon so gewesen?
Oder hatte ich mich in den vergangenen Monaten da reingesteigert?
Während ich wie angeschossen durch die Bar stolperte, direkt auf ihn zu, heftete ich meinen Blick auf den frisch gestutzten Bart.
Читать дальше