Offenbar.
Dieweil aber nun es durch Erfahrung, durch Einsicht und Begründung geschieht?
Notwendig, sagte er, wird dann das Wahrste sein, was der Freund des Wissens und der Begründung lobt.
Unter den drei Lüsten also wäre die jenes Seelenteiles, wodurch wir nach Wissen streben, die angenehmste, und das Leben dessen, in dem von uns Menschen jener wissbegierige Seelenteil das Regiment führt, auch das angenehmste?
Warum sollte es das nicht sein? meinte er. Als gebührender Lobredner schätzt er ja seine eigene Lebensweise.
Welcher Lebensweise aber, fragte ich weiter, und welcher Lust weist der Richter den zweiten Rang zu?
Offenbar dem des Kriegshelden und Ehrgierigen, denn es steht dem jenes Weisheitsliebenden näher als das des Geldgierigen.
Den allerletzten Rang also demzufolge die Lust des Gewinngierigen.
Wie anders? sagte er.
Dies wären also zwei Untersuchungen hintereinander, und zweimal hätte der Gerechte über den Ungerechten den Sieg davongetragen; zum dritten, zu guter Letzt, auf olympische Weise dem rettenden und olympischen Zeus die schuldige Dankspende weihend, sieh nun, dass die Lust der übrigen Menschenarten, das des Freundes des Wissens ausgenommen, gar keine echte, keine reine, sondern nur ein Schatten von Lust ist, wie ich von einem der Weisen gehört zu haben glaube. Und dies würde dann doch die größte und entscheidendste der Niederlagen sein.
Ja, freilich, aber was meinst du hiermit?
Ich werde ihn, sagte ich, auf folgende Weise finden, indem du durch Antworten zugleich suchen hilfst.
So frage denn! sagte er.
Nun, so antworte mir, sprach ich: Geben wir zu, dass Schmerz das Gegenteil von Lust sei?
Ja, sicher.
Auch weder Lust noch Schmerz zu haben, ist etwas?
Ja, freilich.
In der Mitte zwischen beiden eine gewisse Ruhe der Seele? Oder nennst du es nicht so?
Ja, sagte er.
Erinnerst du dich da nicht, fuhr ich fort, der Reden der Kranken, die sie im Munde führen, wenn sie krank darniederliegen?
Welcher Reden denn?
Wie doch nichts angenehmer wie die Gesundheit sei, ja vor ihrer Krankheit hätten sie gar nicht gewusst, dass die Gesundheit das Angenehmste sei.
Ja, sagte er, ich erinnere mich.
Auch die, welche von einem heftigen Schmerz befallen sind, hörst du sagen, dass nichts angenehmer sei, als wenn der Schmerz aufhört?
Ja.
Auch viele andere ähnliche Lagen der Menschen nimmst du wohl wahr, in welchen sie bei Schmerzen den schmerzlosen Zustand und die Ruhe hiervor als das angenehmste preisen, nicht die Lust.
Ja, sagte er, freilich, dieser Zustand, die Ruhe, ist dann angenehm und erwünscht.
Ferner, wenn andererseits einer aufhört, Freude zu empfinden, so wird ihm der Stillstand der Lust auch schmerzlich sein.
Allerdings, sagte er.
Was nach unserer Erklärung von vorhin in der Mitte von beiden lag, die Ruhe, das wird demnach zuweilen beides sein, Schmerz und Lust.
Ja, wie es scheint.
Ist es aber möglich, dass das, was keines von beiden ist, beides werde?
Ich meine, nicht.
Noch ein weiteres: Das Lustvolle wie das Schmerzliche sind doch bei ihrer Entstehung in der Seele eine Art von Bewegung, oder nicht?
Ja.
Der weder schmerzliche noch lustvolle Zustand, zeigte der sich nicht doch eben als Ruhe und in der Mitte von beiden befindlich?
Ja, freilich.
Kann es nun richtig sein, Schmerzlosigkeit für lustvoll zu halten und Lustlosigkeit für etwas Widerwärtiges? Keineswegs.
Dieser Mittelzustand, die Ruhe, fuhr ich fort, ist also nicht wirklich, sondern erscheint nur als eine Lust im Vergleich mit dem Schmerzlichen, und erscheint als etwas Schmerzliches im Vergleich mit dem Lustvollen, und bei diesen Erscheinungen gibt es nichts Gesundes, sondern nur ein eitles Gaukelspiel.
Ja, sagte er, wie wenigstens unsere Überlegung zeigt.
Damit du nicht, sagte ich weiter, noch etwa im Augenblick an der Meinung hängen bleibst, Lust und Schmerz hätten von Natur ihr Wesen darin, dass jenes im Aufhören von Schmerz und dieser im Aufhören von Lust bestehe, so schaue denn nun noch auf Lustvolles, das nicht aus Schmerzen entspringt!
Wohin denn soll ich schauen, fragte er, und welches meinst du?
Es gibt deren viele andere, erwiderte ich, besonders aber kannst du es sehen, wenn du die Lustempfindungen bei den Gerüchen in Betracht ziehen willst. Denn diese kommen einem ohne vorhergegangenen Schmerz plötzlich in erstaunlicher Stärke und hinterlassen, wenn sie aufhören, keinen Schmerz.
Ganz richtig, sagte er.
Demnach also dürfen wir uns nicht weismachen, Lust bestehe in Entledigung von Schmerz, auch nicht, Schmerz bestehe in Entledigung von Lust.
Nein, das dürfen wir nicht.
Aber, fuhr ich fort, von den mittels des Körpers der Seele mitgeteilten sogenannten Lüste sind freilich die meisten und größten von der eben erwähnten Art, nämlich nichts anderes als eine Befreiungen von Schmerzen.
Ja, freilich sind sie das.
Und nicht wahr, die vor dem Eintreten dieser aus Erwartung entstehenden Vorfreuden und Vorschmerzen verhalten sich ebenso?
Ebenso.
Weißt du nun, fuhr ich fort, wie die sämtlichen körperlichen Lüste beschaffen sind und womit sie die größte Ähnlichkeit haben?
Womit? fragte er.
Du bist doch, sagte ich, der herkömmlichen Meinung, dass es überall ein Oben, ein Unten und eine Mitte gibt?
O ja.
Glaubst du nun, es werde jemand, wenn er von Unten zur Mitte empor gebracht würde, etwas anderes meinen, als dass er nach Oben gebracht würde? Und wenn er in der Mitte stände und hinabschaute, woher er heraufgefahren ist, wird er anderswo sich zu befinden meinen als Oben, obwohl er das wahre Oben noch nicht gesehen hat?
Nein, wahrhaftig, antwortete er, bei Zeus, ich glaube nicht, dass er eine andere Meinung hat.
Und wenn er, sagte ich weiter, wieder nach Unten gebracht würde, so würde er auch glauben, nach Unten gebracht zu werden, und diesmal auch richtig glauben?
Ohne Zweifel.
Nicht wahr, jene Erfahrungen müsste er machen, weil er das wahre Oben, Mitten und Unten nicht kennt? Ja, offenbar.
Kann es dich noch wundern, wenn auch die des Wesens der Dinge Unkundigen überhaupt in vielen anderen Dingen unhaltbare Meinungen haben, insbesondere in Bezug auf Lust, Schmerz und das Mittelding zwischen ihnen, sich in einer Lage befinden, dass sie nur dann, wenn sie in das Schmerzliche versetzt werden, eine Wahrheit glauben und in der Tat Schmerz empfinden, dass sie aber, wenn sie von Schmerz in den Mittelzustand versetzt werden, den festen Glauben haben, sie seien zur Erfüllung und zur Lust gelangt, dass sie also aus Unerfahrenheit in der wahren Lust bei der Vergleichung der Schmerzlosigkeit mit dem Schmerze sich ebenso täuschen, wie es Leuten aus Unkenntnis mit der weißen Farbe geht, wenn sie graue gegen schwarze betrachten?
Nein, wahrhaftig, sagte er, ich kann mich nicht mehr wundern, ich würde es vielmehr wunderlich finden, wenn es nicht so wäre.
Bedenke die Sache, fuhr ich fort, nun noch aus folgendem Gesichtspunkte: Sind nicht Hunger und Durst eine gewisse Leere des Körpers?
Was denn sonst?
Und sind nicht Unwissenheit und Unverstand gleichfalls auch eine Leere in Bezug auf die Seele?
Ja, sicher.
Füllen würde sich also sowohl, wer Speise zu sich nimmt, als auch, wer Verstand bekommt?
Ohne Zweifel.
In welchem Falle hat aber nun das Füllen mehr Anspruch auf Wahrheit: wenn sie mit Sein von höherem Wert oder wenn sie mit Sein von minderem Wert geschieht?
Offenbar, wenn sie mit Sein von höherem Wert geschieht.
Welche von beiden Gebieten scheinen nun nach deiner Meinung des Seins von höherem Wert teilhaftig zu sein: etwa die wie Brot, Trank, Fleisch, überhaupt sämtliche leibliche Nahrung, oder das, was in sich begreift wahre Vorstellung, Wissenschaft, Vernunfteinsicht und überhaupt wiederum jede Tugend! Bilde aber dein Urteil hier auf folgende Weise: Das an das Unveränderliche, Unvergängliche und an die Wahrheit sich Haltende, das selbst so Beschaffene und in einem solchen Entstehende, ist das ein Sein von höherem Wert als das mit dem stets sich Verändernden und Vergänglichen Verwandte, selbst so Beschaffene und auch in einem solchen Entstehendes?
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