Ja, sagte er, das ist's allerdings.
Nicht wahr, sprach ich weiter, im Bürgerstande und ehe sie zum Herrscherthrone gelangen, zeigen die eben beschriebenen tyrannischen Menschen von folgender Art. Was ihren Umgang betrifft, so gehen sie entweder nur mit Schmeichlern und mit Leuten um, die immer bereit sind, auf ihre Winke zu warten, oder sie selbst, wenn sie etwas bedürfen, machen schmeichelnde Bücklinge und nehmen alle möglichen Freundschaftsmienen an, aber nach Durchsetzung ihres Planes stellen sie sich wieder fremd!
Ja, gar sehr zeigen sie diesen Charakter.
In ihrem ganzen Leben also leben sie mit niemandem je in wahrer Freundschaft, sondern sie bringen ihr ganzes Leben hin, indem sie über einen den Despoten spielen oder einem andren sklavisch kriechen. Wahre Freiheit und Freundschaft aber hat eine tyrannische Natur in ihrem Leben nicht gekostet.
Ja, allerdings.
Daher werden wir erstlich solche Leute ganz richtig als treulos bezeichnen dürfen?
Jawohl!
Ferner als ungerecht im höchsten Grade, falls unsere früheren Bestimmungen über das Wesen der Gerechtigkeit in Ordnung waren?
Und das waren sie doch, sagte er.
Lass uns also, fuhr ich fort, den Schlechtesten noch einmal zusammenfassen: sein Wesen besteht darin, dass er wachend so ist, wie der vorhin Beschriebene im Traume war.
Allerdings.
Und nicht wahr, dahin kommt es bei jenem, der von Geburt aus die größten Anlagen zu einem Tyrannen hat und auch auf den Thron einer Alleinherrschaft gelangt, und je längere Zeit er auf einem Tyrannenthrone sitzt, umso mehr wird er so werden?
Notwendig, antwortete Glaukon, der hier wieder das Wort nahm.
Wer sich, fuhr ich fort, als der Schlechteste gezeigt hat, zeigt sich an diesem nun auch, dass er der Unglückseligste ist? Ferner dass der, welcher am längsten auf einem Tyrannenthrone gesessen hat, auch am längsten der Unglückseligste war? Denn die große Menge hat hierüber auch eine große Menge anderer Ansichten.
Ja, sagte er, jene Fragen müssen notwendig bejaht werden.
Das ist doch, fragte ich nun, eine ausgemachte Wahrheit, dass der tyrannische Mensch dem tyrannisch beherrschten Staate ähnlich ist, das demokratische dem demokratisch verwalteten, und so weiter?
Ohne Zweifel.
Und daraus folgt der Satz: In welchem Verhältnisse ein Staat zu einem anderen hinsichtlich Tugend und Glückseligkeit steht, in demselben steht auch der einzelne Mensch zu einem anderen?
Allerdings.
In welchem Verhältnisse steht nun in Bezug auf Tugend ein tyrannisch beherrschter Staat zum königlich regierten, wie wir ihn in der ersten Beschreibung hingestellt haben?
Gerade in dem entgegengesetzten, erwiderte er, der eine ist der beste, der andere ist der schlechteste.
Ich will nicht fragen, fuhr ich fort, welchen von beiden du so und welchen du so nennst, denn es versteht sich von selbst, sondern ich frage jetzt nach ihrem Verhältnisse in Bezug auf Glückseligkeit und Unglückseligkeit. Lautet hier dein Urteil ebenso oder anders? Und lassen wir uns hier nicht bestechen durch den Anblick der einen Person des Tyrannen und der wenigen ihn umgeben, sondern bedenke, dass wir erst den gesamten Staat in Augenschein nehmen, ja dass wir in jeden Winkel desselben hinabsteigen müssen, und erst nach solchem Augenscheine dürfen wir unsere Meinung aussprechen!
Ja, sagte er, diese deine Aufforderung ist ganz am rechten Orte, und allen muss es klar sein, dass ein tyrannisch beherrschter Staat der unglücklichste, dagegen ein königlicher der glückseligste ist.
Es ist, sprach ich weiter, folglich auch am rechten Orte, wenn ich auch in Bezug auf die jenen beiden Staaten entsprechenden Menschen dieselbe Aufforderung tue und verlange, dass nur jener ein Urteil über sie fällen könne, der imstande ist, mit dem Blick seines Verstandes in das Gemüt eines Menschen einzudringen und da eine genaue Besichtigung anzustellen, und der nicht wie ein Kind beim äußeren Anblick sich bestechen lässt von der hohen Rolle der Tyrannen, die sie gegen die Außenwelt annehmen, sondern der den durchdringenden Blick eines reifen Verstandes hat? Wenn ich also meinte, wir alle müssten hierin auf denjenigen hören, der hier zu einem Urteil fähig ist, und der auch mit einer Tyrannen unter demselben Dach gewohnt hat und ihm zur Seite stand sowohl in seinen häuslichen Handlungen im Verhalten zu seinen Hausgenossen, wobei er am meisten von seinem theatralischen Pomp entblößt gesehen werden kann, als auch gleicherweise bei wichtiger Staatshandlungen, und wenn wir also einen Augenzeugen aller dieser Tatsachen den Urteilsspruch verkünden ließen, in welchem Verhältnisse der tyrannische Mensch in Bezug auf Glückseligkeit und Unglückseligkeit stände?
Ja, sagte er, auch diese Aufforderung würde an ihrem Orte sein.
Wäre es dir nun genehm, fuhr ich fort, wir stellten uns an, als gehörten wir zu den Richtern, die erstlich hierin zu einem Urteil fähig sind, und die auch mit solchen Menschen bereits Erfahrungen machten, damit wir einen haben, der auf unsere Fragen antworten kann?
Jawohl.
Wohlan denn, sprach ich weiter, und hilf mir, die dem Urteilsspruche vorauszuschickende genauere Untersuchung auf folgende Weise anstellen: Mit Erinnerung an die Ähnlichkeit des Staates und des einzelnen Menschen schaue bei ihnen jedesmal herüber und hinüber und berichte uns die Zustände jedes von beiden!
Welche Zustände denn? fragte er.
Wirst du erstlich, sagte ich, um mit dem Staate zu beginnen, dem tyrannisch beherrschten Staate Freiheit oder Knechtschaft beilegen?
Im höchsten Grade Knechtschaft, war seine Antwort.
Und doch kannst du in ihm Herren und Freie wahrnehmen.
Nur ganz Wenige sehe ich davon, sagte er, die Gesamtheit dagegen, darf man sagen, und der edelste Teil schmachtet in schmählicher und unseliger Knechtschaft.
Wenn nun, fuhr ich fort, ein einzelner Mensch diesem Staate ähnlich ist, muss in jenem nicht nach einer notwendigen Folge dasselbe Verhältnis statthaben? Muss nicht von Sklavensinn und Niederträchtigkeit seine Seele gebeugt sein, und müssen nicht jene Seelenbestandteile, die ursprünglich die edelsten waren, in Sklaverei sich befinden, während dagegen der geringste, schlechteste und tollste Teil über jene den Herrscherstab schwingt?
Ja, notwendig, sagte er.
Wie sieht es also aus? Wirst du die Eigenschaft der knechtischen Sklaverei oder die der Freiheit einer solchen Seele beilegen?
Ich meinerseits lege ihr die der knechtischen Sklaverei bei.
Der in Sklaverei und in Tyrannei sich befindende Staat kann außer dem am allerwenigsten tun, was er vernünftig will, nicht wahr?
Kein Zweifel.
Sonach wird auch die tyrannisch beherrschte Seele, wenn von der ganzen die Rede ist, am allerwenigsten tun können, was sie vernünftig wollen sollte, immer von einem Stachel fort getrieben, muss sie immer voll Schrecken und Reue sein.
Ja, das muss sie.
Zudem: Reich oder arm ist nach notwendiger Folge der tyrannisch beherrschte Staat?
Arm.
So muss demnach auch die tyrannisch beherrschte Seele immer arm und heißhungrig sein.
Ja, sagte er.
Ferner: Muss nicht der hier gemeinte Staat und der ihm entsprechende Mensch auch notwendig von Furcht erfüllt sein?
Ja, in hohem Grade.
Klagen, Seufzer, Tränen und Leid, wird man die wohl in einem anderen Staate häufiger antreffen? Keineswegs.
Was nun wieder den einzelnen Menschen anlangt, sind nach deiner Ansicht dergleichen Unheil in einem anderen häufiger vorhanden als bei dem, der vor Begierden und Liebschaften den Verstand verloren hat, nämlich bei dem tyrannischen?
Unmöglich, sagte er.
All dieses und dergleichen hast du also gesehen, glaube ich, als du den hier in Rede stehenden Staat unter den Staaten für den unseligsten erklärt?
Und nicht mit Recht? fragte er.
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