Vollkommen zutreffend, sagte er, beschreibst du die Entwicklung des tyrannischen Mannes.
Nicht wahr, fragte ich, daher heißt auch schon von alters her wegen dieser Eigenschaft Eros ein Tyrann?
Ja, sagte er, mag sein.
Und hat nicht, mein Lieber, fuhr ich fort, auch der Berauschte einen dem Tyrannen verwandten Sinn?
Freilich.
Und der Rasende und Verrückte erst sucht und hofft nicht nur über Menschen, sondern auch über Götter herrschen zu können?
Ja, sicher, erwiderte er.
Ein der tyrannischen Staatsverfassung ähnlicher Mensch, sprach ich weiter, entsteht aber erst vollständig, wenn es entweder durch angeborene Anlage oder durch Lebensweise oder durch beides trunksüchtig, ein Liebesnarr und irrsinnig geworden ist.
Ja, ganz richtig.
Was also die Entstehung eines tyrannischen Menschen anlangt, so geschieht sie offenbar auf die besagte Weise. Die andere Frage ist nun: Wie lebt er?
Dies, wie es im Spiele heißt, sollst du mir auch sagen, bemerkte er.
Nun denn, sagte ich, ich meine nämlich, hierauf werden bei ihnen Feste mit lustigen Umzügen, Gelagen, Freudenmädchen und alles dergleichen gehalten, wobei Eros als Tyrann im Innern wohnt und alles in der Seele beherrscht.
Notwendig, sagte er.
Werden nun nicht Tag und Nacht noch viele heftige Begierden daneben aufsprießen, die gar viel nötig haben? Viele freilich.
Wenn einige Einkünfte da sind, so werden sie also bald erschöpft sein?
Allerdings.
Und hernach gibt's offenbar Schulden und Vermögensveräußerungen?
Was denn sonst?
Wenn nun aber alles ausgeht, müssen da nicht die vielen heftigen eingenisteten Begierden ein Geschrei anfangen, und müssen diese Menschen dann nicht sowohl von den übrigen Begierden, als auch ganz besonders vom Eros, der alle übrigen wie seine Söldner anführt, wie von Stacheln getrieben wütend umher schwärmen und auskundschaften, wer etwas habe, dem man es mit List oder Gewalt abnehmen könne?
Ja, sagte er, ganz gewiss.
Notwendigerweise müssen sie also von überall her zusammenraffen, oder sie werden von schrecklichen Schmerzen und Wehen geplagt.
Ja, notwendig.
Wie nun bei jenem tyrannischen Menschen die neu hinzugekommenen Lüste vor den alten den Vorzug haben und ihnen das Ihrige entreißen wollten, wird nicht ebenso auch er selbst kein Bedenken tragen, vor Vater und Mutter, obwohl er jünger ist, den Vorrang zu haben und sie berauben zu wollen, nachdem er sein Erbteil, das er sich hatte geben lassen, durchgebracht hat?
Ja, ohne Zweifel, sagte er.
Wenn die Eltern es ihm aber nun nicht gestatten sollten, so würde er erstlich den Versuch machen, seine Eltern zu bestehlen und zu betrügen?
Auf alle Weise.
Wenn er es aber nicht vermöchte, so würde er hierauf sie plündern und mit Gewalt berauben?
Ja, ich glaube es, sagte er.
Wenn aber nun der alte Mann und die alte Frau sich ihm entgegenstellten und zur Wehr setzten, würde er da wohl, mein Bester, Scheu und Mäßigung haben, um keine der ärgsten Tyrannenhandlungen zu verüben?
Ich meinerseits, antwortete er, prophezeie den Eltern eines Solchen gar nichts Gutes.
Nun, bei Zeus, Adeimantos, hältst du gar einen solchen für fähig, dass er wegen einer erst kürzlich ihm befreundeten Geliebten, an die er gar nicht durch enge Bande gebunden ist, seine längst befreundete und durch die Natur mit ihm verbundene Mutter, oder wegen eines erst kürzlich befreundeten und gar nicht mit ihm durch ein enges Band verbundenen jugendlichen Lieblings seinen altersschwachen und durch die Natur mit ihm verbundenen Vater, den ältesten seiner Freunde, mit Schlägen misshandelt und sie jenen dienstbar macht, wenn er sie in demselben Hause zusammengebracht haben sollte?
Ja, bei Zeus, sagte er, ich halte ihn dessen fähig.
Eine ungeheuer große Glückseligkeit, sagte ich, ist es also, wenn man einen tyrannischen Sohn erzeugt hat!
Ja, sagte er, eine gewaltige!
Und wie weiter? Wenn nun das Vater und Mutter gehörige Vermögen einem solchen Menschen ausgeht, dabei aber der Schwarm der Lüste in ihm sich ungeheuer groß angesammelt hat, wird er da nicht zuerst an einem Hause einbrechen oder einem zur Nachtzeit späten Spaziergänger nach dem Mantel greifen und nach diesen Anfängen später einen Tempel gründlich ausräumen? Und während aller dieser Verbrechen werden nun natürlich von seinen erst neulich aus der Zucht entkommenen und die Leibwache des Eros bildenden Begierden mit dessen Hilfe jene von Kindheit über Sittlichkeit und Unsittlichkeit auf guten Glauben sich angeeigneten Lehren, an denen er bisher noch hielt, überwunden, von ihnen, die früher sich nur im Traume während des Schlafes freimachten, als ihr Inhaber noch unter sittlichen Gesetzen und unter seinem Vater mit einer noch demokratischen Verfassung seines Inneren lebte. Aber nachdem von Eros seine Seele eine tyrannische Verfassung erhalten hat, wird er nun wirklich wachend immerfort so ruchlos, wie er früher selten im Traum war, wird er sich keiner gräulichen Mordtat, keiner Gaumenbefriedigung und keiner Schandtat enthalten, es lebt ja in seinem Inneren tyrannisch der Eros in aller Zügel- und Gesetzlosigkeit, und da er allein zur absoluten Herrschaft gelangt ist, so wird er den von ihm besessenen Menschen, wie der Tyrann einen Staat, zu jedwedem Wagnis führen, um daher sich selbst sowohl wie den lärmenden Schwarm, der ihn umgibt, unterhalten zu können, sowohl den infolge schlechten Umgangs von außen eingedrungenen als auch den in seinem Inneren ursprünglich vorhandenen, die aber erst von eben solchen schlechten Sitten und von ihm selbst losgelassen und entfesselt wurden. Oder ist dies nicht das Leben solcher Menschen?
Ja, sagte er, das ist es.
Wenn nun, fuhr ich fort, nur wenige von solchem Schlage in einem Staate sich befinden und die übrige Bevölkerung ein vernünftig sittliches Leben führt, so werden sie auswandern und bei einem anderen Tyrannen Leibwächter werden oder als Hilfstruppen sich verdingen, falls Krieg wäre, wenn sie aber in einer ruhigen Friedenszeit leben, so richten sie natürlich daheim in ihrem Staate mancherlei kleine Übel an.
Was für welche meinst du denn?
Zum Beispiel Diebstähle, Einbrüche, Beutelschneidereien, Kleiderplünderei, Tempelraub und Seelenverkäufereien. Bisweilen auch werden sie, wenn sie Fertigkeit der Rede haben, sich zu hinterlistigen und bösartigen Anklagen, zu falschen Zeugnissen, zu Bestechungen hergeben.
Nur klein, sagte er, kannst du die Übel nennen, wenn dergleichen Leute nur wenige sein sollten!
Ja, sagte ich, allerdings sind die klein genannten Übel im Vergleich zu großen klein, und alle die hier aufgezählten Übel reichen bekanntlich, wenn sie neben das einem Staate von einem wirklichen Tyrannen zugefügte Verderbnis und Elend gestellt werden, letzterem, wie man zu sagen pflegt, kaum das Wasser. Denn wenn viele von solchem Schlag in einem Staate da sind und viele andere auch sich ihnen zugesellen, und wenn diese dann sich als die Mehrzahl fühlen, so sind sie es dann sicherlich, die mit Hilfe des Unverstandes des gemeinen Volkes den Tyrannen erzeugen, und zwar denjenigen, der ganz besonders den größten und stärksten Tyrannen von Leidenschaft in seiner Seele trägt.
Natürlich wohl, sagte er, denn er ist zum wirklichen Tyrannen am besten gemacht.
Wohl, falls sich die Leute nämlich gutwillig unterwerfen, wenn es aber seine Mitbürgerschaft nicht zugeben sollte, so wird er, wie er vormals Mutter und Vater Gewalt antat, so auch hier wiederum sein Vaterland, falls er es vermag, sich mit Gewalt unterwürfig machen, indem er sich noch neue Helfershelfer zu den vorigen dazu erwirbt, und er wird nun das ihm längst befreundete Mutterland und Vaterland , wie die Kreter sich ausdrücken, im Zustande der Sklaverei halten. Und das wäre denn das endliche Ziel der Begehrlichkeit eines solchen Menschen.
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