Was sagst du hiermit, fragte ich. Wird denn der Tyrann sich erfrechen, gegen seinen ,Vater’ Gewalt zu brauchen und, wenn er ihm nicht gehorcht, ihn züchtigen?
Ja freilich, erwiderte er, und zwar nachdem er ihm die Waffen abgenommen hat.
Für einen Vatermörder, fuhr ich fort, für einen Wüterich gegen hilfloses Alter erklärst du also den Tyrannen, und mit diesem Worte wäre endlich nun die Eigenschaft einer Tyrannenstaatsverfassung ausgedrückt! Und das Volk wäre, wie es im Sprichworte heißt, aus einer Dienstbarkeit unter Freien
aus Scheu vor dem Rauche in das Feuer
einer Despotie unter Sklavenseelen geraten, hätte statt jenes gehofften herrlichen und weiten Gewandes der Freiheit das unerträglichste und schlimmste Kleid der Knechtschaft der Sklaven angezogen.
Ja, sagte er, sicher stellen sich diese Früchte ein.
Was nun noch weiter? fragte ich. Wird es eine Ungereimtheit sein, wenn wir behaupten, zur Genüge dargestellt zu haben erstlich die Entstehungsweise der Tyrannis aus der Demokratie, und dann ihr Wesen nach ihrer Entstehung?
Ja, erwiderte er, sie sind zur Genüge dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
Es wäre also, fuhr ich fort, nur noch der tyrannische Mensch zu betrachten übrig, nämlich, wie er sich aus dem demokratischen entwickelt, welches Wesen er nach abgeschlossener Entwicklung hat und auf welche Weise er lebt, elend oder glückselig.
Ja, sagte er, diese Betrachtung ist noch übrig.
Weißt du, fragte ich, was ich da nun vorher noch vermisse?
Was denn?
Hinsichtlich der Begierden scheinen wir die Frage über ihre Art und Zahl noch nicht gründlich genug erörtert zu haben. Ist diese Erörterung nun mangelhaft, so wird die Untersuchung der noch vorliegenden Frage etwas unsicher sein.
Ich soll sie also nicht einfordern, fragte er, die erwartete Antwort?
Durchaus, betrachte aber die Seite, die ich an ihnen zuvor ins Auge fassen will, sie ist aber folgende: Unter die vorhin genannten nicht notwendigen Lüste und Begierden scheinen mir einige zu gehören, die jedem sittlichen Gesetze zu widerstreben scheinen. Jeder Mensch zwar ist nun der Gefahr ausgesetzt, solche Begierden in sich zu haben, aber von den Gesetzen sowohl wie von den besseren Begierden mittels Vernunft in Zucht gehalten, verschwinden sie bei einigen Menschen entweder gänzlich oder bleiben nur in geringer Zahl und geschwächt, bei anderen dagegen erscheinen sie in größerer Kraft und Zahl.
Aber was meinst du denn für welche, fragte er, unter den hier angedeuteten Lüsten?
Die, antwortete ich, welche während des Schlafes zu erwachen pflegen, wenn nämlich einerseits der eine Bestandteil der Seele, der Vernunft, Gesittung und Beherrschung jenes begehrlichen Teiles in sich begreift, im Schlafe liegt, und wenn andrerseits der tierische und wilde Teil der Seele, von Speise oder Trank angefüllt, sich bäumt und nach Abschütteln des Schlafes durchzugehen und seine Triebe zu befriedigen sucht. Du weißt, dass letzterer dann in solchem Zustande sich alle möglichen Dinge erlaubt, weil er nun aller Scham und Vernunft los und ledig ist. Denn er trägt kein Bedenken, sowohl seiner Mutter, wie er wähnt, beizuwohnen, als auch jedem anderen Gegenstand seiner Lust, sei es Gott, Mensch oder Tier, er trägt kein Bedenken, sich mit jeder Blutschuld zu beladen, jede Befriedigung seines Gaumens sich zu erlauben, mit einem Worte, weder vor einem Unverstande noch vor einer Unverschämtheit zurückzubleiben.
Wahr ist deine Beschreibung, sagte er.
Wenn dagegen jemand, denke ich, sich in Bezug auf sein Inneres in gesundem und besonnenem Zustande befindet und sich zu Bett begibt, nachdem er den vernünftigen Teil seiner Seele geweckt, ihn mit schönen Gedanken und Betrachtungen genährt hat und zu stiller Selbstprüfung gekommen ist, und dann nachdem er den begehrlichen Teil seiner Seele weder dem Mangel noch der Völlerei überlassen hat, damit er sich ruhig verhält und damit er dem edelsten Seelenbestandteile keine Unruhe verursacht durch ausgelassene Freude oder Kummer, dass er im Gegenteil diesen ganz für sich allein und von allem Körperlichen gesondert betrachten, erstreben und wahrnehmen lässt, was er noch nicht weiß, beziehe es sich nun entweder auf die Vergangenheit oder auf die Gegenwart oder auf die Zukunft; nachdem, er drittens ebenso den zornmütigen Seelenteil gedämpft und nicht etwa vorher mit irgendwelchen Personen in Zornausbrüche geraten ist und mit aufgeregtem Gemüte einschläft, sondern nach Beruhigung der zwei niederen Seelenbestandteile und nach Weckung des edlen dritten, bei dem sich das Denken befindet, zur Ruhe geh, so weißt du, dass der Mensch in diesem Zustande nicht nur am besten die Wahrheit erfasst, sondern dass auch dann die Traumgesichter am wenigsten unsittlich erscheinen.
Ganz vollkommen bin ich allerdings dieser Meinung, sagte er.
Diese letzteren Sätze haben wir indessen als eine Abschweifung vorzutragen uns verleiten lassen, was ich aber tiefer einsehen wollte, ist das: Eine heftige, wilde und unbändige Gattung von Begierden gibt es bei jedem von uns Menschen, wenn auch manche gar ordentliche Leute zu sein scheinen, und hiervon haben wir dem Gesagten zufolge den offenbaren Beweis in den Träumen. Ob ich hiermit eine Wahrheit sage und ob du meiner Behauptung beitreten kannst, überlege.
Ja, ich trete ihr bei.
Stelle dir nun noch einmal den nach der Demokratie geartete Menschen vor, welche Eigenschaften wir ihm zusprachen. Er entstand demnach dadurch, dass er von Jugend an von einem sparsüchtigen Vater erzogen wurde, der allein die auf den Erwerb gerichteten Begierden schätzte, dagegen die nicht notwendigen und nur auf Vergnügen und äußere Pracht gehenden für nichts achtete, nicht wahr?
Ja.
Nachdem er aber mit vornehmeren und von den eben beschriebenen Begierden erfüllten Männern zusammengekommen war und aus Hass gegen die Knauserei seines Vaters sich allem Frevelmut und der Lebensweise jener überlassen hatte, aber im Besitze einer besseren Anlage als seine Verführer, nach beiden Seiten hingezogen wurde, so stand er in der Mitte beider Lebensweisen, und alles, wonach er jedesmal Lust hatte, maßvoll versteht sich, wie er es damals meinte, genießend, führt er weder ein schmutziges noch ein alle Gesetze verachtendes Leben und ist so aus einem der Oligarchie verwandten Menschen ein der Demokratie ähnlicher geworden.
Ja, sagte er, das war und ist unsere Ansicht über einen Solchen.
Stelle dir nun, fuhr ich fort, von einem Solchen, wenn er bereits älter geworden ist, wiederum einen Sohn vor, der ebenso in dessen Sitten erzogen ist!
Ich tue es.
Nun, so nimm auch an, dass dieselben vorhin erwähnten Verführungen um ihn sich wiederholen, in die auch seinen Vater hineingeführt wurde, dass er zu jeder gesetzwidrigen Zügellosigkeit sich hinreißen lasse, was aber von seinen Anführern nur Freiheit geheißen wird, dass jenen die Mitte haltenden Begierden der Vater und die übrigen Verwandten noch einigen Beistand leisten, dass andererseits jene Verführer dagegen agieren, dass endlich jene gewaltigen Verzauberer und Tyrannenfabrikanten, falls sie auf andere Art den jungen Menschen nicht mehr in ihren Fesseln zu halten hoffen können, ihm durch Intrige eine Liebschaft beibrächten, die dann die Vorsteherin der faulen und das Vermögen nur verwirtschaftenden Begierden ist, eine recht geflügelte und große Drohne, oder glaubst du, dass die Liebesbegierden solcher Leute etwas anderes sei?
Meines Bedünkens, sagte er, nichts anderes als dies.
Wenn dann die übrigen Begierden diese Leidenschaft mit wohlriechenden Düften, Salben, Kränzen, Wein und den in solchen Gesellschaften ausgelassenen Vergnügungen umschwirren, und wenn sie diese nicht nur bis aufs höchste steigern und stärken, sondern dieser Drohne noch den Stachel der Sehnsucht einsetzen, dann hat dieser Vorsteher der Seele schon eine Leibwache an der Unvernunft und tobt. Und wenn er etwa noch einige früher auf guten Glauben angenommene gute und noch Scham empfindende Empfindungen und Gefühle in seinem Inneren ertappen sollte, so erwürgt er sie teils, teils verbannt er sie aus seinem Inneren, bis er sich von der die Begierden im Zaume haltenden Besonnenheit gereinigt, dafür aber mit selbstverschuldetem Wahnsinn angefüllt hat.
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