»War ich«, überlegte er, »ganz einfach ein aufgelegter verdammter Trottel?
»Jim hat mich gewarnt und mir gesagt, wenn sie mich erwischen, werd' ich den Kopf verlieren.
»Jetzt werd' ich wohl nicht einmal mehr rauchen können, ohne in die Hölle zu kommen.«
Aber er wollte rauchen. Gerade jetzt!
Er rauchte.
Es tröstete ihn nur wenig, während er sich weiter ärgerte:
»Es war aber kein Schwindel dabei! Ich hab' wirklich alle diese verdammten blödsinnigen Sünden bereut. Und auch das Rauchen – ich werd' damit Schluß machen. Ich hab's gefühlt, das – den Frieden Gottes.
»Aber werd' ich auch dabei bleiben können? Herr Jesus! Ich kann's nicht! Nie einen Schluck trinken, oder sonst was –
»Ich möcht' wissen, ob der Heilige Geist wirklich da war und über mich gekommen ist? Mir war ganz anders! Wahrhaftig! Oder war das nur, weil Judson und Ma und alle diese Heiligen solchen Krach gemacht haben –
»Jud Roberts hat mich in die Sache hereingefoppt. Mit der ganzen großen Brudersache. Wahrscheinlich macht er die Tour überall wo er hinkommt. Jim wird behaupten, ich – ach, zum Teufel mit Jim auch! Ich hab' doch noch gewisse Rechte! Geht ihn gar nichts an, wenn ich meinen Glauben bekenn' und das einzig Richtige mach'! Und sie haben zu mir aufgesehen, wie ich sie eingeladen hab'! Blendend fein ist es gegangen! Und der Kaffer ist richtig raufgekommen und gerettet worden. Verflucht wenige haben so schnell nach ihrer eigenen Bekehrung eine Bekehrung hingelegt wie ich! Moody vielleicht, oder überhaupt keiner! Das ist bestimmt ein neuer Rekord! Jawohl, vielleicht haben sie recht. Vielleicht hat der Herr irgend 'ne großartige Verwendung für mich, obwohl ich nicht immer ganz so gewesen bin, wie ich hätte sein können … In manchen Dingen … Aber ich war nie gemein oder schlecht oder irgend so was wie … Ich hab' mich nur unterhalten.«
»Jim – was für ein Recht hat er denn, mir zu sagen, wohin ich gehen soll? Das Malheur mit ihm ist, daß er glaubt, er weiß alles. Ich glaub', die gescheiten alten Bonzen, die alle die Bücher über die Bibel geschrieben haben, ich glaub', die werden doch noch bißchen mehr wissen als 'n superkluger Kansas-Agnostiker!«
»Jawohl! Alle miteinander! Angeschaut haben sie mich, als ob ich 'n amerikanischer Champion-Prediger wär'!«
»Wär' gar nicht so schlecht, Prediger zu sein, wenn man 'ne große Kirche hat und – viel leichter als an Prozessen herumzupopeln und sie 'ner Jury übergeben zu müssen, und dann kann 'n anderer Anwalt geschickter sein als man selber.«
»Die Leute müssen fressen, was man ihnen von der Kanzel sagt, da gibt's keine Widerreden oder Kreuzverhöre!«
Ein zweites Mal lachte er, aber:
»Nicht hübsch, so zu reden. Auch wenn einer nicht selber tut, was recht ist, so ist das noch keine Entschuldigung dafür, Leute auszulachen, die 's tun, wie Prediger … Da liegt bei Jim der Fehler.«
»Ich bin nicht würdig, Prediger zu sein. Aber wenn Jim Lefferts auch nur eine einzige Sekunde meint, daß ich Angst davor hab', Prediger zu werden, weil er 'ne Menge Blödsinn daherredet – ich glaub', ich weiß am besten, wie mir war, wie ich aufgestanden bin und die ganzen Leute gerufen und sich gefreut haben – ich glaub', ich weiß am besten, ob ich 'ne Erweckung durchgemacht hab' oder nicht! Und ich brauch' auch gar keinen James Blaine Lefferts, der mir das sagt!«
So ging es eine ganze Stunde auf dem erschöpfenden Weg weiter; bald war ihm kälter vom Zweifeln als vom Präriewind, bald gewann er sich wieder ein wenig von der Verzückung seines geistlichen Abenteuers wieder, aber immer hatte er vor Augen, daß er einem unerbittlichen Jim Rede stehen müßte.
Es war nach eins. Sicherlich würde Jim schon schlafen, und am nächsten Tag konnte ein Wunder geschehen. Der Morgen verspricht immer Wunder.
Behutsam öffnete er die Tür, sie mit vorsichtiger Hand festhaltend. Auf dem Waschtisch neben Jims Bett war Licht, aber es war eine kleine, heruntergeschraubte Petroleumlampe. Er ging auf den Zehenspitzen hinein, seine Schuhe knarrten fürchterlich.
Plötzlich setzte Jim sich auf und drehte den Docht höher. Er hatte eine rote Nase und rote Augen und hustete. Er starrte, und regungslos, vom Tisch, starrte Elmer zurück.
Mit einemmal redete Jim:
»Du Lumpenhund! Du hast's also doch gemacht! Du bist gerettet worden! Du hast dich dazu bemogeln lassen, ein baptistischer Medizinmann zu werden! Ich bin fertig! Von mir aus kannst du – in den Himmel gehn!«
»Ach, geh, Jim, hör doch!«
»Ich hab' genug gehört. Ich will auch gar nichts mehr sagen. Und jetzt hör' du mich an!« sagte Jim und redete sich drei Minuten lang voll Feuer alles vom Herzen. Den größten Teil der Nacht kämpften sie um die Freiheit von Elmers Seele, wobei Jim nie ganz unterlag und doch nicht siegte. Wie Jims Gesicht bei dem Meeting zwischen ihm und dem Evangelisten geschwebt und die Vision vom Kreuze ausgelöscht hatte, so hingen jetzt seiner Mutter und Judsons Gesichter bekümmert und verschwommen vor ihm, ein Schleier vor Jims Plädieren.
Elmer schlief vier Stunden und ging dann aus, vor Müdigkeit taumelnd, um Zimtkuchen, ein Sandwich und ein Kännchen dünnen Kaffee für Jims Frühstück zu holen. Sie stritten stürmisch weiter, Jim ein wenig hartnäckiger, Elmer immer gereizter, als kein geringerer Würdenträger als der Rektor, Rev. Dr. Willoughby Quarles, Fliege, gestärktes Hemd, gerundete Weste und so weiter, unter den fetten, weichen Fittichen der Wirtin hereinkam.
Der Rektor tauschte mit allen einige Händedrucke, er winkte die Wirtin mit den Augen aus dem Zimmer und rief in seiner kehligen Kanzelstimme, mit aus dem Bauch kommenden Tönen und langgezogenen R's und L's, einer sehr tiefen, umdüsterten Stimme, die höchst heilig war und in den durch seine bloße Gegenwart geschaffenen Tempel paßte, die sich Leichtfertigkeiten, Gekicher und die kindlichen Zynismen der Jim Leffertse verbat – ein Geräusch, das irgendwo zwischen den abendlichen Glocken und dem Morgenruf des Esels lag:
»Oh, Bruder Elmer, das war wacker, was Sie getan haben! Ich habe noch nie etwas Wackereres gesehen! Daß ein großer, starker Mann mit Ihren Gladiatorenkräften keine Angst hat, sich zu demütigen! Und Ihr Beispiel wird riesig viel Gutes wirken, rrrrriesig viel Gutes! Das müssen wir ergreifen und festhalten. Sie werden heute abend in der Y.M.C.A. sprechen – in einem Spezialmeeting zur Befestigung der Resultate, die unsere wundervolle Gebetswoche gezeitigt hat.«
»Ach, je, Rektor, ich kann nicht!« greinte Elmer.
»Oh ja, Bruder, Sie müssen, Sie müssen ! Es ist schon angekündigt. Wenn Sie in der nächsten Stunde auf die Straße kommen, werden Sie die Freude haben, Anschläge zu sehen, die es in der ganzen Stadt ankündigen!«
»Aber ich kann keine Rede halten!«
»Der Herr wird Ihnen die Worte eingeben, wenn Sie den guten Willen mitbringen! Ich werde Sie selbst um Viertelacht abholen. Gott befohlen!«
Er war gegangen.
Elmer war völlig erschreckt, völlig abgeneigt und vor Entzücken geschwollen, daß er nach langen dunklen Stunden, in denen Jim, ein nicht Graduierter, ihn übel behandelt und seinen Verstand mit Schmutz beworfen hatte, vom Rektor der Terwillinger-Colleges als Mitapostel an den gestärkten Busen gezogen wurde.
Während Elmer sich zu etwas entschloß, wozu er sich schon entschlossen hatte, kroch Jim ins Bett und haderte in leisen, giftigen Tönen mit dem Herrn.
Elmer ging aus, um sich die Anschläge anzusehen. Sein Name war in lieblich großen Lettern gedruckt.
Am späten Nachmittag, nach einigen Vorlesungen, bei denen ihn jedermann respektvoll betrachtet hatte, versuchte Elmer eine Stunde lang seine Ansprache für die Y.M.C.A. und die angeschlossenen Damen vorzubereiten. Jim schlief, sein Schnarchen hörte sich an wie das Fauchen eines Leoparden.
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