Eddie meinte, das wäre ein sehr hübscher Gedanke, und sehr hübsch ausgedrückt, und hob ihn, obwohl er nicht ganz sicher war, ob er aus der Bibel stammte zum künftigen Gebrauch in Predigten auf. Doch bevor er sich hinreichend erholt hatte, um sich Elmer vorzunehmen, waren die Weihnachtsferien gekommen.
Als Eddie gegangen war, lachte Elmer noch weit herzlicher als Jim und dessen Vater. Allerdings hatte er nicht ganz verstanden, worum sich alles drehte. Aber, freilich; Eddie hatte es ganz richtig gesagt; Kinderverdammnis war keine baptistische Lehre; sie gehörte zu irgendwelchen von den Presbyterianern, und jeder Mensch wußte, daß die Presbyterianer eine Menge komischer Glaubenslehren hatten. Aber der Doktor hatte entschieden das seinige getan, um Eddie zu zermalmen, und Elmer fühlte sich sicherer als in den letzten Tagen.
Er fühlte sich weiter sicher bis zu den Weihnachtsferien. Dann –
Irgend jemand, höchstwahrscheinlich Eddie, hatte Elmers Mutter von seiner neuen und vielversprechenden christlichen Verfassung erzählt. Er selbst hatte mit äußerster Vorsicht derartige kompromittierende Gerüchte aus den Briefen, die er allwöchentlich heimschrieb, ferngehalten. Die ganzen Ferien hindurch spürte er, daß seine Mutter sich enger an ihn drängte als sonst, daß sie darauf wartete, nach seiner Seele zu greifen, sobald er eine Schwäche zeigte. Ihr Pastor zu Hause, der Reverend Mr. Aker – in Paris als Reverend Aker bekannt – schüttelte ihm in der Kirche die Hand mit einer Zuvorkommenheit, die ebenso anklagend war wie das Wohlwollen seiner Lehrer in Terwillinger. Jims Schutz fehlte ihm, er wußte, daß jeden Moment Eddie aus seiner Nachbarstadt auftauchen und von Mrs. Gantry als Verbündeter begrüßt werden könnte – es waren Ferien, in denen es nur sehr wenig Frieden für Elmer gab. Um seinen Mut nicht sinken zu lassen, widmete er besonders ernste Aufmerksamkeit dem Kegelbillard und der Tochter eines Farmers in der Nähe. Aber er fürchtete stets, daß dies die letzten traurigen Aschentage seines ungezwungenen Lebens wären.
Es schien ein bedrohliches Zeichen zu sein, daß Eddie auf der Rückfahrt ins College im selben Zug war. Eddie hatte noch einen zweiten Vertreter der Frömmigkeit bei sich und sagte Elmer nichts von den Wonnen der Hölle, aber er und sein Gefährte kicherten heimlich mit einer Vertraulichkeit, die mehr als betrüblich war.
Jim Lefferts fand in Elmers Gesicht nicht die selbstbewußte Biederkeit und Festigkeit, die er erwartet hatte.
Inhaltsverzeichnis
Anfangs Januar fand die jährliche College Y.M.C.A.-Gebetswoche statt. Es war ein Ereignis für das ganze Land, aber im Terwillinger-College hatte sie in diesem Jahr ganz besondere Bedeutung, weil man den Vorzug genoß, auf drei Tage keinen Geringeren als Judson Roberts bei sich zu haben, den Landessekretär der Y.M.C.A., einen Mann, der sowohl als Mensch wie als Beamter groß war.
Er war jung, dieser Mr. Roberts, erst vierunddreißig, aber schon im ganzen Land bekannt. Er war immer bekannt gewesen. Er hatte einer erstklassigen Chicagoer Fußballmannschaft angehört, Hochschul-Baseball gespielt, er war Kapitän der Debattiermannschaft gewesen, und gleichzeitig hatte er die Y.M.C.A. geführt. Er war als Der Predigende Fullback bekannt gewesen. Er setzte seine sportlichen Übungen noch immer fort – es hieß, daß er heimlich mit Jim Jeffries geboxt hätte – und predigte noch viel mehr als früher. Er war ein sehr freundlicher Führer, der immer Hilfe wußte; Hunderte von Studenten in ganz Kansas nannten ihn »Old Jud«.
Zwischen den Gebetsmeetings in Terwillinger saß Judson Roberts im Seminar für Bibelgeschichte, an einem langen Tisch, unter einer Karte des Heiligen Landes, und hatte Privatunterredungen mit den männlichen Studenten. Überraschend viele kamen zu ihm herein, zitternd, mit abgewendeten Augen, um sich seinen Rat wegen einer heimlichen Gewohnheit zu erbitten, und der alte Jud schien ihre Sorgen erstaunlich gut erraten zu können, noch bevor sie recht zu reden angefangen hatten.
Er war sehr männlich und forsch:
»Also jetzt, alter Junge, hören Sie mir mal zu. 'ne schreckliche Sache, ganz entschieden, aber mir sind schon so ziemlich einige Fälle untergekommen, Sie müssen nur Widerstand leisten wollen und es dem Herrn im Gebet unterbreiten. Bedenken Sie, daß er immer, und auch in den bösesten Fällen, helfen kann. Jetzt wollen Sie natürlich zu allererst Ihre schlechte Gewohnheit loswerden, zu – ich fürchte, Sie haben ein paar ziemlich dreckige Bilder und vielleicht ein saftiges Buch versteckt, na, oder vielleicht nicht, alter Junge?«
Wie konnte der alte Jud das nur erraten haben? Ein phänomenaler Kerl!
»Na also. Ich hab' einen feinen Plan, alter Junge. Stellen Sie Betrachtungen über das Missionswesen an und denken Sie daran, wie rein und sauber und männlich Sie sein wollten, wenn Sie daran gingen, die Freuden des Christentums zu vielen armen Teufeln zu bringen, die im bösen Bann des Buddhismus und einer ganzen Menge dieser heidnischen Religionen stehen. Würden Sie nicht wünschen, ihnen ins Auge schauen und sie beschämen zu können? Das nächste, was Sie tun müssen, ist tüchtige Bewegung. Gehen Sie ins Freie und rennen Sie wie der Teufel! Und dann kalte Bäder. Hundsgemein kalt. So wird's schon gehen!« Im Aufstehen mit einem höchst männlichen Händedruck: ›Also jetzt ab, und denken Sie daran‹ – mit einem großartigen, gewinnenden und herzhaftem Lachen – »immer rennen wie der Teufel!«
Jim und Elmer hörten Old Jud bei der Andacht. Er war gewaltig. Er erzählte ihnen einen netten Witz von einem Mann, der ein Mädchen küßte, erhob sich aber in schwindelnde Höhen, als er die Seligkeiten des ernsthaft willigen Gebetes schilderte, in dem man groß genug wäre, um wie ein Kind zu sein. Die Sanftheit, mit der er vom Jesuskind sprach, das einsam, von seinen Eltern verloren, umherirrte, trieb ihnen die Tränen in die Augen, doch im nächsten Augenblick erweckte er wieder ihre höchste Bewunderung, als er seine großen Schultermuskeln anspannte und erklärte, daß er jedem grinsenden, gemeinen, verlogenen, biersaufenden, aufgeblasenen Großmaul das Hirn aus dem Schädel schlagen würde, der es wagen sollte, sich während eines Meetings an ihn heranzumachen, und probieren, durch das Vorbringen eines Haufens jämmerlicher, sophistischer, atheistischer, superkluger Zweifel einen Universalschraubenschlüssel in den Mechanismus zu schmeißen! (Er gebrauchte wirklich zur Wonne der jungen Leute die Ausdrücke »das Hirn aus dem Schädel schlagen« und »einen Universalschraubenschlüssel schmeißen.« Oh, er war eine Nummer, ein richtiger ganzer Kerl mit rotem Blut in den Adern!)
Jim erkrankte an der Grippe. Er konnte nicht einmal ein einziges Wort des Hohns hervorbringen. Zusammengeklappt saß er da, das Kinn ganz nah an den Knien, und Elmer durfte in Heldenverehrung schwelgen. Herr Gott noch einmal! Er hatte geglaubt, ordentliche Muskeln zu haben, aber der Judson Roberts – verflixt, der konnte Elmer, ohne sich lang anzustrengen, auf den Teppich bringen. Was mußte das für ein Fußballspieler gewesen sein! Verflucht und zugenäht!
Diese homerische Verehrung versuchte er Jim zu erklären, als sie wieder in ihrem Zimmer waren, aber Jim nieste und legte sich ins Bett. Der ungestüme Barde blieb ohne Zuhörer und freute sich geradezu, als Eddie Fislinger an der Tür kratzte und sich hereinschob.
»Ich will euch nicht anöden, aber ich hab' gesehen, daß ihr heute nachmittag beim Meeting vom alten Jud wart, und, wißt ihr, ihr müßt morgen abend wieder hinkommen, um ihn anzuhören. Der große Abend von der Woche. Sag mal, ehrlich, Höllenhund, meinst du nicht, daß Jud ein richtiger Mordskerl ist?«
»Ja, da kann ich nichts sagen, er ist ein blendender Bursche.«
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