Baltimore erreichten wir am frühen Sonntagmorgen und legten am Smith’s Wharf an, unweit Bowley’s Wharf. Wir hatten eine große Schafherde an Bord; und nachdem ich geholfen hatte, sie zu Mr Curtis’ Schlachthaus auf Louden Slater’s Hill zu treiben, wurde ich von Rich, einem der Besatzungsmitglieder, zu meinem neuen Zuhause in der Alliciana Street, in der Nähe von Mr Gardners Schiffswerft am Fells Point, geführt.
Mr und Mrs Auld waren beide zu Hause und empfingen mich an der Tür mit ihrem kleinen Sohn Thomas, um den ich mich kümmern sollte.12 Und hier sah ich etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte; es war ein weißes Gesicht, das von den freundlichsten Gefühlen strahlte; es war das Gesicht meiner neuen Herrin Sophia Auld. Ich wünschte, ich könnte die Verzückung beschreiben, die meine Seele durchströmte, als ich es erblickte. Für mich war das ein neuer und fremder Anblick, ein Anblick, der meinen Lebensweg mit dem Licht des Glücks erhellte. Dem kleinen Thomas wurde gesagt, dies sei sein Freddy – und mir wurde gesagt, ich solle mich um den kleinen Thomas kümmern; und so lernte ich die Pflichten meines neuen Zuhauses mit den erfreulichsten Aussichten kennen.
Meine Abreise von Colonel Lloyds Plantage halte ich für eines der interessantesten Ereignisse in meinem Leben. Es ist möglich, ja ziemlich wahrscheinlich, dass ich heute, wäre ich nicht von dieser Plantage nach Baltimore versetzt worden, statt die Freiheit und das Glück eines Zuhauses zu genießen, während ich hier an meinem eigenen Tisch sitze und diesen Lebensbericht schreibe, weiterhin in den schmerzhaften Ketten der Sklaverei gefangen wäre. Nach Baltimore zu gehen, um dort zu leben, legte den Grundstein und öffnete das Tor zu all meinem späteren Wohlergehen. Ich habe es stets als die erste deutliche Manifestation jener gütigen Vorsehung betrachtet, die mich seither begleitet und die mein Leben mit so vielen Gunstbezeigungen überhäuft hat. Dass gerade ich dazu ausersehen war, hielt ich für bemerkenswert. Es gab ja eine ganze Reihe anderer Sklavenkinder, die man von der Plantage nach Baltimore hätte schicken können. Es gab jüngere, ältere und gleichaltrige. Ich aber wurde unter ihnen allen auserwählt und war die erste, die letzte und die einzige Wahl.
Man mag mich für abergläubisch, sogar für selbstgefällig halten, wenn ich dieses Ereignis als ein besonderes Eingreifen der göttlichen Vorsehung zu meinen Gunsten betrachte. Doch wenn ich diese Auffassung unterdrückte, würde ich den frühesten Empfindungen meiner Seele untreu. Lieber bleibe ich mir treu, selbst auf die Gefahr hin, den Spott anderer auf mich zu ziehen, als mir untreu zu sein und meinen eigenen Abscheu zu erregen. Seit ich zurückdenken kann, hatte ich die feste Überzeugung gehegt, dass die Sklaverei mich nicht für immer in ihrer schändlichen Umarmung halten werde; und in den dunkelsten Stunden meines Werdegangs in der Sklaverei sind das lebendige Wort des Glaubens und der Geist der Hoffnung nie von mir gewichen, sondern bei mir geblieben wie gute Engel, um mich aufzumuntern in der Finsternis. Dieser gute Geist stammte von Gott, und Ihm bringe ich Dank und Lobpreis dar.
Meine neue Herrin erwies sich als genau das, was sie zu sein schien, als ich ihr das erste Mal an der Tür begegnete – als eine Frau mit dem gütigsten Herzen und den feinsten Empfindungen. Vor mir hatte ihr noch nie ein Sklave unterstanden, und vor ihrer Heirat war sie für ihren Lebensunterhalt auf den eigenen Fleiß angewiesen gewesen. Sie war Weberin von Beruf, und dank ihres unermüdlichen Einsatzes für ihr Gewerbe war sie vor den verderblichen und entmenschlichenden Auswirkungen der Sklavenhaltung in erheblichem Maße bewahrt worden. Ihre Güte versetzte mich in großes Staunen. Ich wusste kaum, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie war vollkommen anders als jede andere weiße Frau, die ich je gesehen hatte. So, wie ich es bei anderen weißen Frauen gewohnt war, konnte ich mich ihr nicht nähern. Meine frühe Erziehung war nun völlig fehl am Platz. Geduckte Unterwürfigkeit, bei einem Sklaven normalerweise eine so akzeptable Eigenschaft, taugte nichts, wenn ich sie ihr gegenüber an den Tag legte. Ihre Gunst konnte ich damit nicht gewinnen; eher schien sie sich daran zu stören. Sie empfand es nicht als unverschämt oder unmanierlich, wenn ein Sklave ihr ins Gesicht blickte. Dem gemeinsten Sklaven wurde in ihrer Gegenwart die Befangenheit genommen, und keiner ging, ohne sich besser zu fühlen, weil er sie gesehen hatte. Ihr Gesicht war von himmlischem Lächeln und ihre Stimme von ruhiger Musik.
Aber ach!, dieses gütige Herz hatte nur wenig Zeit, so zu bleiben, wie es war. Das tödliche Gift unverantwortlicher Macht lag bereits in ihren Händen und begann in Kürze sein teuflisches Werk. Unter dem Einfluss der Sklaverei wurde das heitere Auge bald rot vor Zorn; die Stimme süßen Wohllauts verwandelte sich in eine Stimme harten und hässlichen Missklangs; und das engelsgleiche Gesicht wich dem eines Dämons.
Sehr bald, nachdem ich zu Mr und Mrs Auld gezogen war, begann sie freundlicherweise, mir das ABC beizubringen. Nachdem ich dieses erlernt hatte, half sie mir, Wörter mit drei oder vier Buchstaben zu buchstabieren. Als ich eben so weit fortgeschritten war, fand Mr Auld heraus, was vor sich ging, und verbot Mrs Auld sogleich, mich weiter zu unterrichten, indem er ihr unter anderem sagte, es sei nicht nur ungesetzlich, sondern auch gefährlich, einem Sklaven das Lesen beizubringen. Um seine eigenen Worte zu verwenden: »Wenn du einem Nigger den Finger reichst, nimmt er gleich die ganze Hand. Ein Nigger sollte nichts weiter können, als seinem Herrn zu gehorchen – zu tun, was man ihm sagt. Lernen würde den besten Nigger der Welt verderben. Nun«, fuhr er fort, »wenn du diesem Nigger (er sprach von mir) das Lesen beibringst, wäre er nicht mehr zu halten. Es würde ihn als Sklaven für immer unbrauchbar machen. Er würde sofort aufsässig und wäre ohne jeden Wert für seinen Herrn. Ihm selbst würde es nichts nützen, sondern erheblich schaden. Es würde ihn unzufrieden und unglücklich machen.« Diese Worte drangen tief in mein Herz, weckten schlummernde Gefühle in mir und lösten einen völlig neuen Gedankengang aus. Es war eine neue und ungewöhnliche Offenbarung, die jene dunklen und geheimnisvollen Dinge erklärte, mit denen mein jugendlicher Verstand zwar gerungen, jedoch vergeblich gerungen hatte. Nun endlich begriff ich, was eine höchst verwirrende Angelegenheit für mich gewesen war – nämlich die Macht des weißen Mannes, den schwarzen Mann zu versklaven. Es war ein großer Triumph, den ich sehr zu schätzen wusste. Von diesem Moment an erkannte ich den Weg aus der Sklaverei in die Freiheit. Es war genau das, was ich wollte, und es geschah zu einer Zeit, da ich es am wenigsten erwartete. Während der Gedanke, die Unterstützung meiner gütigen Herrin zu verlieren, mich betrübte, freute ich mich über die unschätzbare Belehrung, die mir rein zufällig durch meinen Herrn zuteilgeworden war. Obwohl mir bewusst war, wie schwierig es sein würde, ohne Lehrerin zu lernen, begann ich voller Hoffnung und mit festem Vorsatz, lesen zu lernen, wie viel Anstrengung es mich auch kosten mochte. Die Entschiedenheit, mit der er gesprochen und sich bemüht hatte, seiner Frau die üblen Folgen meiner Unterweisung vor Augen zu führen, diente nur dazu, mich davon zu überzeugen, dass er sich der Wahrheiten, die er aussprach, zutiefst bewusst war. Das gab mir größte Zuversicht, dass ich mich vertrauensvoll auf die Resultate verlassen konnte, die sich, wie er sagte, aus dem Leseunterricht ergeben würden. Was er am meisten fürchtete, das wünschte ich mir am meisten. Was er am meisten liebte, das hasste ich am meisten. Was für ihn ein großes Übel war, das es sorgfältig zu meiden galt, war für mich ein hohes Gut, das es eifrig zu suchen galt; und das Argument, das er so energisch gegen das Lesenlernen vorbrachte, diente nur dazu, mich erst recht mit dem Wunsch und der Entschlossenheit zu beseelen, lesen zu lernen. Dass ich es lernte, verdanke ich also fast ebenso sehr dem erbitterten Widerstand meines Herrn wie der gütigen Unterstützung meiner Herrin. Ich erkenne den Beitrag beider an.
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