Wenn ich schon Bluttaten schildere, die sich während meines Aufenthalts auf Colonel Lloyds Plantage ereignet haben, will ich kurz von einer weiteren erzählen, die sich etwa zur gleichen Zeit zutrug wie Mr Gores Mord an Demby.
Colonel Lloyds Sklaven hatten die Angewohnheit, einen Teil ihrer Abende und die Sonntage mit Austernfischen zu verbringen; auf diese Weise glichen sie die Kargheit ihrer mageren Essenszuteilung aus. Ein alter Mann, der Colonel Lloyd gehörte, geriet während dieser Beschäftigung zufällig über Colonel Lloyds Grundstücksgrenze auf das Anwesen von Mr Beal Bondly. Mr Bondly nahm am unbefugten Betreten seines Grundstücks Anstoß, kam mit seiner Flinte ans Ufer und feuerte ihren todbringenden Inhalt dem armen alten Mann in den Leib.
Am nächsten Tag suchte er Colonel Lloyd auf; ob um ihn für sein Eigentum zu bezahlen oder um sich für seine Tat zu rechtfertigen, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde der ganze teuflische Vorfall alsbald vertuscht. Es wurde sehr wenig darüber verlautet und nichts unternommen. Selbst unter kleinen weißen Jungen kursierte der Spruch, es sei einen halben Cent wert, einen »Nigger« zu töten, und einen halben Cent, ihn zu begraben.
Was meine eigene Behandlung anbelangt, während ich auf Colonel Lloyds Plantage lebte, so ähnelte sie sehr der der anderen Sklavenkinder. Ich war noch nicht alt genug, um auf dem Feld zu arbeiten, und da es außer der Feldarbeit kaum etwas zu tun gab, verfügte ich über sehr viel Freizeit. Höchstens musste ich abends die Kühe in den Stall treiben, das Geflügel vom Garten fernhalten, den Vorgarten pflegen und Botengänge für die Tochter meines ersten Herrn, Mrs Lucretia Auld, erledigen. Den größten Teil meiner Freizeit verbrachte ich damit, Master Daniel Lloyd dabei zu helfen, die Vögel aufzufinden, die er geschossen hatte. Meine Verbindung mit Master Daniel war für mich von einigem Vorteil. Er hing sehr an mir und war eine Art Beschützer. Er erlaubte den älteren Jungen nicht, mich herumzukommandieren, und teilte seinen Kuchen mit mir.
Von meinem ersten Herrn wurde ich nur selten ausgepeitscht und litt lediglich unter Hunger und Kälte. Unter Hunger litt ich sehr, noch viel mehr aber unter Kälte. Im heißesten Sommer wie im kältesten Winter musste ich fast nackt herumlaufen – keine Schuhe, keine Strümpfe, keine Jacke, keine Hose, ich hatte nichts am Leib als ein Hemd aus grobem Wergleinen, das mir nur bis zu den Knien reichte. Ich hatte kein Bett. Ich hätte vor Kälte umkommen müssen, hätte ich nicht in den kältesten Nächten einen der Säcke gestohlen, in denen der Mais zur Mühle gebracht wurde. In diesen Sack verkroch ich mich und schlief auf dem kalten, feuchten Lehmboden. Der Kopf steckte im Sack, die Füße ragten heraus. Vom Frost waren meine Füße so rissig, dass man in die klaffenden Wunden die Feder hätte legen können, mit der ich gerade schreibe.
Regelmäßige Essenszuteilungen erhielten wir nicht. Unsere Nahrung bestand aus gekochtem grobem Maismehl, »Pampe« genannt. Sie wurde in einen großen Holztrog gefüllt und dieser auf den Boden gestellt. Dann wurden die Kinder herbeigerufen wie die Schweine, und wie die Schweine kamen sie und schlangen die Pampe hinunter; einige mithilfe von Austernschalen, andere mit flachen Schindelstücken, wieder andere mit bloßen Händen, keiner aber mithilfe von Löffeln. Wer am schnellsten aß, ergatterte am meisten; wer am stärksten war, sicherte sich den besten Platz, und nur wenige verließen den Trog gesättigt.
Wahrscheinlich war ich zwischen sieben und acht Jahre alt, als ich Colonel Lloyds Plantage verließ. Ich verließ sie mit Freuden. Nie werde ich die Begeisterung vergessen, mit der ich die Nachricht erhielt, mein erster Herr (Anthony) habe beschlossen, mich nach Baltimore ziehen zu lassen, wo ich bei Mr Hugh Auld, dem Bruder des Schwiegersohns meines ersten Herrn, Captain Thomas Auld, leben sollte.11 Diese Nachricht erhielt ich etwa drei Tage vor meinem Aufbruch. Es waren drei der glücklichsten Tage, die ich je erlebt habe. Den größten Teil dieser drei Tage verbrachte ich im Bach, um meine schuppige Haut abzuwaschen und mich auf meine Abreise vorzubereiten.
Dass ich so auf mein Äußeres achtete, entsprang nicht etwa meinem Stolz. Mit Waschen verbrachte ich die Zeit nicht so sehr, weil ich selbst es wollte, sondern weil Mrs Lucretia mir gesagt hatte, ich müsse, bevor ich nach Baltimore gehen könne, all die abgestorbene Haut von meinen Füßen und Knien entfernen; denn in Baltimore seien die Leute sehr reinlich und würden mich auslachen, wenn ich schmutzig aussähe. Außerdem werde sie mir eine Hose schenken, die ich aber erst anziehen dürfe, wenn all der Dreck abgeschrubbt wäre. Die Vorstellung, eine Hose zu besitzen, war überwältigend! Fast schon ein hinreichender Beweggrund, um nicht nur das zu entfernen, was die Schweinehirten »Räude« nannten, sondern die Haut gleich mit. Ich machte mich ernsthaft ans Werk, arbeitete ich doch zum ersten Mal in der Hoffnung auf eine Belohnung.
Die Bande, die Kinder normalerweise an ihr Zuhause binden, waren in meinem Fall alle durchtrennt. Für mich war mein Weggang keine schwere Prüfung. Mein Zuhause war reizlos; es war nicht einmal mein Zuhause; als ich mich von ihm löste, hatte ich nicht das Gefühl, irgendetwas zurückzulassen, das ich hätte genießen können, wenn ich geblieben wäre. Meine Mutter war tot, meine Großmutter lebte weit weg, so dass ich sie nur selten sah. Ich hatte zwei Schwestern und einen Bruder, die mit mir im selben Haus wohnten; doch die frühe Trennung von unserer Mutter hatte die Tatsache unserer Verwandtschaft nahezu aus unserem Gedächtnis gelöscht. Ich suchte anderswo ein Zuhause und war zuversichtlich, keines zu finden, das mir weniger zusagen würde als jenes, welches ich hinter mir ließ. Sollte ich jedoch in meinem neuen Zuhause Härte, Hunger, Hiebe und Nacktheit leiden müssen, konnte ich mich damit trösten, dass ich, wäre ich geblieben, davon auch nicht verschont geblieben wäre. Nachdem ich im Hause meines ersten Herrn mehr als eine Kostprobe davon bekommen und sie dort ertragen hatte, schloss ich auf meine natürliche Fähigkeit, sie auch anderswo zu ertragen, namentlich in Baltimore; denn was Baltimore betraf, so hatte ich etwas von dem Gefühl, das sich in dem Sprichwort ausdrückt: »Lieber in England gehängt werden, als in Irland eines natürlichen Todes sterben.« Ich hatte den sehnlichsten Wunsch, Baltimore zu sehen. Obwohl er nicht sonderlich wortgewandt war, hatte Cousin Tom durch seine beredte Beschreibung der Ortschaft diesen Wunsch in mir geweckt. Nie konnte ich auf irgendetwas im Great House verweisen, so schön oder beeindruckend es auch sein mochte, ohne dass er in Baltimore etwas geschaut hatte, das den Gegenstand, den ich ihm zeigte, an Schönheit und Kraft bei weitem übertraf. Sogar das Great House selbst, mit all seinen Gemälden, sei vielen Bauwerken in Baltimore weit unterlegen. Mein Wunsch war so stark, dass ich glaubte, seine Erfüllung werde den Verlust an Annehmlichkeiten, den ich durch den Tausch erleiden würde, vollständig wettmachen. So reiste ich ohne Bedauern ab und mit den größten Hoffnungen auf künftiges Glück.
An einem Samstagmorgen segelten wir vom Miles River aus nach Baltimore. Ich kann mich nur an den Wochentag erinnern, denn zu der Zeit kannte ich weder die Tage des Monats noch die Monate des Jahres. Als wir die Segel gesetzt hatten, ging ich nach achtern, um einen, wie ich hoffte, allerletzten Blick auf Colonel Lloyds Plantage zu werfen. Dann setzte ich mich in den Bug der Schaluppe und verbrachte den Rest des Tages damit, nach vorn zu schauen, wobei ich mich eher für das interessierte, was in der Ferne lag, als für die Dinge in meiner Nähe oder hinter mir.
Am Nachmittag dieses Tages erreichten wir Annapolis, die Hauptstadt des Staates. Wir hielten nur für wenige Augenblicke an, so dass ich keine Zeit hatte, an Land zu gehen. Es war die erste große Stadt, die ich je gesehen hatte, und obwohl sie im Vergleich zu einigen unserer Fabrikdörfer in Neuengland klein wirken würde, fand ich sie für ihre Größe wundervoll – noch imposanter als die Great House Farm!
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