»Ihr seid alle gleich: Ihr gebt euch nicht zufrieden, bis ihr erreicht habt, was ihr wollt. Wenn du ins Unglück kommen musst, so tu’s. Ich wasche meine Hände.«
Und er hatte alle Verantwortung von sich geschoben, indem er zur Bedingung gemacht hatte, dass sie nicht heiraten durften, bis Bosinney wenigstens vierhundert Pfund im Jahr verdiente.
» Ich werde euch nicht viel geben können«, hatte er gesagt, eine Redewendung, die June kannte. »Vielleicht wird dieser Wie-heißt-er-doch für den Kakao sorgen.«
Er hatte sie kaum noch zu Gesicht bekommen, seitdem die Sache angefangen hatte. Eine böse Geschichte! Es fiel ihm nicht ein, ihr einen Haufen Geld zu geben, um diesem Menschen, von dem er nichts wusste, zu einem Faulenzerleben zu verhelfen. Er kannte das, es kam nie Gutes dabei heraus. Das Schlimmste aber war, dass er keine Hoffnung hatte, ihre Entschlossenheit zu erschüttern; sie war stur wie ein Maulesel, war es von Kind an gewesen. Das Ende war nicht abzusehen. Sie mussten sich nach ihrer Decke strecken. Er würde nicht nachgeben, bis er sah, dass der junge Bosinney ein eigenes Einkommen hatte. Dass June ihre Not mit ihm haben würde, war sonnenklar; er hatte ja nicht mehr Ahnung von Geld als eine Kuh. Und jetzt wieder diese überstürzte Fahrt nach Wales, um die Tanten des jungen Mannes zu besuchen, die sicherlich alte Drachen waren.
Ohne sich zu rühren, starrte der alte Jolyon auf die Wand, nur die offenen Augen verrieten, dass er nicht schlief … Diese Idee, anzunehmen, dass Soames, dieser junge Laffe12, ihm einen Rat geben könne! Er war immer ein hochnäsiger Laffe gewesen! Nächstens würde er sich wohl gar als der reiche Mann aufspielen, mit einem Haus auf dem Lande! Der reiche Mann! Hmm! Wie sein Vater war er unaufhörlich nur auf Gewinn bedacht, der kaltblütige Schlingel!
Er erhob sich, trat an das Schränkchen und fing an, sein Zigarrenetui methodisch mit frischem Vorrat zu befüllen. Sie waren nicht schlecht für den Preis, aber eine gute Zigarre war heutzutage gar nicht mehr zu haben, nichts im Vergleich zu den alten Superfinos von Hanson and Bridger. Das war eine Zigarre!
Der Gedanke trug ihn wie ein leiser Duft zu jenen wundervollen Abenden in Richmond zurück, wo er mit Nicholas Treffry und Traquair und Jack Herring und Anthony Thornworthy nach dem Essen auf der Terrasse von ›Crown and Sceptre‹ gesessen und geraucht hatte. Wie gut seine Zigarren damals waren! Armer alter Nick! – tot, und Jack Herring – tot, und Traquair – tot, durch seine Frau ins Grab gebracht, und Thornworthy – der war ja furchtbar zittrig (kein Wunder, bei seinem Appetit).
Von der ganzen Gesellschaft jener Tage schien er allein übrig geblieben zu sein, außer Swithin natürlich, aber der war so maßlos dick, es war gar nichts mit ihm anzufangen.
Schwer zu glauben, dass es so lange her war; er fühlte sich noch jung! Von allen Gedanken, die ihm beim Zählen seiner Zigarren durch den Kopf gingen, war dies der erschütterndste und bitterste. Mit seinem weißen Haar und seiner Einsamkeit war er im Herzen jung und frisch geblieben. Und die Sonntagnachmittage in Hampstead Heath, wenn er mit seinem Jungen einen Ausflug die Spaniards Road entlang bis nach Highgate oder Child’s Hill machte und hernach in Jack Straw’s Castle13 zum Essen einkehrte – wie köstlich waren seine Zigarren dann gewesen! Und das Wetter! Jetzt gab es gar kein Wetter mehr.
Als June ein kleiner Tolpatsch von fünf Jahren war und er sie jeden zweiten Sonntag von den beiden guten Frauen, ihrer Mutter und Großmutter, abholte, um sie in den Zoo mitzunehmen, wo er oben vom Bärenzwinger ihre Lieblingsbären mit Weißbrot fütterte, das er an seinen Schirm steckte, wie herrlich waren seine Zigarren da gewesen!
Zigarren! Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit, von seiner feinen Zunge Gebrauch zu machen – dieser berühmten feinen Zunge, auf die alle Leute in den fünfziger Jahren schworen und ihn, wenn sie von ihm sprachen, »die feinste Zunge in London« nannten! Dieser feinen Zunge hatte er übrigens in gewissem Sinne sein Glück zu verdanken – das Glück der berühmten Teefirma Forsyte and Treffry, deren Tee, wie kein anderer, ein romantisches Aroma und den Reiz einer ganz besonderen Echtheit hatte. Über dem Hause Forsyte and Treffry in der City hatte eine geheimnisvolle Atmosphäre von Unternehmungslust gelegen, von besonderen Handelsbeziehungen auf besonderen Schiffen in besonderen Häfen mit besonderen Firmen des Orients.
Und wie hatte er in diesem Geschäft gearbeitet! Damals arbeitete man noch! Diese jungen Grünschnäbel kannten kaum die Bedeutung des Wortes. Er hatte sich mit jeder Einzelheit beschäftigt, hatte von allem gewusst, was vorging, und zuweilen die ganze Nacht darüber gesessen. Und immer hatte er seine Agenten selbst ausgesucht und sich etwas darauf zugute getan. Seine Menschenkenntnis, hatte er immer gesagt, sei das Geheimnis seines Erfolges, und die Ausübung dieser meisterhaften Kunst der Auswahl wäre das Einzige von allem gewesen, was ihm wirklich Freude gemacht hätte. Eigentlich war es kein Beruf für einen Mann mit seinen Fähigkeiten. Selbst jetzt, wo das Geschäft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt war und anfing zurückzugehen (er hatte seine Anteile längst heraus), empfand er einen bitteren Kummer, wenn er jener Zeit gedachte. Wie viel besser hätte er es haben können! Als Anwalt hätten glänzende Erfolge gewunken! Er hatte sogar daran gedacht, es mit dem Parlament zu versuchen. Wie oft hatte Nicholas Treffry zu ihm gesagt: »Du könntest alles machen, Jo, wenn du nicht so verdammt vorsichtig wärst!« Der liebe alte Nick! Ein so guter Kerl, aber ein wilder Geselle! Der berüchtigte Treffry! Er war nie vorsichtig gewesen. Nun war er tot. Der alte Jolyon zählte seine Zigarren mit fester Hand und fragte sich im Stillen, ob er nicht vielleicht zu vorsichtig gewesen war.
Er steckte das Zigarrenetui in die Brusttasche seines Rockes, knöpfte sie zu und stieg die hohe Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf, wobei er schwer einen Fuß nach dem anderen aufsetzte und sich am Geländer hielt. Das Haus war zu groß. Sobald June verheiratet war, wenn sie diesen Burschen wirklich jemals heiratete, was sie sicherlich tun würde, wollte er es vermieten und eine Wohnung nehmen. Wozu ein halbes Dutzend Dienstboten halten, die nichts zu tun hatten.
Auf sein Klingeln kam der Butler herein – ein großer Mann mit einem Bart, leisem Tritt und einer besonderen Gabe zu schweigen. Der alte Jolyon befahl ihm, seine Sachen herauszulegen, denn er wolle im Klub speisen.
Wie lange sei der Wagen zurück, seitdem er Miss June zum Bahnhof gebracht habe? Seit zwei Uhr? Dann solle er um halb sieben vorfahren.
Der Klub, in den der alte Jolyon Schlag sieben eintrat, gehörte zu jenen politischen Institutionen der oberen Mittelschicht, die bessere Tage gesehen hatten. Obwohl er in Verruf gekommen war, vielleicht infolge dieses Verrufes, erfreute er sich einer enttäuschenden Lebenskraft. Man war es müde geworden, zu sagen, der Disunion liege in den letzten Zügen. Auch der alte Jolyon pflegte das zu sagen, übersah die Tatsache jedoch in einer für eingefleischte Klubleute wahrhaft irritierenden Weise.
»Warum lässt du deinen Namen auf der Liste?«, fragte Swithin ihn oft in tiefem Verdruss. »Warum trittst du nicht in den ›Polyglot‹ ein? Du bekommst in ganz London keinen Wein wie unseren Heidsieck unter zwanzig Shillin’ die Flasche.« Und die Stimme senkend, fügte er hinzu: »Es sind nur noch fünftausend Dutzend da. Ich trinke ihn jeden einzelnen Abend.«
»Ich will’s mir überlegen«, pflegte der alte Jolyon zu erwidern; aber immer, wenn er überlegte, tauchte die Frage der fünfzig Guineen Eintrittsgeld wieder auf, und dass es vier oder fünf Jahre dauern würde, bis er Aufnahme fände. So überlegte er weiter.
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