»Du verstehst dich so gut auf solche Dinge«, sagte Tante Ann. »Und wie geht es der lieben Irene?«
Soames’ Lächeln erstarb.
»Ganz gut«, sagte er. »Sie klagt über schlechten Schlaf, dabei schläft sie viel besser als ich«, und er blickte zu seiner Frau hinüber, die an der Tür mit Bosinney sprach.
Tante Ann seufzte.
»Vielleicht wäre es besser«, sagte sie, »wenn sie nicht so viel mit June zusammensteckte. Sie ist ein so ausgesprochener Charakter, die liebe June!«
Soames stieg die Röte ins Gesicht; sie flog über seine flachen Wangen und setzte sich als Merkmal quälender Gedanken zwischen den Augen fest.
»Ich weiß nicht, was sie an dem kleinen Irrwisch findet«, entfuhr es ihm, doch als er merkte, dass sie nicht länger allein waren, drehte er sich um und fing wieder an, den Kronleuchter zu untersuchen.
»Ich höre, Jolyon hat ein neues Haus gekauft«, sagte seines Vaters Stimme dicht neben ihm; »er muss einen Haufen Geld haben – mehr, als er zu gebrauchen weiß! Am Montpellier Square, sagen sie, in der Nähe von Soames! Mir hat keiner was davon gesagt – Irene sagt mir nie was!«
»Ausgezeichnete Lage, keine zwei Minuten von mir«, ließ sich Swithins Stimme vernehmen, »und von meiner Wohnung fahre ich in acht Minuten bis zum Klub.«
Die Lage ihrer Häuser war für die Forsytes von essentieller Bedeutung, kein Wunder übrigens, denn der ganze Geist ihres Erfolges war darin verkörpert.
Ihr Vater, der einem Bauerngeschlecht entstammte, war Anfang des Jahrhunderts von Dorsetshire gekommen.
›Der große Dosset Forsyte‹, wie ihn seine Vertrauten nannten, war Steinmetz von Beruf gewesen und hatte sich zum Baumeister emporgearbeitet. Gegen Ende seines Lebens war er nach London gezogen, wo er in Highgate begraben wurde, nachdem er bis an seinen Tod gebaut hatte. Er hinterließ seinen zehn Kindern über dreißigtausend Pfund. Wenn der alte Jolyon ihn überhaupt einmal erwähnte, beschrieb er ihn als einen ›Mann von kräftig derbem Schlag – nicht sonderlich fein‹. Die zweite Generation hatte in der Tat das Gefühl, dass nicht viel Staat mit ihm zu machen war. Der einzige aristokratische Zug, den sie in seinem Wesen entdecken konnten, war seine Gewohnheit, Madeira zu trinken.
Tante Hester, eine Autorität auf dem Gebiet der Familiengeschichte, schilderte ihn in folgender Weise:
»Ich erinnere mich nicht, dass er je etwas tat, wenigstens nicht zu meiner Zeit. Er war eben – Hausbesitzer, Liebes. Sein Haar war etwa von der Farbe wie das von Onkel Swithin; ziemlich vierschrötig war er. Groß? N-nicht sehr«, er war fünfeinhalb Fuß groß gewesen, mit fleckigem Gesicht, »von frischer Farbe. Er trank sehr gern Madeira, das weiß ich noch, frag nur Tante Ann. Was sein Vater war? Der, hm – der hat mit dem Land da unten in Dorsetshire, an der See, zu tun gehabt.«
James war einmal hingefahren, um selbst zu sehen, aus was für einer Gegend sie eigentlich stammten. Er fand zwei alte Bauernhöfe vor, von wo aus eine Wagenspur, die die rote Erde durchfurchte, zu einer Mühle unten am Strande führte, eine kleine graue Kirche innerhalb einer Pfeilermauer und eine noch kleinere und grauere Kapelle. Der Strom, der die Mühle trieb, kam in einem Dutzend kleiner Bäche plätschernd herab, und an der Bucht trieben sich Schweine umher. Ein leichter Nebel verhüllte die Aussicht. Es schien, die Vorfahren der Forsytes wären hunderte von Jahren, Sonntag für Sonntag, zufrieden gewesen, die Füße tief im Morast und den Blick aufs Meer gerichtet, durch diese Senke zu gehen.
Ob James im Stillen ein Erbe oder sonst etwas Außergewöhnliches zu finden gehofft hatte oder nicht, er kam jedenfalls ganz kleinlaut zur Stadt zurück und war aufs äußerste bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Da ist nicht viel zu holen«, sagte er, »ein richtiges kleines Landnest, und uralt.«
Das Alter war noch ein Trost. Der alte Jolyon, bei dem manchmal eine unverfrorene Ehrlichkeit hervorsprudelte, sprach von seinen Vorfahren zuweilen als von »Freisassen8 – kleine Verhältnisse vermutlich«. Doch wiederholte er das Wort ›Freisassen‹, als gewähre es ihm Trost.
Die Forsytes hatten es alle so weit gebracht, dass sie nun als ›gutsituierte Leute‹, wie man es nennt, eine gewisse Stellung einnahmen. Sie hatten ihr Vermögen in allen möglichen Aktien angelegt, nur – Timothy ausgenommen – nicht in Konsols, denn sie fürchteten nichts auf der Welt so sehr wie drei Prozent für ihr Geld. Sie sammelten Bilder und unterstützten Wohltätigkeitsanstalten, die ihren kranken Dienstboten einmal zugute kommen konnten. Von ihrem Vater, dem Baumeister, hatten sie Verständnis für Ziegel und Mörtel geerbt. Wenn sie ursprünglich vielleicht auch einer schlichten Sekte angehört hatten, waren sie nach dem natürlichen Lauf der Dinge jetzt Mitglieder der Staatskirche und hielten darauf, dass ihre Frauen und Kinder ziemlich regelmäßig die vornehmeren Kirchen der Hauptstadt besuchten. Zweifel an ihrer Christlichkeit hätten sie überrascht und verletzt. Einige von ihnen bezahlten sogar ihre Kirchenbänke und brachten so in der praktischsten Weise ihre Sympathie für die Lehren Christi zum Ausdruck.
Ihre Häuser lagen in bestimmten Abständen rings um den Park und passten wie die Schildwachen auf, dass das reiche Herz Londons, an dem ihre Wünsche hingen, nicht ihren Händen entschlüpfte und sie dadurch in der eigenen Achtung sinken ließ.
Der alte Jolyon wohnte in Stanhope Place; James in Park Lane; Swithin in der einsamen Pracht orangefarbener und blauer Gemächer in Hyde Park Mansions – er hatte nie geheiratet – Gott bewahre! –, Soames mit seiner Frau in ihrem Heim bei Knightsbridge; Roger in Prince’s Gardens (Roger stach dadurch unter den Forsytes hervor, dass er sich vorgenommen und es durchgesetzt hatte, seine vier Söhne zu einem neuen Beruf zu erziehen. »Legt euer Geld in Häusern an – darüber geht nichts!«, pflegte er zu sagen. »Ich hab’s nie anders gemacht!«).
Dann Hayman – Mrs Hayman war die einzige verheiratete Schwester der Forsytes – in einem Haus oben in Campden Hill, wie eine Giraffe geformt und so hoch, dass, wer es betrachtete, einen steifen Nacken bekam. Nicholas wohnte in Ladbroke Grove in einer geräumigen Wohnung und billig dazu; und endlich Timothy in Bayswater Road, wo Ann, Juley und Hester unter seinem Schutze lebten.
James hatte die ganze Zeit nachdenklich dagestanden und fragte endlich seinen Gastgeber und Bruder, was er für das Haus am Montpellier Square gezahlt hatte. Er selber habe seit Jahren dort ein Haus im Auge, aber sie forderten einen zu hohen Preis dafür.
Der alte Jolyon berichtete über die Einzelheiten seines Kaufes.
»Auf zweiundzwanzig Jahre?«, wiederholte James. »Gerade das Haus, das ich wollte – du hast zu viel dafür bezahlt!«
Der alte Jolyon runzelte die Stirn.
»Ich will es nicht etwa für mich haben«, sagte James hastig, »zu dem Preis passt es nicht für meine Zwecke. Soames kennt das Haus sehr gut, na – er wird dir sagen, dass es zu teuer ist – auf sein Urteil kann man etwas geben.«
»Ich gebe keinen Pfifferling dafür«, sagte der alte Jolyon.
»Na«, murmelte James, »du musst ja immer deinen Willen haben – aber sein Urteil ist gut. Auf Wiedersehen! Wir wollen zum Hurlingham9 hinausfahren. Ich höre, June geht nach Wales. Du wirst morgen einsam sein. Was hast du vor? Du solltest zum Essen lieber zu uns kommen!«
Der alte Jolyon lehnte ab. Er ging mit an die Vordertür, half ihnen in den Wagen und winkte ihnen zu, denn er hatte seinen Unmut schon vergessen. In Fahrtrichtung saß groß und majestätisch Mrs James mit rotbraunem Haar, ihr zur Linken Irene – die zwei Gatten, Vater und Sohn, leicht vorgebeugt, fast erwartungsvoll, ihren Frauen gegenüber. Sich auf ihren Sprungfederpolstern auf und ab bewegend, schwankten sie jeder Bewegung des Wagens nach und fuhren, von den Blicken des alten Jolyon begleitet, schweigend im Sonnenschein davon.
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