1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Wege und ReisenEin weiterer Schwerpunkt bezieht sich auf das Motivfeld „Wege und Reisen“, vertreten durch die Begriffe ὁδός, „Weg“, πορεύομαι, „reisen“, und εὐοδόω, „Gelingen haben“. Der Begriff πορεύομαι erscheint ebenfalls gleich am Anfang der Erzählung für die Wallfahrt nach Jerusalem (1,6f.), für Tobits Weg ins Exil (1,10), für seine Handelsreisen nach Medien (1,14f.) sowie sein Weg zu den Ärzten nach seiner Erblindung (2,10). Aber auch Tobias’ Suche in der Stadt nach einem Bedürftigen, der mit dem Vater speisen soll (2,3), wird mit diesem Begriff bezeichnet. Im Zentrum stehen allerdings die Aussagen mit πορεύομαι, die sich auf die Reise nach Ekbatana (5,2.3.4.5.6.9.10.16.17.21; 6,1.6.18) bzw. Rages (9,2.5) und den Rückweg von dort (11,4) bzw. die gesamte Reise (10,1.5.6; 11,6; 12,1) beziehen. 63Dabei ist eine Verbindung mit ὁδός häufig. Der Begriff kann aber auch isoliert erscheinen und sich direkt auf den konkreten Weg beziehen, auf dem Hanna ihren Sohn sehnsüchtig erwartet (11,5). Schließlich kann πορεύομαι auch für Tobits freies Einherschreiten nach seiner Heilung auf dem Weg zum Stadttor (11,16) verwendet werden.
Eine besondere Rolle spielt das Wort εὐοδόω: Im Gespräch mit seiner Frau bringt Tobit seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Reise ihres Sohnes gelingen wird (5,22), und schließlich preist Tobias (10,13) bzw. Tobit Gott für den erfolgreichen Ausgang der Reise. 64Zudem findet sich auch eine übertragene Bedeutung des Begriffs εὐοδόω, insofern Raguël wünscht, dass Gott Tobias und seiner Tochter für die Eheschließung Gelingen schenken möge (7,12; 10,11).
Begleitet werden diese konkreten Angaben zu Reise und Weg durch eine metaphorische Verwendung der Begrifflichkeit. Tobit geht auf den Wegen von Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit (1,3), bekennt aber in seinem Gebet, dass das Volk („wir“) nicht in Wahrheit auf den Wegen Gottes gewandelt sei (3,5). In seiner Abschiedsrede weist Tobit seinen Sohn an, dass er nicht auf den Wegen der Ungerechtigkeit gehen solle (4,5) bzw. dass er von Gott das Gelingen seiner Pläne erbitten möge (4,19). Diejenigen, die die Wahrheit tun, werden in ihren Werken Gelingen haben (4,6).
Krankheit und HeilungEin weiteres Wortfeld ist dem Thema der „Krankheit“ und „Heilung“ gewidmet. Hier ist zunächst Tobits Blindheit zu nennen. Tob 2,10 erzählt von seiner Erblindung, und nach seinem Gebet wird Rafaël zu seiner Heilung entsandt (3,17). Da Tobit nichts von diesem hintergründigen Wirken Gottes weiß, beklagt er bei der Begegnung mit Azarias seinen Zustand (5,10). Implizit klingt das Motiv der Blindheit auch beim Fischfang und dem Ausnehmen der Innereien an, insofern Rafaël hier von einer Medizin gegen Blindheit sprechen kann (6,9). Dann verweist Raguël bei der Begrüßung von Tobias und Azarias explizit auf Tobits Blindheit (7,7), und der Kreis schließt sich, als Tobit bei der Rückkehr seines Sohnes geheilt werden kann und Gott lobpreist (11,8.10–17). In Tob 12,3 bezieht sich Tobias explizit auf die Heilung des Vaters zurück; Tob 12,13f. deutet die Erblindung Tobits nicht als unglücklichen Zufall, sondern als göttliche Prüfung. Tob 14,2 schließlich wirft einen Blick auf die biographische Einbindung der Erblindung Tobits: Danach erblindete er im Alter von 62 Jahren. 65
Die Erzählung kennt zwei verschiedene Begriffe für das Heilungshandeln, nämlich ἰάομαι und θεραπεύω. Der Begriff ἰάομαι findet sich bei der Entsendung des Engels Rafaël (3,17) sowie in dessen Worten (siehe den Zuspruch für Tobit in 5,10 und den Rückblick des Engels in 12,14). Θεραπεύω dagegen erscheint im Kontext des Versuches Tobits, sich bei den Ärzten Hilfe zu holen (2,10), sowie bei Tobias’ Rückblick auf das Geschehen (12,3). So wird deutlich, dass das Heilungsgeschehen hier aus zwei Perspektiven beleuchtet wird: ἰάομαι steht für Heilungen, die im Kontext des göttlichen Rettungshandelns erfolgen, wohingegen bei θεραπεύω ein solcher Referenzrahmen nicht gegeben bzw. dem Sprecher nicht offenbar ist. 66
Tob 3,17 (ἰάομαι) sowie Tob 12,3 (θεραπεύω) zeigen, dass auch die Vertreibung des Dämons (ein „böser Geist“), der eine Begegnung (ἀπάντημα) mit einem Menschen hat (6,8), als Heilungshandeln verstanden wird.
Weitere Begriffe aus dem Wortfeld „Heilung“ sind φάρμακον sowie die damit verbundenen Fischinnereien Herz, Leber und Galle, aus denen das Räucherwerk gegen den Dämon und die Augensalbe für den Vater hergestellt werden (6,4.7; 11,8.11; siehe auch 2,10 allgemein als Arznei bei Augenkrankheiten). In Tob 2,10 werden auch die Ärzte (ἰατρός) genannt.
Die Heilungen selbst sind dann ganz unterschiedlich beschrieben: Die Augensalbe soll aufgestrichen (ἐγχρίω) bzw. auf die Augen gehaucht (ἐμφυσάω) (6,9) oder geschmiert (ἐμπλάσσω) werden, sodass sie die weißen Flecken zusammenzieht (ἀποστύφω) und abschält (ἀπολεπίζω) (11,8). Beim Heilungsakt selbst bläst (ἐμφυσάω) Tobias dem Vater in die Augen, er trägt die Salbe auf (ἐπιβάλλω) und reicht sie ihm dar (ἐπιδίδωμι), dann werden die weißen Flecken mit den Händen abgeschält (ἀπολεπίζω) (11,11–13). Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Abschnitten könnten darauf hindeuten, dass der Erzähler über die Abfolge der Handlungen („in die Augen blasen“ – „die Salbe aufstreichen“) beim Heilungsakt keine exakten Vorstellungen hatte.
Die Heilung vom Dämon soll dadurch erfolgen, dass dieser „gelöst“ oder „geschieden“ (ἀπολύω) wird (3,17). Bei der eigentlichen Vertreibung (wo allerdings der Begriff ἰάομαι nicht erscheint) wird er dann durch den Geruch zurückgehalten (κωλύω) und entweicht (ἀποτρέχω) nach Ägypten, wo er gefesselt (δέω) wird (8,3).
FamilieEin wichtiges Motiv der Erzählung ist das der Familie. Bereits der Buchanfang (1,1) zeigt durch den detaillierten Stammbaum die Bedeutung von familiären Strukturen. 67Der Wert der Familie äußert sich dann auch im Gespräch Tobits mit dem künftigen Reisebegleiter seines Sohnes, insofern er sich genau nach dessen Herkunft erkundigt und überglücklich ist, dass er die Verwandtschaft des jungen Mannes kennt (siehe 5,11–14). Auch die Begrüßungsszenen mit ihren z. T. stark emotional aufgeladenen Darstellungen unterstreichen die Bedeutung familiärer Strukturen (Tobias bei Raguël und Edna – 7,1–8; Gabaël beim Mahl bei Raguël – 9,6; Tobit und Sara – 11,17). In diesem inhaltlichen Rahmen steht auch die Verabschiedung Saras durch Vater und Mutter (10,12). Eine besondere Form der familiären Bindung äußert sich in Hannas Sorge um ihren Sohn, wobei hier auch, neben der Mutterliebe, materielle Aspekte mitschwingen können (5,18–20; 10,4–7a). Schließlich spielt die Thematik am Ende der Erzählung nochmals eine Rolle, insofern Tobit seinem Sohn und dessen Kindern eine Unterweisung über die künftigen Ereignisse der Geschichte ihres Volkes und die Bedeutung von Barmherzigkeitstaten erteilt (14,8.9). 68Neben dem Vater Tobit (siehe auch 4,3–21) erscheinen auch die Vorfahren, seien es allgemein die Erzväter (4,12) oder konkreter Ahnen aus der Familie (1,8: Debora), als bedeutsame Autoritäten. 69
Das Buch kennt aber auch Ansätze, die Familie zur Sippe hin zu entgrenzen; ja sogar das ganze Volk oder zumindest alle Exilierten können als eine Art Familie dargestellt werden. Dies belegt die Verwendung des Begriffes ἀδελφός, „Bruder“, der im Tobitbuch ein weites und manchmal etwas unklares Bedeutungsspektrum hat. Er kann sowohl den leiblichen Bruder bezeichnen (so 1,21) als auch einen Verwandten (so eindeutig 3,15; 7,10) oder eine Person aus derselben Sippe (4,12). Darüber hinaus wird der Begriff auch allgemein für einen Stammesgenossen (5,13.14; evtl. 5,17) oder für einen Menschen aus dem Volk Israel (so 1,10.16f.; 2,2; 14,4) verwendet. In diesem Kontext scheint der Bezug zum Exil eine wichtige Rolle zu spielen (so 1,3.10.16f.; 2,2; siehe auch 4,13). Oft ist auch eine konkrete Zuordnung nicht möglich (z. B. 1,3.5; 5,17; 7,11a). Der Begriff erscheint vor diesem Hintergrund auch häufig in der Anrede der Figuren untereinander. Neben der Zugehörigkeit zum selben Volk sind hier die verwandtschaftlichen Beziehungen bedeutsam (so insbesondere in den Dialogen in Kap. 5, 6 und 7). Die wiederholte, fast monotone Verwendung bringt dabei die enge Verbindung der Figuren untereinander zum Ausdruck. Wird der Begriff für Menschen aus dem Volk Israel verwendet, so werden die Exilierten wie eine große Familie dargestellt. Wenn am Ende der Erzählung ganz Israel in Jerusalem versammelt wird (13,9–18) und zudem alle Völker den Gott Israels preisen (13,11; 14,6f.), so kommt insgesamt eine zunehmende Universalisierung zum Ausdruck. 70
Читать дальше