[1]
Musterschriftsätze, die wichtigsten Gesetzestexte, Verwaltungsrichtlinien und völkerrechtliche Verträge sind im Volltext auf der Homepage www.verteidigung-von-auslaendern.deunter der Rubrik „Download“ abrufbar.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht
Inhaltsverzeichnis
I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe
II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung
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Obwohl der BGH – in ständiger Rechtsprechung[1] – der drohenden Ausweisung den strafzumessungserheblichen Charakter abspricht, wird die erfolgreiche Verteidigung von Ausländern nicht selten mit der Vermeidung ausländerrechtlicher Maßnahmen gleichgesetzt. Eine der ersten Fragen des ausländischen Mandanten lautet in der Regel: „Werde ich ausgewiesen?“
Hält man sich weiter vor Augen, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften auf eine Vielzahl verschiedener Gesetze und bilateraler Abkommen verteilt sind und zudem das Strafurteil im späteren verwaltungsrechtlichen Verfahren oft die einzige Entscheidungsgrundlage darstellt,[2] wird schnell deutlich, dass auch der Verteidiger über ein solides ausländerrechtliches Basiswissen verfügen muss, will er den ausländischen Mandanten mit Blick auf die drohende Ausweisung sachgerecht verteidigen.
[1]
Vgl. BGH NStZ-RR 2000, 297, 298 m.w.N.
[2]
Vgl. BVerwGE 35, 291, 294.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht› I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe
I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe
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Auch die Verteidigung von Ausländern setzt daher zunächst die Kenntnis der ausländerrechtlichen Terminologie voraus:
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht› I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe› 1. Ausländer
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Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher i.S.d. Grundgesetzes ist.
Wegen der negativen Abgrenzung in § 2 Abs. 1 AufenthG ist also allein darauf abzustellen, ob der Betreffende den Status des Deutschen nach Art. 116 Abs. 1 GG (nicht) besitzt. Der Staatenlose ist demnach kein Deutscher. Ist die deutsche Staatsangehörigkeit einer Person ungeklärt, wird sie grundsätzlich als Ausländer behandelt[1].
[1]
GK-AufenthG- Funke-Kaiser § 2 AufenthG Rn. 7 m.w.N.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht› I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe› 2. Aufenthaltstitel
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EinAufenthaltstitel wird ausschließlich erteilt als,
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Aufenthaltserlaubnis; die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel (§ 7 Abs. 1 AufenthG). Eine Erteilung kann insbesondere zum Zwecke der Erwerbstätigkeit (§§ 18 ff. AufenthG), Ausbildung (§§ 16 f. AufenthG), zum Zwecke des Familiennachzuges (§§ 27 ff. AufenthG) oder aus humanitären Gründen (§§ 22 ff. AufenthG) erfolgen. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis daneben auch für einen vom Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis ist räumlich unbeschränkt (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und kann mit Bedingungen und Auflagen – insbesondere einer räumlichen Beschränkung – verbunden werden (§ 12 Abs. 2 AufenthG). |
Hinweis
Besondere Beachtung verdient die Möglichkeit (mutmaßlichen) Opfern bestimmter Straftaten gemäß § 25 Abs. 4a, Abs. 4b AufenthG aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die im Einzelfall sogar nach Beendigung des Strafverfahrens verlängert werden kann;[1] zu Recht wird gemutmaßt, dass die damit verbundenen Vorzüge Zeugen motivieren können den Beschuldigten falsch zu belasten.[2]
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Niederlassungserlaubnis; die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie berechtigt – zeitlich und räumlich unbeschränkt – zur Erwerbstätigkeit und darf grundsätzlich nicht mit Nebenbestimmungen versehen werden (§ 9 Abs. 1 AufenthG). Die Niederlassungserlaubnis wird unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG – u.a. fünfjähriger Besitz einer Aufenthaltserlaubnis – erteilt. |
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Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU; die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU dient der Verfestigung des Aufenthalts eines Ausländers in Deutschland. Die Erlaubnis stellt die stärkste Form des Aufenthaltsrechts dar, die unter den Voraussetzungen des § 9a Abs. 2 AufenthG erteilt wird. Durch den Verweis in § 9a Abs. 1 AufenthG gelten die Bestimmungen zur Niederlassungserlaubnis, soweit das Gesetz nichts anderes regelt, d.h. die Erlaubnis berechtigt u.a. zur Ausübung einer Erwerbestätigkeit. |
Kein Aufenthaltstitel ist,
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die Duldung; die Duldung wird erteilt, solange die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (vgl. § 60a AufenthG); der geduldete Aufenthalt ist kein rechtmäßiger Aufenthalt.[3] |
Hinweis
Beachtenswert ist die zum 19.8.2007 erfolgte Neuregelung des § 60a AufenthG; die Vorschrift ist erheblich erweitert worden und lässt die Duldung u.a. zu, wenn eine „vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre.“ Vom Wortlaut erfasst wird nicht nur der Zeuge, sondern auch der Angeklagte.[4]
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die Aufenthaltsgestattung; einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, ist der Aufenthalt zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet (§ 55 AsylG). |
[1]
Vgl. BT-Drucks 18/4097, S. 41.
[2]
Jung StV 2015, 723/724.
[3]
Vgl. GK-AufenthG- Discher § 55 AufenthG Rn. 1276.
[4]
Jung StV 2007, 663, 664; GK-AufenthG- Funke-Kaiser § 60a Rn. 275.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht› I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe› 3. Ausweisung
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Die Ausweisung stellt das an den Ausländer gerichtete Gebot dar, das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen; liegen Ausweisungsgründe vor, stellen diese – in der Regel – zugleich Ausschlussgründe bei der Erteilung (§ 11 Abs. 1 AufenthG), Verlängerung eines Aufenthaltstitels (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) oder bei der Einbürgerung § 11 Nr. 2 StAG) dar.[1] Die Ausweisung hat allein ordnungsrechtlichen Charakter. Sie soll nicht bestimmtes menschliches Verhalten sanktionieren, sondern allein der zukünftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorbeugen.[2] Die Ausweisung darf also nicht als Instrument zusätzlicher Bestrafung missverstanden werden. Gleichwohl wird sie aufgrund ihrer einschneidenden Folgen – Verlust der inländischen Existenz – vom Betroffenen oft härter empfunden als die strafrechtliche Sanktion selbst. Dieses Umstandes muss sich der Verteidiger stets bewusst sein.
[1]
Bergmann/Dienelt -Bauer Vorb §§ 53–56 AufenthG Rn. 16.
[2]
BVerwGE 42, 133, 138 m.w.N.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht› I. Ausländerrechtliche Grundbegriffe› 4. Abschiebung
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Abschiebung ist die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht. Sie setzt neben der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht die fehlende Gewähr für deren freiwillige Erfüllung voraus. Außerdem muss in der Regel zuvor eine Abschiebungsandrohung mit der Bestimmung einer Ausreisefrist ergehen. Schließlich darf der Abschiebung kein Abschiebeverbot oder -hindernis entgegenstehen.
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