Auch Elisabeths Vertraute, Thomas Parry und Kate Ashley kommen in den Tower. Es ist offenbar, daß sie beide in die Ehe- und Liebesintrige Seymours eingeweiht sind oder zum mindesten nichts getan haben, um Elisabeth vor den gefährlichen Nachstellungen des Großadmirals zu schützen, sie vor einer Gewalttat zu retten, die für die junge Prinzessin von weittragendsten Folgen hätte sein können. Man weiß auch, es haben Besprechungen zwischen dem Intendanten Parry und Seymour stattgefunden, in denen über Elisabeths finanzielle Lage, über ihre Einkünfte und Ausgaben ziemlich unzweideutig verhandelt wurde. Allen diesen Dingen will man auf den Grund gehen.
Elisabeth selbst wird nicht geschont. Sie muß sich verantworten. Schwere Anklagen lasten auf ihr. Ihre Neigung zu Thomas Seymour ist die erste, vielleicht die stärkste in ihrem Leben. In ihrer Jugend und Unerfahrenheit hat sie seine stürmischen Huldigungen zu rasch angenommen. In ihr pulsiert das heiße Blut ihres Vaters und ihrer Mutter. Sie ist ein Renaissancemensch, der keine Schranken seiner Triebe kennt. In ihrer Umgebung gibt es Männer und Frauen, die ihr Leben in zügelloser Freiheit genießen. Niemand in ihren Kreisen findet sonst etwas Verbotenes und Schlechtes darunter, wenn sich junge Prinzessinnen mit jungen Lords nachts im Park Stelldichein geben. Die Leute, denen Elisabeths Obhut anvertraut ist, Lady Ashley, Parry, lassen sie ruhig gewähren. Sie lassen Dinge vor ihren Augen geschehen, die sie nie gestatten durften. Sie waren es, die Elisabeth eigentlich zuerst von der Liebe, ja von einer eventuellen Ehe mit Seymour sprachen. Sie nährten das Interesse des jungen Mädchens, indem sie ihm sagten, Seymour liebe sie mehr als alles.
Es kommt noch schlimmer. Es werden Gerüchte laut, die Elisabeth ungeheuer bloßstellen. Man munkelt, sie werde bald einem Kinde das Leben geben. Welche Lage für ein Mädchen von fünfzehn Jahren! Sie ist Menschen ausgeliefert, von denen den einen nichts an ihrem Ruf liegt, während die anderen sie für schuldig und absolut verdorben halten. Man tut indes nichts weiter als die Prinzessin in Hatfield streng zu bewachen. Sie wird einem höchst peinlichen, sehr gefährlichen Verhör unterzogen. Sir Robert Tyrwhitt, dem man die Überwachung Elisabeths anvertraut hat, versucht mit höchstem Raffinement aus ihr das Geständnis ihrer Liebe, ihrer Beziehungen und vor allem ihres Einverständnisses zur Ehe mit Lord Thomas Seymour und damit auch mit allen seinen Verschwörungsplänen gegen das Leben des Protektors herauszulocken. Gleichzeitig werden Kate Ashley und Parry im Tower gereinigt, um zu gestehen, und Seymour bleiben nur noch wenige Stunden zu leben.
Anfangs scheint es, als ob das junge Mädchen unter der Wucht der Ereignisse zusammenbrechen will. Elisabeth weiß, was dem Geliebten bevorsteht. Sie weiß, daß er die Kerker des Tower nie wieder lebendig verlassen wird. Auch die Angst um Kate und Parry verzehrt sie. Sie weint verzweifelt Tag und Nacht. Tyrwhitt und alle frohlocken über diese Tränen. Es wird leicht sein, von einem so verzweifelten jungen Ding alles zu erfahren. Hat Elisabeth doch bereits den Fehler begangen, in ihrer Herzensangst den Inquisitor zu fragen, ob Kate oder Parry vielleicht etwas ausgesagt hätten. Doch diese Schwäche dauert nur kurze Zeit. Elisabeths Wille, ihr Trotz und ihr Tudorstolz bäumen sich. Sie darf, sie will nicht unterliegen! Und es ist erstaunlich, ja bewunderungswürdig, mit welcher Geistesgegenwart und Festigkeit sich die Fünfzehnjährige aus der Schlinge zieht. Sie geht in keine der Fallen, die Tyrwhitt, der Protektor und die Räte des Königs ihr legen. Auch eine Freundin hat man ihr geschickt. Die schöne Lady Browne, die Elisabeth sehr liebt und besser als alle versteht, erreicht nichts, so sehr sie sich auch bemüht, das Herz der Prinzessin zu erforschen. Elisabeth bleibt verschlossen. Ob man es auf sentimentale, auf brutale oder hinterlistige Weise versucht, immer verhält sie sich in der ganzen Angelegenheit kühl und fest. Sie sagt nur, was sie für gut hält. Oft sind es halbe Wahrheiten, niemals aber läßt sie sich besiegen alles zu gestehen. In seinem Bericht an den Protektor schreibt Tyrwhitt schließlich verzweifelt: »Nicht um die Welt wird sie zugeben, daß sie durch Vermittlung von Mrs. Ashley oder des Intendanten irgendwelche Liebesintrige mit dem Lordadmiral gehabt hat. Und doch sehe ich es ihrem Gesicht an, daß sie schuldig ist.« Darauf versucht es Somerset selbst mit einem Brief an die Verstockte.
Elisabeths Selbstverteidigung in ihrem Antwortschreiben an den Protektor ist ein Meisterstück an kluger Berechnung, Raffinement und Schlauheit, aber zugleich auch unverblümter Offenheit, die mehr als in Erstaunen setzt, wenn man bedenkt, daß es ein fünfzehnjähriges Mädchen ist, das hier seine Ehre, seine Stellung und seine Zukunft verteidigt. Doch die Angelegenheiten kommen in keiner Weise vorwärts. Es ist gut, ein paar Stellen aus diesem Brief einer werdenden Königin, eines sich plötzlich im Handumdrehen zur Frau entwickelten Kindes zu zitieren. Elisabeth schreibt am 28. Januar 1549 aus Hatfield:
»Da Eure Herrlichkeit mich bitten und als auf richtiger Freund mir empfehlen, alles zu erklären, was ich über diese Angelegenheit weiß, und alles schriftlich niederzulegen, was ich bereits Sir Tyrwhitt gesagt habe, so bin ich dazu gern bereit. Zuerst möchte ich daher erwähnen, daß der Intendant (Parry) mir, nachdem er mir die Antwort des Groß-Admirals hinsichtlich Allen- und Durhamhouse übermittelt hatte, außerdem sagte, Lord Seymour biete mir sein eigenes Haus während der Zeit an, die ich in der Nähe des Königs verbringen würde. Ferner fragte mich Parry, ob ich, wenn der Rat seine Zustimmung zur Heirat mit Seymour gäbe, damit einverstanden sei oder nicht. Ich antwortete, daß ich darüber nicht zu bestimmen habe und fragte ihn, warum er diese Frage an mich stelle. Ob er dazu beauftragt sei? Er erwiderte, niemand habe ihn damit beauftragt, nur glaube er, es aus den Fragen des Großadmirals herausgehört zu haben. Thomas Seymour habe sich erkundigt, ob meine Patentbriefe versiegelt seien oder nicht. Er habe sich ihm gegenüber auch über seine eigene Vermögenslage ausgesprochen und sich nach der meinigen erkundigt. Aus dem allen habe Parry vermutet, daß Seymour sich besonders mit diesem Gedanken beschäftige.
Was Kate Ashley betrifft, so hat sie mich niemals in dieser Sache beraten. Nur sagte sie immer, wenn das Gespräch auf meine Verheiratung kam, sie möchte mich niemals, ob in England oder im Ausland, ohne die Zustimmung S. M. des Königs, ohne Eurer Gnaden und des Hohen Rates Einverständnis verheiratet sehen. Nach dem Tode der Königin (Seymours Gattin), sagte sie mir nur scherzend, als ich sie fragte, was in London vorgehe: ›Man sagt, Eure Gnaden heiraten Milord, den Admiral, und er wird bald selbst kommen und Ihnen seine Huldigung darbringen.‹ Ich habe auch Sir Tyrwhitt erzählt, daß der Intendant Parry mir hierher schrieb, der Großadmiral wolle auf seiner Reise aufs Land bei mir vorsprechen. Darauf befahl ich Kate Ashley, an Lord Thomas Seymour zu schreiben, wie sie es für gut halte und mir den fertigen Brief zu zeigen. Sie schrieb demnach, sie billige seine Absicht nicht, weil sie den Verdacht fürchte. Und der Brief wurde so abgeschickt. Als der Lordadmiral ihn gelesen, fragte er den Intendanten Parry, warum er mich denn nicht besuchen dürfe, wie er es bei meiner Schwester auch täte? Darauf ließ ich Kate schreiben (aus Angst, Mylord könne annehmen, sie wisse darüber mehr als er), daß sie ihm darüber keine Auskunft geben könne, daß sie jedoch Bedenken habe. Ich erklärte daher auch Sir Tyrwhitt, daß ich niemals zu ›so etwas‹ (Elisabeth vermeidet absichtlich das Wort ›Heirat‹ und ›Um die Handanhalten‹) meine Zustimmung gegeben habe, sofern man nicht die Einwilligung des Rates hatte. Kate Ashley und der Intendant haben mir auch niemals gesagt, daß sie dazu beitragen wollen.
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