Gavin hatte am Morgen auch gearbeitet und sich danach einfach ins Bett gelegt. Als Kellner musste er sehr viel umherlaufen und alle Bestellungen im Kopf behalten, daher ließ ich ihn erst mal ein wenig ausruhen. Nach einer Stunde fragte ich ihn, ob er mir helfen könne, worauf er sagte, er sei immer noch müde. Geduldig ließ ich ihn weiter im Bett liegen und versuchte es dann ein zweites Mal, aber wieder ohne Erfolg. »Du hast diese Party organisiert, jetzt musst du auch die Arbeit machen», brummte er. Das war korrekt, ich wollte dieses Fest feiern, aber natürlich hatte ich angenommen, er freue sich auch darauf und würde sich zumindest am Schluss an den Vorbereitungen beteiligen. Damit, dass ich alles selber machen musste, hatte ich nicht gerechnet, schließlich waren wir doch jetzt ein Ehepaar!
Gavins Erschöpfung nach ein paar Stunden Arbeit war mir ein Rätsel. In Anbetracht seiner Fitness und seiner erst zwanzig Jahre musste das eine Ausrede sein. Offensichtlich freute er sich nicht auf das Fest und hatte daher keine Lust, mir zu helfen. Ich fand das sehr traurig, aber letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als die Vorbereitungen allein zu Ende zu führen. Als ich später unter der Dusche stand, war ich so müde, dass ich am liebsten auch einfach ins Bett gefallen wäre. Der Gedanke an meine Freunde gab mir schließlich die Kraft, mich anzuziehen und mich mit Gavin auf den Weg ins Schulhaus zu machen, wo der Abend mit einer Diaschau über Australien begann. Anschließend fuhren wir alle ins Waldhaus und aßen und lachten bis in den frühen Morgen. Tanzen konnten wir leider nicht, da etwas mit dem Soundsystem nicht funktionierte, aber das machte nichts; ehrlich gesagt wäre ich ohnehin zu müde gewesen. Ein paar Gäste spielten Gitarre, und ich fühlte mich im Kreise meiner Freunde wie immer glücklich und geborgen. Gavin schien auch wieder fröhlich, und die komische Situation am Nachmittag trat mehr und mehr in den Hintergrund. Damals hatte ich sowieso die Tendenz, alles, was mich beunruhigte, zu übersehen und darauf zu vertrauen, dass Gavin mich liebte. Das fiel mir in der Schweiz sehr leicht.
Gavin und ich hatten beschlossen, Ende Dezember nach Australien zu fliegen. In den verbleibenden fünf Wochen gab es noch unheimlich viel zu tun. Ich war damit beschäftigt, den Lehrstoff für das Quartal abzuschließen und die Schüler auf eine neue Lehrkraft vorzubereiten. Gleichzeitig musste ich meine Wohnung ausräumen und nach guter Schweizerart blitzblank putzen. Weil wir abends oft eingeladen waren, hatte ich kaum Zeit zum Packen. Gavin arbeitete ab Anfang Dezember nicht mehr im Restaurant und hätte problemlos mit den Vorbereitungen beginnen können. Zu meiner Überraschung schien er jedoch nicht im Traum daran zu denken und ließ einfach alles liegen, wie es war. »Meine Güte«, sagte ich eines Tages, »wir fliegen in drei Wochen nach Australien und haben noch gar nichts gepackt!« Gavin gab keine Antwort, sondern las interessiert das Cover einer CD. Über die näher rückende Abreise schien er sich überhaupt keine Sorgen zu machen, im Gegenteil, er benahm sich wie immer, hörte Musik und ruhte sich aus.
Ich wollte ihn nicht drängen und hoffte insgeheim, dass er von sich aus bei den Reisevorbereitungen helfen würde. Schließlich musste er doch sehen, wie müde ich war. Er schien jedoch keine Ahnung zu haben, was in mir vorging, und lag weiterhin tagelang auf dem Balkon, um an seiner Bräune zu arbeiten. Langsam begann ich mich über seine mangelnde Hilfsbereitschaft aufzuregen. Eines Abends, als wir spät von einem Abschiedsessen heimkamen und ich vor lauter Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten konnte, sagte ich frustriert: »Es ist höchste Zeit, dass wir mit dem Packen anfangen! Kannst du morgen ein paar Kisten füllen? Wir haben ja bereits besprochen, was wir mitnehmen wollen. Ich helfe dir, wenn ich von der Schule komme.« Gavin nickte gedankenversunken, putzte die Zähne und schlüpfte ins Bett. Ich folgte ihm und drückte mich fest an ihn, um seine Nähe zu spüren. Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass ich bald meine Heimat verlassen würde. In seinen Armen fühlte ich mich jedoch geborgen und schlief wenig später glücklich ein.
Als ich am nächsten Tag von der Schule zurückkam, sah ich zu meinem Entsetzen, dass Gavin wieder auf dem Sofa saß und Musik hörte. Die Kisten standen immer noch leer im Wohnzimmer herum, und nichts, aber auch wirklich gar nichts, war gemacht. Ohne etwas zu sagen, ging ich in die Küche und fing an, das Abendbrot zuzubereiten. Wenig später erschien Gavin im Türrahmen und schaute mir unbekümmert beim Kochen zu. Ich hatte keine Lust zum Plaudern, war zutiefst enttäuscht, dass er unsere Vereinbarung nicht eingehalten hatte. Meine düstere Laune schien ihm aber keineswegs aufzufallen, im Gegenteil, er war wie immer und füllte mir den Kopf mit Zeitungsnachrichten. Den ganzen Tag hatte er keine Gelegenheit zum Reden gehabt und sehnte sich nun danach, die neu erworbenen Informationen mit mir zu teilen. Mir war es aber absolut nicht darum, ihm zuzuhören. Irritiert von seinen umfassenden, unglaublich detaillierten Erläuterungen über das aktuelle Weltgeschehen, wandte ich mich ab und wusch den Salat. Er ließ sich von meiner ablehnenden Körpersprache jedoch nicht beirren und fuhr unbefangen fort mit seinem Vortrag.
Als wir endlich zusammen am Esstisch saßen und er noch immer keine Anstalten machte, mir zu erklären, warum er wieder den ganzen Tag nichts gemacht hatte, schnitt ich das Thema selber an. »Gavin«, sagte ich gereizt, »du hast deine Stelle als Kellner aufgegeben, um mir beim Packen zu helfen. Aber jeden Tag, wenn ich heimkomme, sitzt du nur herum und hörst Musik. Gestern hast du mir versprochen, ein paar Kisten zu füllen, aber alles ist beim Alten. Ich verstehe das einfach nicht. Kannst du nicht sehen, wie müde ich bin und wie sehr ich deine Hilfe brauche?« Gavin sah mich erstaunt an, dann lachte er arrogant und sagte mit herausforderndem Unterton: »An deiner Müdigkeit bist du selber schuld, es verlangt ja niemand, dass du so viel für die Schule machst. Offensichtlich hast du Probleme, dich richtig zu organisieren. Das ist mir schon früher aufgefallen.«
Ich war sprachlos. Wie konnte er bloß so reden, saß er doch selber einfach nur tagelang herum. »Ich mag dir nicht helfen«, fuhr er fort, »sehe nicht ein, warum du das von mir verlangst; schließlich sind es deine Sachen, die gepackt werden müssen. Mein Koffer steht bereit.« Das traf zwar zu, war aber nicht schwierig, da er nur sechs Paar Unterhosen, ein paar T-Shirts, Shorts und Socken sowie einen Anzug mitgebracht hatte. Ich wollte nicht, dass er mir beim Einpacken meiner Kleider half, aber da er keine Küchenutensilien besaß, hatten wir beschlossen, einen Teil meines Inventars mit dem Schiff nach Australien zu senden. Das Verpacken von Gläsern, Kuchenplatten, Dessertschalen, Tassen und Tellern brauchte jedoch viel Zeit und Geduld.
»Ich meinte nicht meine Kleider, sondern das Geschirr für unsere Wohnung in Australien«, versuchte ich es in einem freundlicheren Ton. Aber es war offensichtlich zu spät. Gavin fühlte sich angegriffen und musste sich nun mit allen Mitteln verteidigen. »Das sind deine Sachen, und die Packerei hat mit mir nichts zu tun. Es ist nicht mein Problem, dass du deine Arbeit und deine Auswanderungsvorbereitungen nicht unter einen Hut bringen kannst. Ich habe immer gedacht, du seist intelligent, aber offensichtlich ist das nicht der Fall.« Mit diesen Worten stand er auf, verließ die Küche und knallte die Tür hinter sich zu. Ich blieb ein paar Minuten verletzt am Tisch sitzen und versuchte, seine Bemerkungen zu verdauen. Sicher hätte ich mich diplomatischer ausdrücken können, trotzdem, eine solch heftige Reaktion hätte ich nicht von ihm erwartet.
Um unseren Streit zu schlichten und die Situation zu klären, folgte ich ihm ins Schlafzimmer, wo er gerade die Fensterläden schloss. »Es tut mir leid, dass ich meine Frustration an dir ausgelassen habe«, sagte ich versöhnlich, »ich bin einfach völlig erschöpft von all den Abschlussarbeiten in der Schule und wäre dankbar, wenn du mir ein wenig helfen könntest. Bitte, Gavin, ich brauche jetzt deine Unterstützung.« »Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du den Abend mit deinen Sticheleien verdorben hast«, sagte er nur, »jetzt kannst du meine Hilfe vergessen und deinen Kram allein machen.« Seine Worte trieben mir Tränen in die Augen. Als Gavin das sah, wandte er sich verärgert ab, schlüpfte ins Bett und zog sich die Decke über die Ohren. Er kam mir in diesem Moment vor wie eine Burg. Ich hatte ihn angegriffen, und nun zog er die Zugbrücke ein. Ich spürte deutlich, dass nichts, aber auch gar nichts, seine Haltung mir gegenüber ändern würde.
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