Es war eine schwere Last, die sie da trug, doch sie trug sie für Wordsworth … und alle anderen. Nun galt ihr ganzes Bestreben nur noch einem Ziel: ihrem Überleben.
Ihr Plan sah vor, eines der Schiffe auf dem Landedeck zu benutzen. Dort gab es mehrere Shuttles sowie ein stillgelegtes Schiff der Dreadnought-Klasse der Colonial Marines, das man scheinbar zu ihrem Schutz erworben hatte. Aber einige der unteren Decks standen in Flammen, und als sie sich dem Landedeck näherte, hörte sie Schüsse, Schreie und das unverwechselbare Kreischen der Xenomorphs.
Also entschloss sie sich, ihr Glück bei einer der Rettungskapseln zu versuchen.
Die USS Evelyn-Tew war ein außer Dienst gestellter Zerstörer der Colonial Marines, der mit einer Länge von über einer Meile und einer Breite von einer halben Meile für weitaus mehr Menschen konzipiert worden war, als die Crew, die sie nun beherbergte. Es gab blutige Hinweise darauf, dass die Xenomorphs einen großen Teil der wissenschaftlichen Besatzung dezimiert hatten, und sie konnte nur mutmaßen, dass anderen die Flucht geglückt war. Ihre Hoffnung bestand darin, zumindest eine letzte funktionierende Rettungskapsel vorzufinden, die sie benutzen konnte.
Zweihundert Yards und eine Ebene vom nächstgelegenen Rettungsdeck entfernt konnte sie sie schließlich hören. Flüstern. Kratzen. Hörte sie über den Gang hinter jener Ecke jagen, der sie sich näherte. Als die Deckenleuchten kurz aufflackerten, konnte sie sie auch sehen, unstete Umrisse, die im stroboskopartigen Licht der unregelmäßig an- und ausgehenden Lampen davonhuschten.
Liliya erstarrte und versuchte sich so wenig zu bewegen, wie ihr es möglich war. Zehn Schritte hinter ihr befand sich eine Tür, aber es gab keine Garantie dafür, dass sie sich öffnen würde. Fünfzig Schritte weiter war ein Schott. Wenn sie sich umdrehte und losrannte, würde sie es vielleicht schaffen – vielleicht aber auch nicht. Und selbst dann gab es keine Garantie, dass es ihr gelang, das Schott zu schließen, bevor die Kreaturen über sie herfallen würden.
Während sie unentschlossen zwinkerte und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte, brachen die Schatten um die Ecke.
»Ich sagte doch, dass ich jemanden gehört habe«, sagte der Mann. Eine Frau war bei ihm. Er trug ein älteres Modell einer Puls-Rifle bei sich, und sie hielt in jeder Hand ein Messer. Beide wirkten völlig verängstigt.
»Du bist die aus der Kantine«, sagte die Frau. »Liliya, nicht wahr?«
»Das stimmt. Und du?«
»Ich bin Kath Roberts. Ingenieurin. Und das ist Dearing.« Seine Tätigkeit erwähnte sie nicht, und es interessierte Liliya auch nicht. Es war offensichtlich, dass keiner der beiden mit den Waffen, die sie bei sich trugen, umzugehen wusste, und die Panik in ihren Augen war kaum zu ertragen. Sie brauchten Hilfe … und Führung.
Die konnte Liliya ihnen nicht geben, aber sie konnten zusammenarbeiten und auf diese Weise vielleicht am Leben bleiben.
Du darfst nichts tun, was die Mission gefährdet . Die Stimme in ihrem Kopf war jene von Wordsworth, die Worte aber ihre eigenen, und sie sagten die Wahrheit. Sie werden eine Gefahr für deinen Auftrag darstellen. Sie wollen gerettet werden, aber das ist nicht das, was du willst. Sie wollen nicht einfach nur verschwinden .
»Ich muss ihnen helfen«, sagte sie leise zu sich selbst und sah, wie Dearing die Stirn runzelte. Wahrscheinlich hielt er sie für verrückt.
»Hast du eines von diesen Dingern gesehen?«, fragte Roberts.
»Nur eines. Es hat sich davon gemacht.«
»Es hat dich nicht gewittert?«, fragte Dearing.
Liliya zuckte mit den Schultern. »Können sie das?«
»Ja, wir glauben schon.« Er warf einen Blick zur Seite und dann den Weg zurück, den sie gekommen waren. »Wenn du wegen den Rettungsschiffen hier bist, dann kommst du zu spät.«
»Sind alle weg?«
»Von Deck C, ja. Dock A wurde bei einer Explosion zerstört, Dock B hat einen Riss in der Außenhülle und D liegt beinahe eine halbe Meile entfernt an achtern. Ich denke nicht, dass wir …«
Er schüttelte den Kopf.
»Ihr wisst, dass wir uns auf einem Selbstzerstörungskurs befinden, oder?«, fragte Liliya.
»Selbstzerstörung?« Roberts riss die Augen weit auf und ihr Gesicht wurde aschfahl.
»Das Schiff wird in eine Sonne fliegen«, sagte sie und fügte hinzu: »Kommt mit. Uns bleibt noch eine Chance.«
»Was für eine Chance?«, fragte Dearing, aber Liliya antwortete ihm nicht. Zum Teil, weil sie weder ihm noch Roberts vertraute und ihr Wissen von Vorteil sein konnte. Aber auch deshalb, weil sie nicht wusste, wie groß diese Chance überhaupt war.
Unterhalb der Quartiere der Offiziere befand sich ein kleines Deck mit Notfallfluchtkapseln. Sie waren auf jeweils eine Person ausgelegt. Sie hatte keine Ahnung, wie viele davon noch übrig sein würden.
Auf der Treppe fanden sie eine tote Frau.
Ihre Leiche lag quer über den Stufen ausgebreitet. Ihre Uniform wies sie als Schiffsoffizier der Crew des Flugdecks aus, aber darüber hinaus gab es wenig, was sie von den anderen Leichen unterschied, die Liliya gesehen hatte. Zerfetztes Fleisch, zerrissene Kleidung, zersplitterte Knochen – zumindest, was den Tod anging, machten die Xenomorphs keinen Unterschied.
Ich habe das alles verursacht .
Sie schob den Gedanken beiseite.
Vorsichtig trat sie über die blutige Leiche hinweg und versuchte, ihre Füße auf eine trockene Stelle auf den Stufen zu setzen. Doch von denen gab es nicht mehr viele. Die Frau war auf ihrem Weg hinunter zu den Fluchtkapseln überrascht worden, doch es ließ sich nicht erkennen, ob die Kreatur, die sie getötet hatte, danach weiter nach unten oder von unten hinauf geeilt war.
»Seid vorsichtig«, flüsterte sie Roberts und Dearing hinter sich zu. »Nicht ausrutschen.« Denn es gab einiges, auf dem man hätte ausrutschen können. Doch sie schafften es bis hinunter auf den Treppenabsatz, und dann befanden sie sich in einem schwach beleuchteten Aufenthaltsraum mit einigen gemütlichen Sesseln und einem Getränkeautomat in der Ecke. Die Beleuchtung entsprach einem gedämpften Tageslicht, welches einiges an Ressourcen kostete und daher nur den gehobeneren Bereichen des Schiffs vorbehalten war.
Roberts wartete auf Anweisungen. Dearing, der seine Puls-Rifle in einer Hand hielt, zuckte ratlos mit den Schultern.
»Wohin jetzt?«, fragte er.
Liliya rief sich den Grundriss des Schiffes und den Standort der Rettungskapseln ins Gedächtnis. Sie befanden sich eine Ebene tiefer, aber ganz in ihrer Nähe. Für eine Sekunde wandte sie sich von den anderen ab, lauschte angestrengt, nutzte all ihre Sinne und versuchte, eine mögliche Gefahr zu erspüren. Die Lebenserhaltungssysteme summten. Einige weit entfernte Erschütterungen, die hier unten aber deutlich schwacher zu spüren waren, ließen das Schiff erzittern, während die Triebwerke weiter mit Kurs auf den Stern beschleunigten. Schreie waren keine mehr zu hören, auch keine Schüsse oder fauchende Kreaturen. Doch das tröstete sie nicht.
Es bedeutete nur, dass alle anderen bereits tot waren.
»Kommt schon«, sagte sie. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Lass sie zurück , hörte sie Wordsworths Stimme sagen. Nur die Mission zählt .
Doch wenn sie diese zwei Menschen vor dem Tod bewahrte, würde das vielleicht einen kleinen Teil ihrer Seele retten.
Sie folgten ihr in die nächste Ebene hinab. Die Zugangsschleusen zu den Fluchtkapseln standen sperrangelweit offen und von den elektronischen Schlössern daneben war nur noch ein rauchendes Durcheinander übrig. Irgendjemand hatte sich bereits seinen Weg hinein freigeschossen.
»Oh nein«, keuchte Dearing.
»Vielleicht fehlen nicht alle«, sagte Liliya, dachte aber bereits weiter; überschlug die Zeit, die ihnen blieb, ihre Flugbahn, die Vorräte und die Leistungsfähigkeit der Lebenserhaltungssysteme. Sie wog die Möglichkeit, diese beiden Menschen und sich selbst zu retten, gegen den Auftrag ab, ihre Mission erfolgreich zu beenden. Ich bin so weit gekommen , dachte sie. Sie durfte sich jetzt nicht gehen lassen.
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