Vielleicht.
Doch wenn Xenomorphs im Spiel waren, schien das Chaos unausweichlich. Wann immer man mit ihnen experimentierte, ob an lebenden Exemplaren, Eiern oder Embryonen, nahm es ein böses Ende. Sie waren nicht dafür geschaffen, gefangen und studiert zu werden, und die Kreaturen hier an Bord, die man aus Proben von LV-178 erschaffen hatte, bildeten da keine Ausnahme. Es lag nicht in ihrer Natur, anderen zu gehorchen. Sie waren blutrünstige, gewalttätige Wesen. Und jeder Ort im Universum, an dem man auf sie stieß, schien unheilvoll und todbringend zu sein, ein Ort voller scharfer, schartiger Zähne.
Auch in der nächsten Ebene flackerten die Lichter und schienen sie heranzulocken. Eine matte, gläserne Form hing an einer der Wände. Ein Kommunikationsterminal. Sie wischte mit der Hand über den Bildschirm und eine schematische Darstellung des Schiffes erschien. Das Wort STATUS leuchtete auf. Liliya tippte die leuchtenden Buchstaben an und sah zu, wie sie erloschen. An ihrer Stelle erschien ein Warnhinweis.
Sie hielt den Atem an und las die Meldung noch einmal, obwohl das eigentlich nicht mehr nötig war. Sie verfügte über ein fotografisches Gedächtnis und ihr Erinnerungsvermögen war absolut. Das war der Grund gewesen, warum Wordsworth ausgerechnet sie für diese Aufgabe ausgewählt hatte. Andere wurden auf weitere Missionen innerhalb der Menschlichen Sphäre ausgeschickt, aber seinen Worten zufolge war es diese Mission, die am meisten zählte. Sie war von enormer Wichtigkeit. Was sie von der Evelyn-Tew mitnahm, würde darüber entscheiden, ob die Gründer triumphieren oder als unrühmliche, halb vergessene Fußnote der Geschichte enden würden.
Der Warnmeldung zufolge blieb ihr noch weit weniger Zeit, als sie befürchtet hatte. Das Schiff beschleunigte immer mehr und folgte einem Selbstzerstörungskurs, der es in weniger als einer Stunde mit Alpha Centauri kollidieren und verglühen lassen würde.
Liliya schloss die Augen und nahm ein paar tiefe Atemzüge.
Sie haben recht , dachte sie bei sich. Diese Kreaturen dürfen niemals …
Ein knisterndes Geräusch drang aus der Ferne heran, wie ein Klettverschluss, der aufgezogen wurde. Ein Ruf folgte ihm, doch die Worte waren unverständlich. Dann Schüsse und Schreie.
Liliya eilte zu den Treppenstufen in die nächste Ebene und begann, sie hinunterzusteigen. Ihre Schritte hinab waren vorsichtig, ihre Sinne geschärft, denn jede Bewegung und jedes Geräusch konnte Gefahr bedeuten. Sie hoffte nur, dass sie finden würde, weshalb sie hierher gekommen war. Jetzt, nachdem die Xenomorphs aus ihnen entkommen waren, stellten die Labors ironischerweise vielleicht sogar den sichersten Ort auf diesem Schiff dar.
Die Treppe mündete in einen kleinen Vorraum, von dem Korridore in mehrere Richtungen abzweigten. Irgendetwas Furchtbares musste hier passiert sein. Ein Körper saß aufrecht an eine Wand gelehnt. Sein Arm stand in einem unnatürlichen Winkel ab, und überall um ihn herum war Blut. Seine Waffe lag dicht neben ihm. Ein Gitterrost war aus dem Boden geschlagen worden, und aus dem Loch darunter schien die Dunkelheit in den Korridor zu kriechen.
Liliya ließ den Schauplatz schnell hinter sich, eine Geschichte, die sie nie erfahren würde. Ganz egal, ob es sich bei der Person um einen guten oder schlechten Menschen gehandelt hatte – sie hoffte, dass ihr ein schneller Tod vergönnt gewesen war.
Sie befand sich jetzt auf dem Forschungsdeck und nach einer weiteren Reihe von Türen erreichte sie den ersten Sicherheitsbereich. Ihre Hoffnung, dass die Türen aufgebrochen wurden oder bereits offen standen, wurde sofort zunichtegemacht. Aber darauf war sie vorbereitet. Während sie ein schmales Werkzeugetui aus ihrer Tasche zog, spürte sie einen dumpfen Schlag unter ihren Füßen, gefolgt von einem Dröhnen, das von weiter her zu kommen schien.
Das war eine Explosion . Sie blinzelte, neigte ihren Kopf zur Seite und lauschte angestrengt. Wenn sich eine Kettenreaktion ereignet haben sollte und das Schiff auseinanderzubrechen drohte, würde sie sich schnellstmöglich zum Landedeck oder den Rettungskapseln begeben müssen und ihre Mission wäre verloren.
Der Boden vibrierte ein wenig, doch das war alles. Das pochende Herz des Schiffes zeigte an, dass die Triebwerke weiterhin beschleunigten.
Was immer diese Explosion in der Ferne verursacht hatte, ging sie nichts an.
Zumindest jetzt noch nicht.
Sie kramte einen Decoder hervor und schloss ihn an den Verschlussmechanismus an. Während das Gerät damit beschäftigt war, die Kombination herauszufinden, zückte sie einige dünne Pinzetten und ein Lötmesser und machte sich daran, das erste der mechanischen Verriegelungssysteme zu öffnen. Die Mischung aus elektronischen Schlössern und althergebrachten Bolzenschlössern hatte ausgereicht, um Eindringlinge abzuhalten, aber Liliya war trainiert. Und sie war etwas Besonderes.
Nach weniger als einer Minute glitten die Türen auf und sie befand sich in der Hauptabteilung des Labors. Der gesamte Teil dieser Station war von einer gigantischen und verstärkten schützenden Struktur umgeben – eine Hülle innerhalb der Schiffshülle – mit eigenständig arbeitenden Systemen, die dafür konstruiert worden waren, zu verhindern, dass das, was sich darin befand, nach draußen gelangen konnte. Doch sie hatte eine Spur aus fehlerhaft arbeitenden Verschlusssystemen gelegt und die Xenomorphs hatten so einen Weg hinaus gefunden.
Sie erreichte eine der Luftschleusen, die ins Labor 3 führten, und spähte durch das dicke Diamantglas hinein. In den Labors herrschte Unordnung. Mehrere blutige und zerfetzte Leichen lagen zusammengesunken in einer Ecke und am hinteren Ende klaffte ein Loch in der Wand.
Labor 2 war angefüllt mit Rauch. Sie konnte wenig darin erkennen außer ein paar verschmierten Striemen blutiger Hände an der Innenseite der Fenster.
Zwischen Labor 2 und ihrem Ziel, Labor 1, befand sich der Hauptlagerraum, dessen Wände noch dicker und stärker gepanzert waren als die Außenhülle des Schiffes selbst. Nie hätte sie gewagt, sich hier drin an etwas zu schaffen zu machen. Hier wohnte der Tod. Und ironischerweise auch gleichzeitig die Quelle einer furchtbaren Lebensform.
Die Königin.
Liliya hatte sie ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, und die Erinnerung daran hatte sie mit einer breiten Palette an Albträumen versorgt, die sie sich niemals auch nur hätte ausmalen können. Und selbst aus dieser Entfernung konnte sie spüren, wie sie eine Gänsehaut bekam und ihr das Blut in den Adern gefror.
Sie hastete an der nichtssagenden schweren Tür vorbei und spürte dahinter die Präsenz eines grässlichen Bewusstseins.
Ob sie weiß, was hier passiert? Ob sie versuchen wird, sich zu befreien, sich von ihrem Brutsack loszureißen?
Liliya schalt sich für ihre Gedanken. Sie musste sich konzentrieren, und ihre Mission galt nicht der Königin.
Labor 1 war ebenfalls abgeschottet, und sie musste erneut ihre Fähigkeiten im Schlösserknacken unter Beweis stellen. Als sich die Türen zischend öffneten, presste sie sich mit dem Rücken gegen die Wand und wartete auf das Kreischen und die Attacken.
Aber alles blieb still.
Sie huschte hinein und machte sich an die Arbeit.
In weniger als einer Minute hatte sie ein paar der Verteidigungsprotokolle umgangen, Zugang zum Hauptrechner erlangt und den Download aller Informationen eingeleitet, die sie suchte. Drei Minuten später waren alle Festplatten, Datenclouds und Quantenspeicher des Schiffes und darüber hinaus leer geräumt. Nun war Liliya die Einzige, die über jedes Detail der Forschungsarbeiten an Bord der Evelyn-Tew verfügte.
Die Gelehrten an Bord des Schiffes hatte herausragende Arbeit geleistet. In den letzten Jahren hatten sie mehr über die Xenomorphs in Erfahrung bringen können als in mehreren Jahrhunderten zuvor – und nun hatte sie dieses ganze Wissen gestohlen.
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