Es war wundervoll, auf dem Land und unter den Olivenbäumen mit meinem kleinen Youns spazieren zu gehen. Er lächelte mich an, während er meine Hand nahm und darauf achtete, nicht über die Steine zu stolpern. Oft malte ich mir aus, was wohl aus meinem Kind werden würde, wenn meine Schwiegermutter mich umbrächte und Bilal ihn ihr anvertrauen würde. Ich hatte begonnen, die Familie von Bilal zu hassen. Gleichzeitig kämpfte ich gegen dieses negative Gefühl, weil Gott ja nicht wollte, dass ich meine Nächsten hasste. Doch das überforderte mich, ich glaubte zu explodieren und zu sterben. Zum ersten Mal wurde ich von Panikattacken übermannt – von einer Angst, die meinen Kopf, meine Gefühle und meinen Körper vollständig einnahm. Dieses Grauen ließ mich erzittern und mir förmlich das Blut in den Adern gefrieren, auch wenn es draußen heiß war. Ich hatte solche Angst zu sterben, und ich dachte immer wieder an die Worte meiner Schwiegermutter: »Ich erledige dich, wenn du es wagst, meinem Sohn auch nur ein Wort zu sagen.«
Was meinen Kleidungsstil betraf, so war diese einigen Personen auf dem Land nicht sehr willkommen. Offenes, langes Haar und ein Kleid mit kurzen Ärmeln, das gerade bis unter die Knie reichte. Doch da dies die Angelegenheit meines Mannes war, sagte niemand etwas dazu. Bilal gefiel es nicht, wenn ich mich traditionell kleidete, wie mit der Djellaba. Mir gefiel dies auch nicht und hatte es nie gefallen. Einmal hatte eine alte Frau zu mir gesagt: »Bedecke dein Haar! Du weißt, dass es bei uns eine Schande ist, es offen zu tragen, oder?« Doch meine Mutter hatte eingegriffen und gesagt: »Lass sie in Ruhe, wenn es ihr Ehemann erlaubt, hat sich keiner einzumischen.« Meine Mutter ließ keine Gelegenheit aus, Bilal als meinen Herren und Besitzer in jeder Hinsicht darzustellen, doch sie tat dies zu ihrem eigenen Vorteil, aus finanziellen Gründen. Nach ein paar Tagen kam meine Schwiegermutter wutentbrannt zu uns, ein herrischer Ausdruck auf ihrem Gesicht, und sagte zu Bilal: »Wie kannst du deine Familie in unserem Haus auf dich warten lassen, während du hier auf dem Land bist?« »Wie du siehst, bin ich hier mit meiner Frau und meinem Sohn.« Dann sagte sie mit nachdrücklicher Stimme: »Mein Sohn, wenn deine Frau bei ihrer Familie bleiben will, dann kann sie da gerne bleiben, aber du gehörst zu deiner Familie, dein Platz ist bei uns, mein Sohn.« Schließlich gehorchte Bilal seiner Mutter und folgte ihr, und ich musste ihm folgen. Nach ein paar Tage fuhren wir in die Wüste zu seinem Bruder Meshoud. Ich war glücklich, meine Schwägerinnen Hadda und Karima wiederzusehen, die beide die Ehefrauen meines Schwagers Meshoud waren. Karima und Hadda hatten sich gut miteinander verstanden. Sie wohnten im selben Haus, mit zwei Zimmern und einem Wohnzimmer, einer Küche und einem Bad. In der Mitte des Hofes war ein runder Ofen, in dem sie die Fladenbrote über einem Feuer, dessen Nahrung aus Sträuchern bestand, backten. Auf der ganzen Welt gab es kein besseres Brot als dieses. Hadda und Karima hatten jede ihr eigenes Zimmer. Meshoud verbrachte eine Nacht mit der einen und die nächste Nacht mit der anderen Frau. Doch wenn es vorkam, dass er mit einer von ihnen stritt, wurde der Arme von beiden Frauen weggeschickt und musste in der Küche auf einer Matratze schlafen. Die Frauen hatten dies so vereinbart. Ich bemerkte, dass zwischen Hadda und Karima eine große Verbundenheit bestand. Sie halfen sich gegenseitig wie zwei Schwestern. Es war für mich ein Vergnügen, wie sie sich beide gegen ihren Ehemann verbündeten, wenn es ihnen dieser nicht recht machte. Sie waren sich sogar darüber einig, wie sie mit der Boshaftigkeit unserer Schwiegermutter und Schwägerinnen umzugehen hatten. Hadda hatte unserer Schwiegermutter verboten, auch nur einen Fuß in ihr Haus zu setzen. Sie erzählte, dass, als die Schwiegermutter einmal versucht hatte, sie zu besuchen, sie sie davongejagt hatte. Hadda, die auch von unserer Schwiegermutter gehasst wurde, klärte Bilal über die Boshaftigkeit seiner Mutter mir gegenüber auf und riet ihm, mich von ihr fernzuhalten. Sie erzählte ihm, dass unsere Schwiegermutter ständig versuchte, mich mit schwarzer Magie zu verzaubern, damit ich krank würde und mich von ihm trennte. Hadda schwor bei Gott, dass sie gesehen hatte, wie sie versuchte, mich mit schwarzer Magie zu verfluchen. Während sie sprach, lief ein kalter Schauer meinen Rücken hinab, und ich verspürte Angst. In diesem Augenblick schien Bilal seiner Schwägerin zu glauben, doch sobald wir wieder bei seiner Mutter wären, hätte er alles wieder vergessen. Es war, als ob seine Mutter ihn hypnotisierte, doch ich wusste nicht wie.
Meine Schwägerin Karima hatte ihr erstes Kind bekommen, und Hadda umsorgte es, als wäre es ihr eigenes. Hadda war die erste Frau von Meshoud, doch sie konnte keine Kinder bekommen und war außerdem älter als er. Das war auch der Grund dafür, warum sie von meiner Schwiegermutter gehasst wurde und warum diese seit Jahren versuchte, sie aus dem Leben ihres Sohnes zu vertreiben. Aber Meshoud liebte Hadda und wollte sie daher nicht verlassen. Beide hatten vereinbart, dass er eine jüngere Frau heiraten würde, um Kinder zu bekommen und dass sie als große Familie zusammenleben würden. Und so war es. Karima hatte noch weitere Kinder und alle lebten gemeinsam unter einem Dach. Nach einem Monat kehrten wir in die Schweiz zurück, während Markus in Marokko blieb und durch Nordafrika reiste.
Ab der Rückkehr aus Marokko hatte sich Bilal verändert und wurde mir gegenüber kalt. Alles störte ihn und er wollte allein sein, um nachzudenken. Er hatte keine Lust zu reden, noch war er in Gesellschaft seiner Freunde so fröhlich wie sonst. Er klagte über Kopfschmerzen und wollte nicht gestört werden, die Wochenenden verbrachte er damit, zu schlafen. Er ging immer seltener mit mir und Youns aus, und wenn, dann nur widerwillig. Er lebte in einer Welt wo er seinen Trost im Alkohol gefunden hatte. Dies machte mich fürchterlich traurig und ich fühlte mich allein. Ich verbrachte die Abende und Wochenenden mit Hausarbeit oder Lesen oder traf mich mit meinen Freunden. Ich war überzeugt davon, dass seine Mutter ihn auf irgendeine Weise negativ beeinflusst hatte. Manchmal sprach er mit mir über seine Träume und seine Wünsche, doch unsere finanzielle Situation ließ es nicht zu, seine Träume umzusetzen und dies gab ihm ein Gefühl der Machtlosigkeit. Er war sprichwörtlich gefangen in den Klauen seiner Familie und musste für sie wie ein Esel arbeiten. Gott sei Dank erholte er sich von dieser Krise, die allerdings mehrere Monate andauerte.
Die Schwangerschaft und die Geburt
Mein Leben mit Bilal verlief scheinbar normal, manchmal besser, manchmal schlechter. Unserer Gemeinschaft basierte nicht auf Liebe, sondern auf dem Willen der Tradition. Bald war ich erneut schwanger und wir freuten uns beide sehr auf ein weiteres Kind. Ich war so glücklich und konnte es kaum abwarten, diese gute Nachricht meinen Freundinnen zu berichten, erlebte dann jedoch eine böse Überraschung. Eine von ihnen reagierte gar nicht positiv, sondern schimpfte mich aus und gab mir das Gefühl, eine schwere Sünde begangen zu haben. Sie fragte mich, ob ich denn nichts Besseres zu tun habe, als Kinder zu gebären. Ob ich mir nicht darüber im Klaren wäre, wie schwer es in der Welt war, in der wir lebten, und dass es nicht gut sei, Kinder in die Welt zu setzen, die darunter litten. Ich sah sie verwirrt an. Ich legte meine Hand auf meinen Bauch und brach in Tränen aus, weil ich mich schuldig fühlte. Doch ich war nicht wirklich davon überzeugt, einen Fehler gemacht zu haben. Ich habe nie bereut, mit diesem wundervollen Kind schwanger gewesen zu sein, aus dem inzwischen ein prima Mann geworden ist. Ich ging sogar weiter zur Arbeit und fehlte bis zur Geburt nicht einen Tag. Mein Chef sagte oft: »Frau Laoula, machen Sie langsam, Sie arbeiten zu viel für Ihren Zustand.« Ich war klein und dünn mit einem großen Bauch, und doch hörte ich nicht auf seine Ratschläge. Ich war erfüllt von einer inneren Pflicht, die mich schnell und ohne Pause arbeiten ließ. Ich hatte immer Angst, angeschrien zu werden, wie es mir in meiner Vergangenheit ergangen war, von meinen ehemaligen Herren, und das hatte sich mir in den Kopf eingebrannt. Niemand konnte dieses Programm löschen, bis zu dem Tag, an dem ich beschloss, mich dagegen aufzulehnen.
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