„Und diese beiden Schönheiten“, führte er fort und deutete auf die weiblichen Figuren, die hinter Viktor und Orgun standen, „habe ich Lavendia und Augustine getauft.“
Abby ließ den Moment auf sich wirken.
„George, deine Kunst ist so inspirierend, doch ich fürchte, in Salem wird niemand von ihnen Notiz nehmen. Schlimmer noch, vielleicht werden die Leute dich für einen Ketzer halten und dich töten“, in Abigails Stimme lag Furcht. Sie wollte George um keinen Preis verlieren, ebenso wenig wie er sie.
„Was schlägst du also vor?“, fragte der Künstler.
„Wir müssen sie aus Salem herausschaffen. Hier ist nicht der richtige Ort für deine Kunst. Glaub es mir oder nicht, ich habe das Gefühl, dass es in Salem schon bald zu Unruhen kommen wird. London ist eine große Stadt mit vielen gebildeten Leuten. Ich kenne dort jemanden, der eventuell Interesse an deinen Skulpturen haben könnte. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.“
„Oh Abigail“, jauchzte George, ging zu ihr rüber und legte seine rauen Handwerkerhände um ihre zarten Elfenfinger, „du bist so gut zu mir, wie habe ich das nur verdient? Dein Plan klingt durchaus gut, aber er würde eine Unsumme an Geld verschlingen, das ich leider nicht habe.“
„Überlass das nur mir, Liebster“, fügte sie schlussendlich hinzu, ehe die beiden einander küssten und Abschied nahmen. Abigail wies George an, niemandem sonst von seinen Gargoyles zu berichten. Mithilfe von loyalen Freunden schaffte Abigail die Skulpturen über Nacht aus Georges Werkstatt und buchte ein Schiff nach London zur Überfahrt. Die Gargoyles als Fracht verladen, setzten George und Abigail am Morgen des 26. Junis im Jahre 1602 Segel nach London. Niemand der Besatzung ahnte, dass sie einen blinden Passagier bei sich hatten, der dem liebenden Paar ihr Glück rauben und an die Krähen verfüttern würde.
Drei Tage dauerte die Überfahrt. Eine Zeit, in der George und Abigail von wohligem Glück begleitet waren. Nicht zuletzt, weil die gute Hexe ein kleines Geheimnis unter ihrem Herzen trug, welches sie dem Künstler nach ihrer Ankunft in der Stadt mitteilen wollte. Londons Hafen stank nach Fisch, der salzigen Seeluft und dem fauligen Atem der Menschen. Als Abigail und George ihre Kajüte verließen, drang wildes, ungehobeltes Pöbeln der Seemannsleute an ihre Ohren. Die Möwen zogen hoch oben in der Luft ihre Kreise, erfüllten sie mit ihrem Kreischen, das wie ein Sägeblatt über Stein geschliffen klang. Sie tummelten sich auf den Balken der vielen Anlagebrücken und spekulierten darauf, dass ein unvorsichtiger Seemann irgendwo einen Fisch fallen ließ. Die raue Anlegestelle lag schon bald hinter George und Abigail, die sich in Richtung Stadt aufmachten. Die gute Hexe hatte dem Direktor des Museums of Art geschrieben und ihn um ein Treffen gebeten. Sie hatte Georges Kunst in den höchsten Tönen gelobt. Ihm selbst erschien seine Situation noch zu surreal, etwas, das nicht von Menschenhand, sondern von Magie gelenkt wurde. Am erwählten Treffpunkt luden die Arbeiter Georges Skulpturen von den Wägen und trugen sie ins Innere des Gebäudes. Es ging für die Gargoyles tief hinab in das Kellergewölbe. Versteckt unter Linondecken stellten die Arbeiter, die beim Verladen ziemlich ins Schwitzen gekommen waren, die Figuren schließlich eine nach der anderen ab. Der Direktor war schon vor Ort. Georges Augenblick war gekommen, er enthüllte seine Kunstwerke. Der Direktor, ein dickbäuchiger Mann namens Andrew Powell, der ein Monokel trug und eine Vorliebe für Spitzbärte hatte, betrachtete die Gargoyles mit hochgezogenen Brauen. Das Kellergewölbe war gut beleuchtet, sodass er die Darbietung problemlos sehen und beurteilen konnte. Georges Herz schlug ihm bis zum Hals. Er wusste nicht, wie er Mister Powells Gesichtsausdruck und sein gelegentliches Grunzen zu interpretieren hatte. Hoffentlich war die Fahrt nicht vergebens gewesen.
„Nun, Mister Steam“, begann der Direktor und schürzte seine Lippen, „ich wünschte, wir hätten uns früher kennengelernt. Ihre Skulpturen sind außergewöhnlich und ihre Machart deutet auf Brillanz hin. Ich darf Ihnen also gratulieren, George. Mit meiner Hilfe werden Sie bald zu einem der bekanntesten Künstler in ganz London aufsteigen. Ihre, wie nennen Sie sie noch gleich, Gargoyles, diese Figuren werden schon bald sämtliche Kirchen der Stadt zieren, oh was rede ich da, der ganzen Welt.“
Georges Knie wurden weich. „Danke, Mister Powell, das bedeutet mir sehr viel.“
Der Direktor schüttelte George kräftig die Hand. „George, laufen Sie mir ja nicht weg, mein lieber Junge. Ich sehe Sie dann morgen früh wieder und werde dann alles Weitere mit Ihnen besprechen. Ich möchte nicht zu voreilig sein, George, aber bei Ihrem Talent würde es mich nicht wundern, wenn das Königshaus Sie schon bald engagiert.“
Dem Schein der vielen Fackeln folgend, verließ Mister Powell George und Abigail. Seit ihrem Aufbruch aus dem Hafen hatten die beiden endlich wieder einen Moment für sich.
„Meine liebste Abby“, schwärmte George“, nur dir habe ich das zu verdanken.“
„Doch nur dir gebührt der Ruhm. Der Direktor hat recht, du hast so viel Talent, George, du darfst es nicht an einem so kümmerlichen Ort wie Salem lassen.“
Sie trat näher an ihn heran. „Mein Liebster, da gibt es etwas, dass ich dir noch sagen möchte. Ich trage dein Kind unter meinem Herzen.“
George wusste zunächst nicht, wie er auf Abbys Geständnis reagieren sollte. Er fühlte so vieles durch seine Brust rauschen wie einen Sturzbach. Vor allem aber erfuhr er Glückseligkeit, die ihn für einen kurzen Moment sprachlos machte.
„Abby … das … ist… einfach nur WUNDERBAR!“
Er hob seine Angebetete auf seine Arme und drehte sich mit ihr im Kreis.
„Ich liebe dich, Abigail. Ich habe dich schon immer geliebt. Du bist die Eine, die ich an meiner Seite haben möchte, für jetzt und …“
„… für immer und in aller Ewigkeit, Amen“, sagte eine kaltherzige Stimme, die plötzlich aus dem Nichts drang.
Ihre bitterböse Aura ging ihr wie ein Schatten voran, als Tabitha sich zu erkennen gab. Sie war wie stets in schwarze Kleidung gehüllt, man hätte meinen können, sie ginge auf eine Beerdigung.
„Ich wusste es, dass ihr beiden hinter meinem Rücken miteinander anbandelt“, spuckte die böse Hexe wütend aus. Ihre grünen katzengleichen Augen funkelten, als wäre ein Vulkan explodiert.
„Tabitha, lass mich dir das erklären“, versuchte George sie zu beruhigen.
„ Du elender Verräter, wage es ja nicht, dich herauszureden! Ich habe dir mein Herz geschenkt und das ist dein Dank dafür? Dass du dich für meine langweilige Schwester entscheidest?“
„Lass ihn in Ruhe, Tabitha, das geht nur dich und mich etwas an.“
Abigail stellte sich schützend vor George. Tabitha schlich wie ein räuberisches Biest vor ihr hin und her. Das Messer, des an ihr begangenen Verrates, stach ihr tief ins Herz, sodass die schwarze Hexe vergaß, was sie für George je empfunden hatte. Sie griff die beiden an. Grüne Blitze zuckten aus ihren Händen und richteten sich wie fliegende Speere gegen ihre Schwester. Abigail wurde nach hinten geschleudert. George verlor dadurch seine Deckung und wurde Opfer von Tabithas entfesselter Macht. Ein Blitz traf ihn an seiner Schläfe und er viel bewusstlos nieder. Abigail hatte sich vom Angriff ihrer Schwester wieder aufgerappelt. Obgleich sie Trägerin des Guten war, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihrer boshaften Blutsverwandten zu stellen. Sie konterte Tabithas Angriff mit einem bläulichen Strahl, der die grünen Blitze zerbrechen ließ wie ein herunterfallender Porzellanteller. George kam wieder zu Bewusstsein. Er glaubte zunächst, einem üblen Traum aufzusitzen, als er die beiden Frauen kämpfen sah. War es denn möglich? Abigail und Tabitha waren Hexen? Unter dem vielen Schmerz fühlte er seine moralische Welt allmählich einstürzen wie ein schlecht gezimmertes Haus. Die Schwestern lieferten sich einen erbitterten Kampf, Gut versuchte Böse zu besiegen, Böse konterte mit weiteren Blitzen und gedachte, das Gute zu unterjochen. Aber die dunkle Seite in Tabitha hatte zu viel Macht und so brach sie Abigails Schutzschild. Die gute Hexe strauchelte nach hinten, Tabithas grüne Blitze schlugen in ihre Schulter ein, machten sie kampfunfähig. In seiner hilflosen Lage musste George mit ansehen, wie seine schwangere Geliebte keuchend am Boden lag. Ihr Brustkorb ging zunächst in hechelnden Abständen schnell auf und ab, ehe er sich abgeflacht und arrhythmisch bewegte. Triumphierend lächeln stellte Tabitha sich wie ein bedrohlicher Schatten über George.
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