»DA!« Schreiber schnellt auf dem Beifahrersitz hoch: »SCHAU!«
Ich erschrecke fürchterlich, obschon sie nicht bedrohlich klingt, sondern so, als hätte sie sechs Richtige im Lotto erzielt. Ein kurzer Kontrollblick zur Seite eröffnet mir aber, dass wir nicht etwa auf einmal steinreich sind, im Gegenteil: Schreiber hat bloss das ultimative Parkfeld entdeckt, ein offenbar eigens für uns geteerter Fleck.
Sie haut den Zeigefinger ans Seitenfenster: »HIER! FAHR HIER REIN!«
Tatsächlich trete ich unwillkürlich auf die Bremse; ein Reflex, ausgelöst durch die Lautstärke ihrer Forderung. Ich reisse das Lenkrad herum, unmittelbar danach übernimmt mein klares Denken wieder die Kontrolle und sagt mir, dass es absurd sei, was gerade geschehe. Richtig! »Weisst du«, knurre ich Schreiber an, »ich wollte nie ein Auto mit Parkassistent. Aber irgendwie vergesse ich immer wieder, dass du neben mir sitzt!«
SIESchneider regt sich auf und schimpft: »Traust du mir nicht zu, einen Parkplatz zu finden?«
Naja, er stellt sich auch in anderen Dingen nicht immer nur geschickt an. Ich sage: »Ich will doch nur helfen.«
»Helfen?«
»Ja! Während du am Steuer sitzt und dich konzentrierst, sehe ich einfach mehr. Zum Beispiel diesen Parkplatz, an dem du nun fast vorbeigefahren wärst. Der ist nämlich perfekt, weil hier die Wägelchen stehen«, erkläre ich.
»Wägelchen? Wir holen einige Schrauben, da wäre ein Korb noch zu viel«, antwortet er – und gibt wieder Gas. Nur um ein paar Meter entfernt auf einem Parkplatz seiner Wahl zu landen.
Kindisch, echt.
»Und, geht es dir jetzt besser?«, will ich wissen.
Er mosert: »Es nervt, dass du befiehlst, wo ich parken soll!«
»Ich befehle nicht, ich empfehle. Und du hast doch grad eben gesagt, ich sei deine Parkassistentin …«
Er schnauft und sagt: »Ich habe doch nicht dich gemeint! Ich habe diese elektronischen Ultraschallsensoren gemeint, die das Auto selber in die Lücken hineinmanövrieren!«
»Ach, und so eine wäre die lieber?«, frage ich.
Er zieht den Schlüssel aus der Zündung und sagt: »Nein, aber die könnte ich wenigstens auf lautlos stellen.«
ICH MACH MIR DIE WELT, WIE SIE MIR GEFÄLLT.
Pippi Langstrumpf
»Hier, nimm die Schlafbrille!«
Der längste Tag
EREin gemeinsames Schlafzimmer hat Gutes, aber nicht nur: Zum Beispiel ist das Lichtbedürfnis von Schreiber und mir sehr unterschiedlich. Ich mags rabenschwarz, sie taghell.
»Hier, nimm die Schlafbrille, so wirds zappenduster«, sagt sie, als sie beim Insbettgehen die Rolläden aufmacht und die Strassenlaternen ihr grelles Licht in unser Zimmer schleudern.
Schlafbrille! Wann kapiert sie, dass eine Schlafbrille sich bei jeder Drehung verschiebt? Die hing mir morgens auch schon am Kinn. »Schlafbrillen prinzipiell nur im Flugzeug!«, sage ich. »Und unser Bett ist kein Jet.«
»Sei nicht heikel. Ich kenne viele Leute, die damit schlafen.«
»Ach, wen denn?«
»Na, ja, viele ist etwas übertrieben«, gibt sie kleinlaut zu. Es ist zum Verzweifeln. Unsere Lichtdiskussion ist nie erhellend. Wir werden uns seit Jahren nicht einig. Und wenn andere sich über den längsten Tag freuen, denke ich bloss an die kürzeste Nacht. Immerhin, ein Gegenmittel gibts: abtauchen im Gästezimmer. Schreiber versteht das nicht: »Wo liegt das Problem? Du stehst doch gerne frühmorgens auf!«
Absolut, ich liebe das Morgenlicht! Aber nur dann, wenn ich vorher einige Stunden in Dunkelheit schlafen durfte.
SIEMein Maulwurf verbuddelt sich unter Kissen, seufzt überlaut, wenn ein Spalt breit Licht ins Zimmer strahlt, und wirft sich dann demonstrativ auf die andere Seite. Er will es kellerdunkel, bis der Wecker klingelt. Ich ticke anders: »Ich wache besser auf, wenn ich den Tag kommen sehe«, erkläre ich ihm zum wiederholten Male.
»Wie kannst du ihn kommen sehen, wenn du die Augen zu hast?«, kontert Schneider.
»Ach, dann ist es bei dir also zappenduster, wenn du die Augen schliesst?«
Schneider denkt nach, merkt, dass er ein Eigentor geschossen hat, und sagt: »Es ist genetisch geregelt: Dunkelheit heisst Schlafen, Helligkeit heisst Wachsein.« Er steht auf, kurbelt die Rollläden wieder runter und schlüpft zurück ins Bett.
Ich sehe gar nichts mehr – wie kann ich da schlafen? Wäre es eine Lösung, abwechslungsweise mal hell, mal dunkel zu pennen? Oder soll ich Schneider eine passgerechte, unverrutschbare Schlafbrille schneidern?
Sein Atem geht ruhig. Ich warte noch ein Weilchen. Er schläft. Ich stehe sachte auf und kippe dann gaaanz leise die Lamellen unserer Storen, damit am Morgen Sonnenlicht meine Nasenspitze kitzeln kann. Ist nämlich immer noch die allerbeste Lösung: helldunkel einschlafen und hellheiter aufwachen.
»Das täte dir sicher gut.«
Fitnessqueen
SIE»Soll ich heute mal wieder ins Fitness?«, frage ich Schneider beim Frühstück.
»Ja. Das täte dir sicher gut.«
»Ja« hätte gereicht, denke ich und sage: »Ich könnte eben grad gehen.«
»Mach nur! Du warst ja schon lange nicht mehr«, Schneider lächelt mich aufmunternd an. Da fällt mir ein: »Das Problem ist, dass ich nach dem Training fix und fertig bin. Und ich muss heute noch arbeiten.«
»Dann verausgab dich halt nicht so.«
»Geht nicht. Es ist echt anstrengend, wenn ich dauernd den Bauch anspanne.«
»Und wozu machst du das?«, fragt er.
»Ich stelle mir jeweils vor, dass ich für ‹Brigitte Woman› ein Fotoshooting habe. ‹Muckis für Mutti› oder so.«
Schneider grinst: »Du sollst trainieren, nicht denken.«
»Und sobald ich in die Spiegelwand gucke, sehe ich neben mir Jane Fonda hopsen.«
»Was? Wusste gar nicht, dass die hier ins Fitness geht.«
»Ich meinem Kopf, Mann! In den 80ern, da trug sie doch diesen hautengen, pinken Anzug und hatte kein Gramm Fett. Heute ist sie fast 80 und immer noch so schlank. Voll diszipliniert.«
»Aha, und was willst du damit sagen?«
»Dass ich das sowieso nie schaffe. Ich bin einfach ein anderer Typ. Weisst du was? Ich lass das Training besser sausen. Es tut mir einfach nicht gut.«
ER»Wenn du dich so viel bewegen würdest, wie du dir Gedanken darüber machst, ob du dich bewegen sollst, dann wärst du topfit«, sage ich zu Schreiber, die soeben beschlossen hat, ihr Fitnesstrainig zum 812. Mal ausfallen zu lassen.
»Musst du mir noch eins auf den Deckel geben?«
»Nein. Aber wieso beredest du mit mir, ob du ins Training gehen sollst, wenn du gar nicht willst?« Schreiber wettert: »Ich möchte schon, aber ich kann halt nicht!«, dann stürmt sie aus der Küche.
Ich seufze. Hab’ mal darüber gelesen, welch seltsames Wesen der Mensch sei: Einerseits will er sich regen, andererseits vermeidet er jede Art von Tatendrang. Eindeutig zwei verschiedene Seelen im Bewegungsapparat. Die beiden gegensätzlichen Zustände sind freilich kein Problem, wenn man mal faulenzt und dann wieder mit Elan herumhüpft.
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