Schiefer Leuchtensegen
ERSchreiber hat eine neue Pendelleuchte für unseren Esstisch gekauft. Eine hohle Halbkugel, aussen weiss, innen goldfarben, erinnert irgendwie an eine Satellitenschüssel. Sie strahlt: »Ein Designerstück. Aber nicht teuer!«
Dann blickt sie an die Decke und fragt: »Soll ich den Elektriker anrufen?«
»Ich kann das«, antworte ich und stelle als Erstes fest, dass das Stoffkabel an der neuen Leuchte zu kurz ist. Na, toll!
In der Werkstatt liegt irgendwo ein altes Plastikkabel, das kann ich provisorisch verwenden, bringe Lüsternklemmen und Abisolierzange mit zurück, knipse das Stoffkabel zweimal durch, schabe mir mit dem Schraubenzieher den Finger auf, fluche, ein Kupferdrähtchen bohrt sich schmerzhaft unter meinen Fingernagel, zum Schluss sieht die Kombi aus Plastik- und Stoffkabel scheusslich aus.
Schreiber flötet aus der Stube: »Kann ich helfen, du atmest so laut?«
»Ich atme ganz normal«, sage ich.
»Du klingst aber etwas gereizt.«
»ICH BIN NICHT GEREIZT!«
»Also doch«, sagt sie, taucht in der Küche auf und guckt. »Hast du die Sicherung rausgenommen?«
»Für wie doof hältst du mich?«
»Gar nicht, ich will dich einfach nicht verlieren.«
»Mich?« Ich lache gallig, verloren geht hier anderes: Geduld und Nerven.
SIEIch finds toll, dass Schneider unsere neue Lampe schwupps montiert. Früher hat so etwas bei ihm Jahre gedauert, jetzt legt er sich flott ins Zeug.
Allerdings seufzt er etwas oft. Ausserdem rennt er ständig in die Werkstatt und bringt irgendwelche Ersatzkabel zurück, weil das an der Lampe zu kurz sei. Das wusste ich, darum wollte ich ja auch den Elektriker.
Schneider steht unterdessen auf dem Küchentisch, fuchtelt, seufzt, flucht. Dann faucht er, dass ich einen völlig unüberlegten Kauf gemacht hätte, dass wir uns länger hätten Zeit lassen sollen, dass er hätte dabei sein müssen.
Nun, ich bin halt spontan. Und ja, Hängeleuchten sind eine Wissenschaft für sich. Deshalb habe ich ja auch kein teures Teil gekauft. Und sowieso: »Falls sie nicht passt, tausche ich sie um«, sage ich.
»Geht nicht, ich habe das Stoffkabel zerschnitten.«
Das ist jetzt echt ärgerlich, denn sooo günstig war sie nun auch wieder nicht. Schneider fixiert einen Haken an der Decke, hängt die Lampe dran, klettert vom Tisch.
Wir gucken beide hin. Die Lampe hängt komplett schief. Schneider schimpft: »Die passt überhaupt nicht zum Raum.«
Ich sehe das anders: »Wenn wir den Raum schräg stellen, könnte es gehen.«
ERSie sind mir erst kürzlich aufgefallen. Ich wollte etwas sagen, aber da klingelte das Telefon, und Schreiber ging dran. Seither habe ich noch ein paarmal hingeschaut, aber der Zeitpunkt, um mich dazu zu äussern, passte nie. Muss ja auch nicht sein. Gehören irgendwann einfach dazu. Bei mir spriesst es ja auch in Grau und noch dazu nur noch spärlich. Ist auch nicht so wichtig, es geht um Liebe und nicht um die Haarfarbe, die jetzt …, ja wie nennt man diesen Ton eigentlich genau? Unbunt?
»Mama, du hast total graue Haare am Ansatz! Da beim Scheitel«, ruft unsere Tochter beim Frühstück und zeigt mit dem Finger auf Schreibers Kopfhaut. »Krass!«
Schreiber schluckt, dann lacht sie etwas wacklig und meint: »Ja, die sind ganz schnell gekommen. Quasi über Nacht.«
Wir nicken.
»Stört es euch?«
Unsere Tochter schüttelt den Kopf, ich auch, dann blickt sie zu mir: »Dass du nie was gesagt hast? Ich dachte schon, du traust dich nicht, darüber zu reden, dass ich grau werde.«
Ich weiss nicht, was ich sagen soll.
»Bitte, wenn dich an mir etwas irritiert, dann sprich darüber. Sonst verunsichert mich das. Nichts zu sagen, finde ich nämlich richtig schlimm«, fährt sie fort.
Nun, dann sage ich jetzt doch etwas.
Am besten ganz schnell.
Aber ich weiss einfach immer noch nicht, was.
SIEJetzt ist es draussen! Mir sind die silbrigen Haare an meinem Scheitel schon länger aufgefallen. Sie kamen aus dem Nichts, innerhalb von Wochen. Und mit ihrem spontanen Wuchs tauchten auch die Fragen auf: Macht es mich alt? Stört mich das Grau? Und: Stört sich Schneider daran? Keine Ahnung. Er sagt ja nichts. Darum bin ich froh, dass meine Tochter meinen Farbwechsel derart locker thematisiert. Genau so sollte man übers Älterwerden reden: frisch von der Leber weg. Ich probier’ das grad mal aus und sage möglichst überzeugend in die Runde: »Färben? Nein, ich lasse meine Haare machen, was sie wollen.« Dass ich vor ein paar Tagen daran gedacht habe, diesen weissen Wirbel mit blonden Strähnen wegzuschummeln, behalte ich für mich.
Schade, bin ich nicht so selbstbewusst wie meine Freundin, die ihre grauen Haare ohne künstlichen Ton trägt und toll aussieht.
Schneider hat sich immer noch nicht zum Thema geäussert. Ich versuche, ihn aus seiner Sprachlosigkeit zu befreien, und sage: »Übrigens liebe ich deine grauen Haare, vor allem die auf der Brust.«
Schneider grinst und zwinkert mir zu.
Das einzig wirksame Mittel gegen Grau haben wir beide auf Lager: unseren Humor.
»Deckel und Türe zu!«
Warmbader
ERIch gehe ins Bad, muss mal, und als ich spüle, lese ich über dem Kasten eine Botschaft, sauber mit unserer Beschriftungsmaschine ausgedruckt: »Deckel und Türe zu! Bitte! Der Hausmeister.«
Der Hausmeister? Haben wir einen neuen Mitbewohner? Noch dazu einen, der Vorschriften macht?
Natürlich nicht!
Das ist Schreiber, ganz klar. Sie liebt es, mit hochoffiziell wirkenden Nachrichten ihre Anliegen zu verbreiten. Zum Beispiel hing einst eine komplizierte Tabelle mit Hundegassi-Uhrzeiten, detaillierter Wochenplanung, Streckenvorschlägen und unseren Familienmitgliedern laminiert in der Küche an der Wand. Sah wichtig aus. Wie der Einsatzplan einer grossen, erfolgreichen Firma. Dann erklärte sie, dass jeder von uns jeden Hundespaziergang mit einem Magnet markieren und dann zum nächsten Namen auf der Tabelle schieben müsse. So wären die Dienste gerecht verteilt. Diese Pflicht-Uhr kannte sie von ihrer WG-Zeit.
Wir nickten alle, ich ging weiterhin viel mit dem Hund, die Mädchen eher wenig wie immer, und der Magnet blieb, wo er war. Die Liste verschwand eines Tages, unbenutzt und wirkungslos.
Und jetzt ordnet ein Hausmeister an: zumachen! Ich frage: vorher, nachher, während?
Aber vor allem: warum?
SIE»Warum?«, fragt Schneider.
»Weil das laut Feng Shui Geld spart, wenn der Deckel zu ist. Habe ich dir schon tausendmal erklärt.«
»Du glaubst an Feng Shui?«
»Nur beim Klodeckel.«
»Und die Türe?«
»Weil wir im Bad heizen, und die Wärme dann drinbleibt. Ich mag ein warmes Bad.«
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