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Im Hochgebirge hatten die Stürme während der letzten Tage wieder mit verheerender Gewalt gewüthet. Ausgetretene Bergwasser, entwurzelte Bäume, niederstürzendes Felsgeröll hatten die Wege unpassirbar gemacht und die höher gelegenen Bergorte, wie N., gänzlich von der Ebene abgeschnitten. Die Verbindung damit war fast ganz abgebrochen, denn die Gebirgsbewohner, die allenfalls noch zu Fuße hinauf- oder heruntergelangen konnten, scheuten sich, ohne Noth den gefährlichen und mühseligen Weg zu machen.
Um so mehr wunderte sich der rüstig voransteigende Bauer, daß die junge Dame, welche ihm folgte, dies Wagniß unternehmen wollte. Sie war mit ihrem Wagen nur ungefähr bis zur Hälfte des Weges gekommen, da erwies sich die Weiterfahrt als unmöglich, aber vergebens bat sie der alte Kutscher mit Thränen in den Augen, zurückzubleiben, vergebens warnten die Dorfleute, sie hatte erklärt vorwärts zu müssen, nach N. hinauf zum Pfarrer Clemens, wie sie sagte, hatte einen der Männer durch das Anerbieten eines reichlichen Lohnes bewogen, ihren Führer zu machen, und setzte nun wirklich die Reise mit ihm zu Fuße fort.
Es war ein arger Weg, er zeigte überall noch die Verheerungen des Sturmes, der sich glücklicherweise während der Nacht gelegt hatte. Der Führer blickte sich oft genug besorgt um nach seiner schweigsamen Begleiterin, ob sie auch überhaupt zu folgen vermöge, woran er ernstlich zweifelte; freilich sie war jung und leichtfüßig, aber doch gar zu zart für solchen Gang und für solches Wetter, zudem waren ihre Schuhe so entsetzlich dünn und fein, jeder Tritt mußte sie ja schmerzen hier auf den scharfen Steinen, und der Regenmantel, der über die leichte Kleidung geworfen war, schützte sie auch nicht viel vor dem noch immer scharfen Bergwinde. Sie schien aber Beides nicht zu empfinden, sondern folgte unverdrossen, ohne Ausruhen und ohne Klage, als kenne sie weder Ermüdung noch Furcht.
Ungefähr eine Stunde lang waren sie so vorwärts gegangen und erreichten jetzt eine freiere Höhe. Zur Seite des Weges stand ein roh geschnitztes Heiligenbild, das auch dem Sturme zum Opfer gefallen war, das hölzerne Schutzdach war zertrümmert, das Bild selbst lag zerschmettert am Boden, nur der Pfahl, der es getragen, stand noch zur Hälfte aufrecht, von dem moosigen Felsstück gehalten, an das er sich lehnte. Unten am Abhange, nur einige hundert Schritte entfernt, lag ein einsames, armseliges Gehöft, das halb verdeckt durch die Tannen gänzlich öde und ausgestorben schien.
Auf der Höhe angelangt blieb das junge Mädchen plötzlich stehen und berührte den Arm ihres Begleiters.
„Wir müssen ausruhen! – Ich kann nicht weiter!“
Der Bauer sah sich um und erschrak, denn er gewahrte jetzt erst die tiefe tödtliche Erschöpfung in ihren Zügen und in ihrer ganzen Haltung, die Brust hob und senkte sich schwer von der ungewohnten Anstrengung, das Gesicht unter den braunen Locken war erschreckend bleich – sie hatte augenscheinlich ihre Kräfte auf’s Aeußerste angespannt, bis sie ihr versagten.
Der gutmüthige Führer geleitete sie rasch zu dem moosbedeckten Felsstück und ließ sie niedersitzen, aber er schüttelte bedenklich den Kopf.
„Das wird nimmermehr gut, Fräulein, Sie kommen nicht weiter! Wir wollen lieber umkehren, Sie halten’s nicht aus!“
Sie machte eine heftig verneinende Bewegung. „Nein, nein, es geht vorüber! Ich bin nur müde, lasten Sie mich einige Minuten ausruhen! Haben wir noch weit bis N.?“
„Zwei volle Stunden bis zur Wallfahrtskirche, und dann noch ein gutes Stück bis zum Dorfe hinauf, denn die ‚wilde Klamm‘ ist jetzt nicht zu passiren. Das Schlimmste vom ganzen Wege haben wir noch vor uns!“
Das junge Mädchen schauerte leise zusammen, ob vor dem Wege oder vor dem Orte, den er nannte, sie gab keine Antwort. Der Bauer begriff trotzdem, daß von Umkehr nicht die Rede sei, er blieb also an ihrer Seite stehen und wartete geduldig auf den Wiederaufbruch.
„Hab’ ich doch gemeint, wir Zwei seien die Einzigen unterwegs!“ begann er plötzlich wieder, „und da kommt Hochwürden der Herr Caplan grade vom Ecken-Hof herunter! Der scheut auch nicht Weg, nicht Wetter, er ist wahrhaftig heute von N. gekommen, weil im Ecken-Hof ein Krankes liegt!“
Es war in der That der junge Caplan des Pfarrer Clemens, der aus dem Gehöfte hervorkam und gleichfalls die Höhe erstieg, er blickte flüchtig auf den Bauer, der ehrfurchtsvoll grüßend am Wege stand, und mit seiner breiten Gestalt völlig die des jungen Mädchens verdeckte.
„Bist Du auch unterwegs, Ambros?“ fragte er im Vorübergehen.
„Ja, Hochwürden, aber nicht allein! Ich verdiene mir ein Führerlohn bei der Dame da –“ er wich bei den letzten Worten seitwärts und gab den Anblick seiner Begleiterin frei, kam aber nicht weiter in seinen Auseinandersetzungen, denn was er sah, dünkte ihm doch etwas befremdlich.
Der Caplan stand da – als habe einer der Berggeister, von denen die Sagen des Gebirges erzählen, ihn auf einmal berührt und in Stein verwandelt, nur das Auge flammte auf, groß und dunkel, und nur der Blick allein redete, aber er sagte genug. Sie war wohl mehr dämonisch als zärtlich, diese Gluth, die so plötzlich wieder aus der Tiefe hervorbrach, aber sie schien auch das einzige Leben zu sein in diesen starren Zügen.
Auch das junge Mädchen war aufgezuckt bei seinem Erscheinen und einen Augenblick schien es, als wolle der heiße Purpur wieder ihr Antlitz überfluthen, doch es kam nicht dazu, kaum daß ein schwacher Hauch von Röthe es überflog, und auch der schwand schon in der nächsten Minute, um der früheren tiefen Blässe wieder Platz zu machen. Ihre Kräfte hätten doch wohl nicht ausgereicht zu dem ganzen Wege, aber wenn diese unerwartete Begegnung, die sie ja allein nur suchte, ihr auch erwünscht kam – leichter war ihr dabei nicht geworden.
„Das Fräulein will nach N. zum Pfarrer Clemens,“ nahm der Bauer endlich das Wort, als er sah, daß Niemand von den Beiden redete.
„Das ist jetzt nicht mehr nöthig!“ unterbrach ihn seine Begleiterin leise, aber mit sichtbarer Anstrengung. „Ich kann auch – ich werde es auch dem Pater Benedict mittheilen können, was mich herführte. Erwarten Sie mich dort unten im Gehöft, in einer Viertelstunde bin ich wieder bei Ihnen.“
Der Bauer nickte und nach nochmaligem ehrfurchtsvollem Gruße gegen den Caplan trollte er ab. Er war sehr froh, sein Führerlohn so leichten Kaufes verdient zu haben, ohne den beschwerlichen Weg machen zu müssen, und fand es gar nicht auffallend, daß auch die junge Dame diesen scheute und es deshalb vorzog, sich dem Caplan anzuvertrauen, der ihre Botschaft oder ihr Anliegen ja jedenfalls dem Pfarrer überbrachte. Er sprach einstweilen in dem Gehöfte ein und wartete dort verabredetermaßen.
Benedict und Lucie waren allein zurückgeblieben. Sie befanden sich hier in halber Höhe des Gebirges, das einen seiner großartigsten Punkte vor ihnen aufrollte. Dort drüben thürmten sich in schwindelnder Höhe die riesigen Gipfel der „steilen Wand“ empor; sie war völlig klar heute, weißleuchtend lag der Schnee auf den Spitzen, in den Schluchten und Scharten des gigantischen Felskolosses, aber noch jagte graues Sturmgewölk darüber hin und warf ein trübes, mattes Licht auf ihn und auf die ganze Umgebung. Ringsum nur Tannenwipfel, so weit das Auge reichte, an den Bergen, an den Felswänden, bis dort hinauf, wo der Schnee begann, überall nur das einförmige ewig dunkle Grün und tief unten im Thale der Bergstrom, der wie ein kochender Strahl aus den Tannen hervorbrach, zwischen ihnen verschwand und sich dann weiß schäumend auf’s Neue hervorwand, sein dumpfes Brausen drang fern und undeutlich herauf, der einzige Laut in der großartigen schweigenden Einsamkeit.
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