„Sie scheinen sich für Pater Benedict zu interessiren,“ sagte der Baron artig, „wünschen Sie vielleicht näher mit ihm –“
„Ich danke!“ fiel ihm Günther rasch in’s Wort. „Ich stehe in gar keiner Beziehung zu den Herren des Stiftes, wie Sie ja wissen. Mir fiel nur dieser interessante Kopf auf, und dann eine flüchtige Aehnlichkeit – bemühen Sie sich nicht, Herr Baron!“
Er überließ Brankow einem so eben herantretenden Gaste und kehrte zu seiner Schwester zurück. „Also in’s Kloster haben sie den Knaben gesteckt!“ murmelte er bitter, „und dem Anschein nach einen vollständigen Fanatiker aus ihm gemacht. Ein meisterhafter Schluß des ganzen hochgräflichen Schurkenstreiches!“ –
Der Prälat und Graf Rhaneck mit seiner Familie brachen jetzt gleichzeitig auf, was wie gewöhnlich mit ziemlichem Geräusch und Aufsehen vor sich ging. Als die Brüder zusammen durch das Vorzimmer schritten, konnte der Graf nicht umhin, seinem lang verhaltenen Aerger wenigstens in einigen Worten Luft zu machen.
„Nun, Dein Schützling ist ja heut, Dank Deiner Auszeichnung und Deinem Beispiel, nichts mehr und nichts weniger gewesen, als der Held des Abends! Hast Du denn wirklich aus diesen plumpen, nichtssagenden Zügen irgend eine Gefährlichkeit herausgelesen?“
„Ja!“ sagte der Prälat kalt. „Der Mann ist gefährlich, ist es um so mehr, weil er unbedeutend erscheinen will. Er wird uns noch zu schaffen machen, verlaß Dich darauf!“
Die Gräfin, welche nur halb hingehört und nicht viel mehr verstanden hatte, als daß es sich um Günther handelte, verzog die schmalen Lippen.
„Mein Gott, es ist und bleibt doch ein entsetzlicher horreur, daß dieser Mensch, wie man sagt der Sohn eines Unterförsters, in unseren Kreisen erscheinen durfte!“
Der Prälat verneigte sich Abschied nehmend vor seiner Schwägerin, ohne ihr eine Antwort zu geben. Zu Gründen und Erklärungen ließ er sich ihr gegenüber nie herab, die Gräfin war in seinen Augen eine eben solche Null, wie in denen ihres Gemahls, eine Null, die man allerdings respectiren mußte, weil auch sie den Namen Rhaneck trug und ihm durch ihren Reichthum einen noch größeren Glanz verlieh. Auch hier mußte die äußere Form der Achtung alles ersetzen.
Kurz nach der Entfernung der gräflichen Familie verabschiedete sich auch Günther mit seiner Schwester. Die Fahrt nach Dobra ward meist schweigend zurückgelegt, Bernhard schien nicht zum Reden gestimmt, und Lucie, die sonst immer etwas zu fragen und zu plaudern hatte, war heut ausnahmsweise mit dieser Schweigsamkeit einverstanden. Tief in die Ecke des Wagens geschmiegt, zerdrückte sie achtlos den Flor und die Blumen ihres Anzuges, und fuhr verwundert empor, als sie in den Hof von Dobra einrollten, die Fahrt hatte ihr so kurz geschienen.
Zu Haus angelangt wollte das junge Mädchen dem Bruder gute Nacht sagen, als dieser sie mit einem kurzen „Ich habe mit Dir zu sprechen, Lucie!“ zurückhielt. Er nahm dem alten Diener, der ihnen folgte, das Licht aus der Hand und gab ihm einen Wink sich zu entfernen. Lucie stand erstaunt und befremdet da, aber sie sollte nicht lange in Zweifel bleiben, um was es sich handelte.
Bernhard trat an den Tisch, zog sie zu sich heran und wendete ihr Gesicht dem Lichte zu, so daß dessen voller Schein darauf fiel.
„Was ist zwischen Dir und dem Grafen Rhaneck vorgefallen?“ fragte er plötzlich.
Luciens Antlitz glühte wieder dunkel auf, wie vorhin im Ballsaal, als der Bruder ihr entgegentrat, und diesmal ergoß sich die heiße Röthe tief herab bis über Hals und Schultern; sie sah, daß sie dem gefürchteten Examen doch nicht mehr entrinnen konnte. Sie hob daher keck den Lockenkopf empor, setzte ihr Füßchen energisch um einen Schritt vorwärts und erklärte sehr determinirt:
„Er hat mir gesagt, daß er mich anbete!“
„Nach zweistündiger Bekanntschaft? Was man doch nicht alles wagt, einem sechszehnjährigen Mädchen gegenüber! Darf ich fragen, wo er Dir diese interessante Eröffnung gemacht hat?“
Das junge Mädchen zögerte.
„Du wirst antworten, Lucie! Du wirst mir auch nicht eine Sylbe von dem verschweigen, was zwischen dem Grafen und Dir gesprochen worden ist, hörst Du?“
Lucie sah aus, als wolle sie anfangen zu weinen; es war aber auch zu viel verlangt, daß sie ihr romantisches Geheimniß so auf Commando preisgeben sollte, noch dazu dem rücksichtslosen Bruder preisgeben, der sicher nicht das mindeste Verständniß dafür besaß. Aber Bernhard duldete keine Weigerung, das wußte sie, und so ließ sie sich denn zögernd zu einem Geständniß herbei, als dessen Resultat schließlich eine vollständige Liebeserklärung des Grafen Ottfried herauskam.
Der Graf hatte ihr, schon als er das erste Mal mit ihr tanzte, eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erwiesen, eine Aufmerksamkeit, die sich beim zweiten und dritten Male noch steigerte. Beim Beginn der Pause hatte er sie auf die Terrasse geführt, wie die anderen Herren ihre Damen auch, aber es so einzurichten gewußt, daß sie sich von den Uebrigen entfernten und durch die Orangerie vor deren Blicken gedeckt waren. Hier war er plötzlich vor ihr auf die Kniee gesunken – „auf beide Kniee, Bernhard!“ – und hatte ihr erklärt, daß er sie anbete, daß sie gleich beim ersten Anblick einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Herz gemacht, daß er nicht leben könne, ohne die Hoffnung, sie wiederzusehen, und verzweifeln werde, wenn mit dem Ende des Festes ihm diese Hoffnung genommen würde, darauf hatte er um eine Rose aus ihrem Haar gefleht, dieselbe an seine Lippen gedrückt – kurz, die Geschichte war so über alle Beschreibung romantisch, und Lucie so voll Entzücken über diese Romantik und über die Rolle, die sie selber darin gespielt, daß ihre anfängliche Scheu und Befangenheit bei der Erzählung sich in ein immer größeres Selbstbewußtsein verwandelte, und sie am Schluß derselben den Bruder mit dem vollsten Triumph anblickte. Es war doch wahrlich keine Kleinigkeit, gleich beim ersten Schritt, den sie in die Welt und die Gesellschaft that, einen jungen Grafen zu erobern, der vor ihr auf den Knieen lag und sie anbetete! Was wohl Bernhard dazu sagte? Ob er es noch versuchte, sie wieder in die Kinderstube zu schicken?
Bernhard sagte vorläufig gar nichts, er machte einige Male einen Gang durch das Zimmer und blieb endlich dicht vor ihr stehen. „Und was hast Du dem Grafen darauf geantwortet?“
„Ich sagte ihm, er brauche gar nicht zu verzweifeln, er könne ja nach Dobra kommen und uns besuchen, Du würdest gewiß – ja freilich, Bernhard!“ unterbrach sie sich auf einmal schmollend, „da wußte ich noch nicht, daß Du so ungezogen gegen ihn sein würdest, als es nachher der Fall war.“
„Ich fürchte, ich werde dem Herrn Grafen noch ungezogener erscheinen, wenn er wirklich hierherkommen sollte, woran ich zweifle. Ich würde mir seine Besuche ein für alle Mal verbitten, und Du würdest in diesem Falle auf Deinem Zimmer bleiben, und überhaupt nicht in seinen Gesichtskreis kommen.“
Lucie fuhr erschreckt und empört auf. „Ah Bernhard, das ist abscheulich! Wie kannst Du den Grafen so beleidigen, blos weil Du nun einmal Alles hassest, was vornehm ist, und weil es sich mit Deinen demokratischen Principien nicht verträgt, daß ich Gräfin Rhaneck werde!“
„Gräfin Rhaneck!“ wiederholte Bernhard langsam. „Ah so, Du meinst, der Graf habe Dir einen Heirathsantrag gemacht.“
Lucie hob das Auge zu ihm empor, noch funkelte die Entrüstung darin, aber daneben leuchtete auch noch die vollste Unbefangenheit des Kindes.
„Nun, er hat mir doch gesagt, daß er mich liebe, daß er ohne mich nicht leben könne! Was soll denn anderes damit gemeint sein?“
Der Bruder blickte tief in die blauen Kinderaugen des jungen Mädchens, und seine Stimme wurde unwillkürlich milder.
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