„Ich weiß es nicht. Er suchte Dich, jedenfalls in keiner guten Absicht.“
„Ich bin von dieser Seite her auf Alles gefaßt,“ entgegnete er ruhig, die Pistole auf den Schreibtisch legend. „Du siehst, ich hatte mich bereits für ähnliche Fälle vorgesehen, aber ich fürchte, das war nur ein Vorspiel zu morgen, wo erst das eigentliche Drama beginnt. Zitterst Du davor, Eugenie? Die erbetene Hülfe kann erst gegen Abend hier sein; wir haben noch den ganzen Tag allein mit den Empörern auszuhalten.“
„An Deiner Seite zittere ich vor nichts mehr! Nur, Arthur,“ ihre Stimme nahm den Ausdruck flehender Angst an, „nur gehe mir nicht wieder allein hinaus in das Toben, wie heut Mittag! Er ist dort, und er hat Dir den Tod geschworen.“
Arthur richtete sanft das Haupt seiner jungen Gattin empor und sah ihr tief und fest in’s Auge. „Leben und Tod steht doch wohl nicht in Hartmann’s Hand allein; darüber hat doch noch ein Anderer zu entscheiden. Sei ruhig, Eugenie! Ich werde meine Pflicht thun, aber ich thue sie anders, als all die Tage vorher; weiß ich doch jetzt, daß mein Weib sich um mich ängstigt; das vergißt sich nicht so leicht!“
Draußen auf der Terrasse stand Ulrich Hartmann. Die Dämmerung war tiefer hereingebrochen; man konnte nicht mehr unterscheiden, was seine Züge aussprachen, als er zu den Fenstern des Hauses hinaufblickte, das er soeben verlassen; aber die Stimme verrieth es, mit der er halblaut, wie zum Schwur, die Drohung wiederholte, die er vorhin gegen Arthur Berkow geschleudert: „Er oder ich, oder, wenn’s sein muß – wir Beide!“
Inhaltsverzeichnis
Der nächste Morgen! Das war ein Gedanke, der nicht blos Arthur und seine Gattin allein, sondern Alles, was überhaupt zum Berkow’schen Hause stand, mit schwerer Sorge erfüllte. Nun war er gekommen, dieser so gefürchtete Morgen, und schien in der That all die Befürchtungen verwirklicht zu haben, die man ihm entgegentrug. Trotz der frühen Stunde befanden sich die sämmtlichen Beamten bereits im Hause ihres Chefs. Ob sie zu einer Berathung versammelt waren, ob sie sich dorthin geflüchtet hatten – es sah fast aus, als sei das letztere der Fall, denn die Gesichter der Herren waren bleich, aufgeregt, verstört, und Reden und Gegenreden, Vorschläge, Sorgen und Befürchtungen schwirrten bunt durcheinander.
„Ich bleibe dabei, es war ein Fehler, die drei Leute in Verhaft zu nehmen!“ behauptete Schäffer, zum Director gewendet. „Das hätte man allenfalls wagen können, wenn die militärische Hülfe schon da wäre, aber nun und nimmermehr auf eigene Hand. Jetzt stürmen sie uns das Haus, um die Gefangenen zu befreien; wir werden sie herausgeben müssen.“
„Erlauben Sie, das werden wir nicht!“ rief der Oberingenieur, der sich wie gewöhnlich in vollster Opposition seinen beiden Collegen gegenüber befand. „Wir werden den Sturm aushalten und uns nöthigenfalls hier im Hause vertheidigen; Herr Berkow ist durchaus entschlossen dazu.“
„Nun, Sie freilich müssen seine Beschlüsse am besten kennen. Sie sind ja sein ausschließlicher Berather!“ meinte etwas pikirt der Director, der sich allerdings einer gleichen Intimität mit dem jungen Chef nicht rühmen konnte, obgleich seine Stellung ihn vielleicht eher dazu berechtigte.
„Herr Berkow pflegt seine Beschlüsse gewöhnlich allein zu fassen,“ entgegnete der Oberingenieur trocken. „Ich befinde mich nur, wie gewöhnlich, auch diesmal in dem Falle, ihm vollkommen beizustimmen. Es wäre wider Recht und Gewissen, es wäre eine erbärmliche Feigheit gewesen, die drei Uebelthäter laufen zu lassen. Sie hatten die eingestandene Absicht, uns die Maschinen zu zerstören.“
„Auf Hartmann’s Befehl!“ warf Schäffer ein.
„Gleichviel, sie gaben sich doch zur Ausführung her. Der Herr kam gerade recht, um das Bubenstück noch zu verhindern, und ich möchte Den sehen, der da Ruhe genug gehabt hätte, die Anstifter straflos ausgehen zu lassen. Er ließ sie festnehmen, und daran that er recht. Hartmann war freilich nicht dabei; er befand sich noch bei den Schachten, wo der Lärm gerade im vollen Gange war und wo er doch schließlich die Einfahrt nicht hindern konnte, weil der eigene Vater sich ihm entgegenstellte.“
„Ja, es war ein Glück, daß der Schichtmeister uns zu Hülfe kam!“ sagte der Director. „Er muß wohl eingesehen haben, daß ihm kein anderes Mittel mehr übrig blieb, um das Aeußerste zu verhüten, als er sich heute Morgen aus freien Stücken erbot, die Leute zur Schicht zu führen, obgleich es gar nicht sein Amt ist. Er wußte am Ende, daß sich der Sohn an ihn nicht wagen würde, und von den Uebrigen rührte Keiner die Hand gegen die Cameraden, als sie den Führer zurückweichen sahen. Dem Alten allein danken wir es, daß die Einfahrt wirklich erzwungen wurde.“
„Ich sage es ja,“ beharrte Schäffer, „die Einfahrt wurde erzwungen, mehr als die Hälfte der Knappschaft verhielt sich bereits neutral dabei, und hätte man sie nicht durch die Festnahme ihrer Cameraden gereizt, so wäre die ganze Sache in Ruhe und Frieden verlaufen.“
„In Ruhe und Frieden, so lange Hartmann befiehlt?“ lachte der Oberingenieur bitter auf; „da täuschen Sie sich ganz und gar. Er suchte einen Vorwand zum Angriffe, gleichviel, welchen, und hätte ihn schlimmsten Falles auch ohne Vorwand unternommen. Der heutige Morgen hat ihm doch wohl gezeigt, daß es mit seiner Macht reißend schnell zu Ende geht, daß er vielleicht nur heute noch über seinen Anhang gebietet, und da wagt er das Letzte. Der Mensch weiß jetzt, daß er verloren ist, und reißt rücksichtslos mit sich in’s Unglück, was ihm noch aus Furcht oder Gewohnheit folgt. Er hat nichts mehr zu schonen, und uns schont er da am wenigsten.“
Sie wurden durch Herrn Wilberg unterbrochen, der mit bleicher Miene vom Fenster zurückkam, wo er während der letzten zehn Minuten Posto gefaßt hatte.
„Der Lärm wird immer ärger,“ berichtete er zaghaft. „Es ist kein Zweifel mehr, daß sie einen Angriff gegen das Haus beabsichtigen, wenn Herr Berkow nicht nachgiebt. Das Parkgitter ist schon nieder; die ganzen Anlagen sind zerstampft und zertreten. Ach, und der herrliche Rosenflor auf den Terrassen –“
„Bleiben Sie uns mit Ihrer Sentimentalität vom Leibe!“ fuhr der Oberingenieur auf, während der Director und Schäffer zum Fenster eilten. „Jetzt, wo die Empörer uns das Haus stürmen, denken Sie an zertretene Rosenstöcke. Wollen Sie sich nicht lieber gleich hinsetzen und den Rosenjammer in Verse bringen? Ich dächte, es wäre gerade die rechte Stimmung für einen Poeten.“
„Ich habe seit einiger Zeit das Unglück, daß Alles, was ich sage und thue, den Unwillen des Herrn Oberingenieurs erregt,“ entgegnete Herr Wilberg gekränkt, aber doch mit einer Miene geheimen Selbstbewußtseins, die den Grimm seines Vorgesetzten noch zu steigern schien.
„Weil Sie nichts Vernünftiges sagen oder thun!“ grollte er, ihm den Rücken wendend und seinen Collegen folgend, die vom Fenster aus den immer mehr anwachsenden Tumult beobachteten.
„Das wird Ernst!“ sagte der Director unruhig, „sie bedrohen den Eingang. Man wird den Herrn benachrichtigen müssen.“
„Lassen Sie ihn doch wenigstens für den Augenblick in Ruhe!“ fiel der Oberingenieur ein. „Ich dächte, er wäre seit Tagesanbruch so ununterbrochen auf dem Posten gewesen, daß wir ihm die fünf Minuten bei seiner Frau gönnen dürfen. Die nothwendigsten Maßregeln sind ja alle getroffen, und wenn die Gefahr da ist, wird er auch da sein; das wissen Sie doch.“
Der Beamte hatte Recht. Arthur, seit den ersten Morgenstunden mit Befehlen, Anordnungen und persönlichem Eingreifen in ununterbrochener Thätigkeit begriffen, war bisher seiner Gattin kaum zu Gesicht gekommen und hatte sich jetzt erst mit ihr auf einige Minuten in eines der Nebengemächer zurückgezogen. Er mußte ihr dort wohl den ganzen Stand der Dinge mitgetheilt haben, denn die Arme der jungen Frau waren in angstvoller Erregung um seinen Hals geschlungen.
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