»Ich kann ihn nicht beklagen, was Sie auch sagen mögen,« unterbrach sie Raymon; »aber ein Punkt in seinem und Ihrem Leben bleibt mir unerklärlich: warum hat er Sie nicht geheiratet?«
»Als ich im heiratsfähigen Alter stand, war Ralph zehn Jahre älter als ich, und das ist ein ungeheurer Abstand in unserem Klima, wo die Jugend der Frauen so schnell verblüht. Auch war Ralph schon verheiratet.« »Sir Ralph ist Witwer? Ich habe nie von seiner Frau sprechen hören.«
»Sprechen Sie nie mit ihm davon. Sie war jung, reich und schön, aber sie hatte Edmund geliebt und war ihm bestimmt gewesen. Aus Rücksichten auf ihre Familie sah sie sich gezwungen, Ralph ihre Hand zu reichen, ohne daß sie sich Mühe gegeben hätte, ihm ihre Abneigung zu verbergen. Er mußte mit ihr nach England gehen, und als er nach ihrem Tode auf die Insel Bourbon zurückkam, war ich mit Herrn Delmare verheiratet und im Begriff, nach Europa abzureisen. Ralph versuchte allein zu leben; aber die Einsamkeit verschlimmerte sein Übel. Er verkaufte seine Kaffeepflanzungen und ließ sich in Frankreich nieder. Die Art, wie er sich meinem Gatten vorstellte, würde mich zum Lachen gereizt haben, wenn die Anhänglichkeit des guten Ralph mich nicht gerührt hätte.«
›Ich liebe Ihre Frau,‹ sagte er mit aller Offenherzigkeit zu Herrn Delmare, ›ich habe sie erzogen; ich betrachte sie wie meine Schwester, und mehr noch, wie meine Tochter. Erlauben Sie, daß ich mich in Ihre Nähe ansiedle und wir drei unser Leben zusammen zubringen? Man sagt, Sie seien ein wenig eifersüchtig auf Ihre Frau, man rühmt Sie aber auch als einen Mann von Ehre und Rechtlichkeit. Wenn ich Ihnen mein Wort gebe, daß ich sie niemals geliebt habe und sie niemals lieben werde, so brauchen Sie ebensowenig besorgt zu sein, als wäre ich wirklich Ihr Schwager, wollen Sie mir glauben?‹«
Herr Delmare, welcher viel auf seinen Ruf militärischer Rechtlichkeit hielt, nahm diese freimütige Erklärung mit scheinbarem Vertrauen auf; doch bedurfte er einer mehrmonatlichen aufmerksamen Prüfung, ehe sich dieses Vertrauen befestigte. Jetzt ist es unerschütterlich.«
»Sie sind also fest überzeugt, Indiana,« sagte Raymon, »daß Sir Ralph sich mit jener Versicherung selbst nicht ein wenig betrügt?«
»Sein Herz ist tot durch seine vielen Leiden,« antwortete Indiana. »Ralph liebt nichts mehr, um sich den Schmerz des Verlustes zu ersparen. Seine Freundschaft für mich ist nur noch alte Gewohnheit. Jetzt trage ich von ganzem Herzen die Schuld der Vergangenheit ab und suche sein Leben zu verschönern und zu erheitern. Ich bin ihm notwendig, denn ich bin die einzige, die ihn liebt; seit Herr Delmare sich an ihn angeschlossen hat, liebt er diesen fast ebenso wie mich. So mutig und nachdrücklich er mich einst gegen die Tyrannei meines Vaters beschützte, ein so treuer Beschützer ist er mir meinem Gatten gegenüber, mit dem er sich nicht entzweien will. Er fragt nicht, ob ich unglücklich bin, es genügt ihm, mich am Leben zu sehen. Er hat so oft gehört, daß sein Herz gefühllos wäre, daß er jetzt selbst davon überzeugt ist. Er sucht und findet das Glück in der Ruhe, in der Bequemlichkeit des Lebens. Er kümmert sich nicht um fremdes Leid, kurz, Ralph ist ein Egoist.«
»Nun, um so besser!« sagte Raymon, »ich fürchte ihn nicht mehr; ich will ihn sogar lieben, wenn Sie es wünschen.«
»Ja, lieben Sie ihn, Raymon. Er wird empfänglich dafür sein; wir aber wollen uns nie mit der Frage quälen, warum man uns liebt, sondern nur, wie man uns liebt. Wohl dem, der geliebt werden kann, gleichviel aus welchem Beweggrund.«
»Was Sie sagen, Indiana,« erwiderte Raymon, indem er ihren schlanken, feinen Körper umfaßte, »ist die Klage eines einsamen, traurigen Herzens, aber an mir sollen Sie das Wie und das Warum kennen lernen.«
»Um mich glücklich zu machen, nicht wahr?« fragte sie mit einem leidenschaftlichen Blicke.
»Um dir mein Leben zu geben!« beteuerte Raymon, indem er Indianas wallende Haare mit seinen Lippen berührte.
Das nahe tönende Signal eines Jagdhorns warnte beide, auf ihrer Hut zu sein; es kam von Sir Ralph. Vielleicht hatte er sie beobachtet, – vielleicht auch nicht.
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