2. die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses nach § 5 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe b sowie
3. die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege nach § 5 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe d.
3) Wer als Arbeitgeber Personen ohne eine Erlaubnis nach § 1 Absatz 1 oder Personen, deren Erlaubnis nach § 3 Absatz 3 Satz 1 ruht, in der Pflege beschäftigt, darf diesen Personen Aufgaben nach Absatz 2 weder übertragen noch die Durchführung von Aufgaben nach Absatz 2 durch diese Personen dulden.«
Die aufgeführten pflegerischen Kernaufgaben sind ausschließlich Angehörigen der Pflegefachberufe vorbehalten, weil sie hierfür entsprechend qualifiziert sind. Ärzte sind von der Wahrnehmung dieser Aufgaben ausgeschlossen.Verstöße gegen die Vorbehaltsvorschrift können mit Geldbuße geahndet werden. Diese Regelung dient dem Gesundheitsschutz der zu pflegenden Personen und führt ganz nebenbei zur dringend notwendigen Aufwertung des Pflegeberufs.
Für besondere Einrichtungen der Eingliederung bedeutet diese gesetzliche Neuregelung, dass sie jetzt schon für die Pflegeprozesssteuerung und fachliche Überwachung sowie die pflegerische Qualitätssicherung ausschließlich examinierte Pflegefachkräfte einsetzen dürfen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Ausbildung zur Heilerziehungspflege nicht in die Gruppe der sog. Heilberufe fällt und demnach ausgebildete Heilerziehungspfleger die Pflegeprozesssteuerung nicht übernehmen dürfen, während staatlich anerkannte Altenpflegerinnen hierfür benannt werden können.
Ob für den Bereich der Eingliederungshilfe gesetzliche Ausnahmeregelungen, ähnlich der Regelung zur sog. Einfachsten Behandlungspflege, geschaffen werden, ist derzeit noch nicht absehbar.
• Stellungnahme, Probleme bei der Umsetzung der Vorschrift zur Ausübung vorbehaltener Tätigkeiten (§ 4 Pflegeberufegesetz)-Anmerkun-gen und Lösungsvorschläge, Büscher, Andreas /Igl, Gerhard / Klie, Thomas / Kostorz, Peter / Kreutz, Marcus / Weidner, Frank/ Weiß, Thomas / Welti, Felix, Dezember 2019, https://www.pflegebevollmaechtigter.de/files/upload/pdfs_allgemein/Stellungnahme%20vorbehaltene%20T%C3%A4tigkeiten.pdf, Zugriff: 11.07.21
• Gesetz über die Pflegeberufe 1 (Pflegeberufegesetz - PflBG) https://www.gesetze-im-internet.de/pflbg/__4.html#:~:text=%20Gesetz%20%C3%BCber%20die%20Pflegeberufe%201%20%28Pflegeberufegesetz%20-,als%20Arbeitgeber%20Personen%20ohne%20eine%20Erlaubnis...%20More%20, Zugriff 11.07.21
3.3 Anforderungen an die Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen
Menschen mit geistigen Behinderungen durchlaufen entwicklungspsychologisch andere Wege als Menschen ohne geistige Behinderungen. Daher sind »normale« Verhaltensregeln häufig nicht anwendbar. Ein adäquates Verstehen, Einordnen und Reagieren auf Verhaltenweisen geistig behinderter Klienten setzt einen intensiven, teilweise über Monate und Jahre gepflegten Beziehungsaufbau zwischen Klient und Mitarbeiter voraus. Die Kommunikation und die Gestaltung des Beziehungsprozesses während der Pflegehandlung erfolgen vielfach auf der nonverbalen Ebene und erfordern von den Mitarbeitern ein hohes Maß an sozialer und kommunikativer Kompetenz sowie eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Interpretation von Symptombildern, da Symptome häufig in untypischer Weise zum Ausdruck kommen. Die ärztliche Anamnese und Diagnostik ist erschwert, weil diese häufig als Fremdanamnese erhoben werden muss. So ist die Ärztin auf die genaue Beobachtung, fachgerechte Verlaufsdokumentation und Informationsweitergabe aller am Prozess der Betreuung Beteiligten angewiesen.
Weil sich Klienten häufig in verschiedenen Betreuungssettings (z. B. Besondere Wohnangebote, Förderstätte oder Werkstatt, Betreuung durch Angehörige und Therapeuten) bewegen, kommt es bei der Krankheits- und Verhaltensbeobachtung zu Informationsverlusten. »Die richtige Einordnung des Beschwerdebildes wird durch eine duldende Haltung des Menschen mit Behinderungen, die zu einer Diskrepanz von Schwere der Symptome und zugrunde liegenden Beschwerden führt, zusätzlich erschwert« (Nicklas-Faust, 2006, S. 23).
In der Pflege von Menschen mit Behinderungen ist ferner zu berücksichtigen, dass diese einen erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben und Krankheiten in anderen Häufigkeiten auftreten. »So stellte sich in einer Untersuchung an Menschen mit geistiger Behinderung heraus, dass diese durchschnittlich an 2,5 gravierenden und 2,9 weniger schwerwiegenden Gesundheitsstörungen litten, die nur etwa zur guten Hälfte bekannt waren und nur zur Hälfte angemessen behandelt waren« (ebd., S. 24).
Im Erkrankungsmuster gibt es laut Nicklas-Faust (2006) deutliche Häufungen für Erkrankungen der Sinnesorgane, neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Nach Erfahrung der Autorin hat ein Teil der praktizierenden Ärzte nur unzureichende Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf Diagnostik und medizinische Versorgung von Menschen mit geistigen Behinderungen.
Pflegenden in der Behindertenhilfe kommt daher eine besondere Rolle in der Krankenbeobachtung und der Einleitung medizinischer und pflegerischer Maßnahmen zu. Laut Nicklas-Faust belegt eine Studie jedoch eine große Diskrepanz zwischen Einschätzung der Betreuungspersonen und den objektiven Untersuchungsbefunden, was einen weiteren Erschwernisfaktor in der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung darstellt (vgl. Nicklas-Faust, 2006).
Die Besonderheit liegt demnach nicht in den Pflegetechniken, sondern in den komplexen Anforderungen, die in der Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen zu berücksichtigen sind.
Daher werden Sie keine neuen Pflegemethoden für den Behindertenbereich in diesem Buch finden. Die Pflegetechniken orientieren sich an aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen. Beispielsweise wird eine Dekubitusprophylaxe immer nach denselben Prinzipien – der Druckentlastung, Förderung der Mobilität und Hautpflege – erfolgen. Diese Erfolgsfaktoren zur Gesundheitsförderung sind unabhängig von der geistigen Verfassung der Klienten. Die Unterschiede liegen in den Voraussetzungen zur interaktiven Beziehungsgestaltung. So sind den Möglichkeiten der verbalen Interaktion und Kommunikation, der Schulung und Beratung von Menschen mit Behinderungen durch die kognitiven Möglichkeiten klare Grenzen gesetzt.
Die in diesem Buch beschriebenen Instrumente (wie z. B. der Schmerzerfassungsbogen für Menschen, die sich verbal nicht äußern können) helfen Mitarbeitenden, ihre Klienten besser zu verstehen.
3.4 Pflege und Sexualität
Bedeutung der sexuellen Identität
Es ist heute selbstverständlich, geistig behinderten Menschen dieselben Rechte auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Sexualität zuzugestehen wie nicht behinderten Menschen. Sexualität bedeutet Beziehungen einzugehen, Zärtlichkeit und Liebe zu geben und zu empfangen sowie Erotik und Selbstbefriedigung auszuleben.
»Die sexuelle Entwicklung ist für Menschen mit geistigen Behinderungen ebenso bedeutungsvoll wie für jeden anderen Menschen« (pro familia, 1998, S. 5).
Medizinisch gesehen gibt es nur wenige schwere geistige Behinderungsformen, die eine Entwicklung sexuellen Begehrens nicht ermöglichen. Dies trifft laut pro familia insbesondere auf Klienten zu, deren genitale Organfunktionen unterentwickelt sind (z. B. Minderwuchs von Genitalien, ausbleibende Regelblutung oder Samenerguss, Fehlen sekundärer Geschlechtsmerkmale wie Schambehaarung). Etwa ab dem sechsten Lebensmonat fangen Kinder an, lustvoll mit ihrem Körper umzugehen. Wir wissen von Menschen mit geistiger Behinderung, dass sich körperliche und sexuelle Fähigkeiten zumeist langsamer entwickeln als bei anderen Menschen und sie mehr ausgeprägte Zuwendung brauchen, damit ihre Empfindungsfähigkeit geweckt wird (vgl. Wagner-Stolp, 2004).
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