Der International Council of Nurses (ICN 26 ) definiert Pflege wie folgt:
»Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein.«
Die heute geltende Definition von Pflege zeigt, dass es um Prävention zur Förderung der Gesundheit und um die Unterstützung bei der Versorgung geht.
Gesundheitsförderung, das aktive Handeln zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit, wird immer mehr zum zentralen Thema des Pflegeberufs. Sind die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung ausgeschöpft, kann pflegerische Unterstützung, beginnend bei der Anleitung zum eigenen Tun bis hin zur vollständigen Übernahme, notwendig werden.
3.1 Haftungsrechtliche Aspekte bei der Übernahme von Pflege
In diesem Kapitel wird dargestellt, wer nach heutiger Rechtslage in Deutschland Pflege übernehmen darf und unter welchen Voraussetzungen Behandlungspflege an pädagogische Fachkräfte delegiert werden kann.
In den Sozialgesetzbüchern V und XI wird der Begriff Pflege eindimensional und funktionell betrachtet. Es erfolgt eine Unterteilung in Grund- und Behandlungspflege 27 (SGB V, § 37, Abs. 1).
Unter Grundpflege (auch direkte Pflege) werden alltägliche, sich regelmäßig wiederholende Pflegeleistungen verstanden. Diese umfassen unter anderem die Unterstützung bei Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Ausscheidungsvorgängen und der Förderung der Mobilität (SGB XI § 14, Abs. 4). Grundpflege darf auch von nicht pflegefachlich ausgebildeten Personen durchgeführt werden, sofern diese in die Tätigkeit eingewiesen wurden (SGB XI, § 75 Abs. 2). Für die Pflegepraxis bedeutet die Trennung zwischen Grund- und Behandlungspflege faktisch eine Abwertung der Grundpflege, die sich auch in ihrer Zuweisung an zumeist unerfahrene Pflegende oder ungelernte Aushilfen widerspiegelt. Ein Beispiel für die Folgen nicht fachgerechter Ausführung der Grundpflege ist, dass es immer wieder zu schmerzhaften Entzündungen am Penis kommt, weil die Vorhaut beim Waschen nicht zurückgezogen und der Belag hinter der Eichel nicht entfernt wird.
Die Hilfestellung bei der Grundpflege erfordert vom Mitarbeiter eine hohe pflegefachliche und soziale Kompetenz sowie die Anwendung von wissenschaftlich fundierten, pflegerischen Methoden und wird häufig in ihrer Komplexität unterschätzt.
Unter Behandlungspflege (auch spezielle oder medizinische Pflege) werden alle Leistungen verstanden, die vom behandelnden Arzt angeordnet werden und den Rahmen der Grundpflege übersteigen. Die Maßnahmen obliegen mit Ausnahme der sog. »Einfachsten Behandlungspflege« 28 dreijährig examinierten Pflegefachkräften, den Pflegefachfrauen/Pflegefachmännern sowie Kinderkrankenpflegern und staatlich anerkannten examinierten Altenpflegern (SGB V, § 37, Abs. 1, 2). 29
Seit dem 01.01.2010 ist die Personalvereinbarung zum Wohn- und Teilhabegesetz verabschiedet. Bestandteil dieser Personalvereinbarung ist die sogenannte »offene Berufsgruppenliste«. Hiernach werden Heilerziehungspfleger nun auch als Pflegefachkräfte in Diensten der Eingliederungshilfe anerkannt, sofern diese eine Nachqualifizierung durchlaufen. Im Zusammenhang mit der pflegerischen Kompetenz von Heilerziehungspflegern sind Lehrpläne zu entwickeln, um entsprechende Nachqualifizierungen durchzuführen. Von einer rechtlich abgesicherten Erbringung von Behandlungspflege kann dann ausgegangen werden, wenn die erbringende Person im Rahmen ihrer Ausbildung oder einer Nachqualifizierung an staatlich anerkannten Ausbildungsstätten/Fachschulen sowohl theoretisch als auch praktisch in die jeweilige Tätigkeit eingewiesen wurde. Für Träger bedeutet dies, dass diese bspw. bei examinierten Pflegefachkräften davon ausgehen können, dass sie Injektionen vergeben und sterile Verbände anlegen können. Da die Ausbildungen der Altenpflege nicht von Beginn an bundeseinheitlich geregelt war bzw. die Heilerziehungspflege-Ausbildung bisher noch nicht bundeseinheitlich geregelt ist, gibt es teilweise erhebliche Abweichungen der Lehrpläne. Daher ist bei staatlich anerkannten Altenpflegern und Heilerziehungspflegern individuell zu prüfen, ob die Tätigkeit Teil der theoretischen und praktischen Ausbildung war. Deshalb dürfen bei diesen Berufsgruppen nur die in der Ausbildung theoretisch und praktisch vermittelten behandlungspflegerischen Tätigkeitigkeiten (im Status einer Fachkraft) übernommen werden. Die einfache Aussage, ein Heilerziehungspfleger sei als Pflegefachkraft in der Behindertenhilfe anerkannt, kann nicht dazu berechtigen, medizinische Behandlungspflege auszuüben, ohne vorab eine entsprechende Qualifizierung durchlaufen zu haben.
Träger, die kein examiniertes Pflegepersonal zur Verfügung haben, können medizinische Behandlungspflege auf dem Weg der ärztlichen Delegation von geeigneten Mitarbeitern 30 durchführen lassen. Um dies rechtsicher durchzuführen, weist der anordnende Arzt vorab von ihm ausgewählte, namentlich benannte Mitarbeiter in die Tätigkeit (z. B. eine Insulininjektion) ein und dokumentiert dies schriftlich. Bei dieser Art von Delegation handelt es sich um eine »ad persona« Delegation, was bedeutet, dass die eingewiesene Person diese Tätigkeit nur bei dem benannten Klienten durchführen darf. Da es sich nicht um Pflegefachkräfte handelt, ist es rechtlich nicht zulässig, dass die eingewiesene Person als Multiplikator für Kollegen fungiert oder die beschriebene Tätigkeit bei anderen als den benannten Personen durchführt.
Für den Träger bedeutet dies, dass er mehrere Mitarbeiter einweisen lassen muss, damit die behandlungspflegerische Tätigkeit auch zuverlässig ausgeführt werden kann.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass ausgewählte Mitarbeiter die Übernahme von behandlungspflegerischen Maßnahmen ablehnen dürfen, sofern diese nicht Bestandteil ihrer Ausbildung waren.
3.2 Generalistische Pflegeausbildung
Die »Generalistische Pflegeausbildung« ist eine neue, reformierte Pflegeausbildung, die die bisherigen Ausbildungen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege verbindet. Mit dem neuen Berufsabschluss »Pflegefachfrau« oder »Pflegefachmann« können die examinierten Fachkräfte in allen Pflegebereichen arbeiten.
Als Grundlage hierfür trat am 1. Januar 2020 das Pflegeberufegesetz (PflBG) in Kraft. Es definiert erstmals Aufgaben (vorbehaltene Tätigkeiten), die nur von Pflegefachkräften ausgeführt werden dürfen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgungsqualität und zur Stärkung des Berufsbildes der Pflege. Die Regelungen zu den vorbehaltenen Tätigkeiten gelten gleichermaßen für alle künftigen Pflegefachkräfte nach dem Pflegeberufegesetz sowie auch für alle bereits examinierten Pflegefachkräfte (Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, Kinderkrankenpfleger und staatlich anerkannte Altenpfleger). Eine Differenzierung zwischen den einzelnen Berufsabschlüssen findet nicht statt.
Im § 4 des Pflegeberufegesetz (PflBG) heißt es:
1) »Pflegerische Aufgaben nach Absatz 2 dürfen beruflich nur von Personen mit einer Erlaubnis nach § 1 Absatz 1 durchgeführt werden. Ruht die Erlaubnis nach § 3 Absatz 3 Satz 1, dürfen pflegerische Aufgaben nach Absatz 2 nicht durchgeführt werden.
2) Die pflegerischen Aufgaben im Sinne des Absatzes 1 umfassen
1. die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs nach § 5 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a,
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