1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 „Ich fahre zurück ins Hotel“, flüstert sie, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. Trotz Claudes offensichtlicher Aufgewühltheit nimmt er sich die Zeit, ihre Tränen zu trocken, ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben und zu flüstern: „Nimm ein Taxi, ich will nicht, dass du allein im Dunkeln unterwegs bist.“
Ella legt sich ihren Schal über die Schultern und verlässt die Galerie. Einen Augenblick lang überlegt sie, Claude zu gehorchen und ein Taxi zu nehmen, aber die laue Abendluft ist so schön auf ihrer warmen Haut. Sie hat das Bedürfnis, sich zu bewegen – sich aufs Gehen zu konzentrieren, statt an die braunen Augen zu denken.
Die braunen Augen befinden sich direkt vor ihr. Victor trifft sie draußen. Seine Wut wird zu Verzweiflung, als er auf sie zukommt. Ohne ein Wort legt er seine warmen, freundlichen Hände auf ihre Wangen und küsst sie voller verzweifelter Lust. Sie braucht einen Augenblick, ehe sie versteht, was passiert, doch da ist es schon zu spät. Ihre Hände in seinen Haaren und ihr geöffneter Mund. Sie lässt ihn hinein.
Sie hatte vorgehabt, durch das dunkle Kopenhagen zu gehen – allein – und die laue, wohltuende Abendluft zu atmen. Um dann ins Hotel zu kommen, etwas Wasser zu trinken und sich hinzulegen. Stattdessen sitzt sie nun in einem Taxi, mit Victor, und fährt zu einem anderen Hotel. Was er in Kopenhagen macht, auf der falschen Seite des Wassers, weiß Ella nicht. Sie hat auch nicht vor zu fragen. Das Einzige, was jetzt zählt, sind seine Lippen auf ihren. Seine Hände überall auf ihr – gierig danach, all die Zeit wieder gutzumachen, die sie voneinander getrennt waren.
Es ist über ein Jahr her, dass sie Victor zum letzten Mal gesehen hat, als er sie wegen einer anderen verließ. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle. Dass Claude sich in einer Taxi setzen und zu einem leeren Hotelzimmer fahren wird, spielt auch keine Rolle. Ella wird von einer Lust getrieben, die alles andere ausradiert. Unwirklich. Sie will Victor.
Das Taxi hält vor dem Hotel und zwei Minuten später liegen ihre Kleider auf dem Hotelzimmerboden verteilt. Sie sagen nichts zueinander, Worte sind wahrhaftig überflüssig. Stattdessen lassen sie ihre Körper wieder zueinander finden. Er küsst sie gierig und statt sich zurückzuziehen – wie sie es in den sechs Jahren gemacht hat, in denen sie zusammen waren – öffnet sie ihren Mund noch weiter und lässt seine weiche Zunge die ihre untersuchen. Sein Speichel mischt sich mit ihrem.
Sein Schwanz ist hart, sie spürt ihn gegen ihren Schenkel drücken, während sie sich stehend umarmend und ineinander verdrehen. Das Gefühl lässt sie ihn Victors Mund stöhnen. Ihr war bisher nicht klar gewesen, wie sehr sie seinen vertrauten Körper vermisst hat. „Ich will dich in mir haben“, stöhnt sie, während seine Lippen ihren Hals küssen. Er lässt seine Zunge von ihrem Ohrläppchen zu ihrem Schlüsselbein heruntergleiten. „Jetzt“, sagt sie.
Victor lässt sich Zeit. Es geht langsam – zu ihrer Verzweiflung. Sie will ihn hart und schnell, voller Lust. Sie will mit ihm gemeinsam kommen – es herausschreien. Aber Victor lässt sich Zeit. Er legt sie vorsichtig ins Bett und küsst weiter ihren Hals. Seine weichen Lippen brennen angenehm auf ihrer Haut, was sie noch geiler macht. Küss mich da unten, denkt sie, während sie seinen Kopf vorsichtig nach unten drückt. Er lacht und schüttelt den Kopf. Die freundlichen, braunen Augen bekommen einen triumphierenden Schimmer – er weiß genau, dass er sie in den Wahnsinn treibt. Ella keucht, als die Zunge ihre Brustwarzen erreicht. Victor benetzt sie mit seiner Spucke, bedeckt sie mit Küssen und hebt dann den Kopf. Er betrachtet ihre Brüste einen Moment lang, bevor er vorsichtig auf sie bläst. Ella keucht auf, als ihre Brustwarzen von der schönen Kühle steif werden. Sie öffnet die Augen und blickt in Victors Augen. „Bitte Victor, leck mich“, flüstert sie und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
„Bin ich das nur, oder war das der beste Sex, den wir je hatten?“ fragt Victor außer Atem in das dunkle Zimmer. Es ist drei Uhr nachts und es wird schon etwas hell. Mit dem Ohr auf seiner Brust hört sie, wie sein Herz fiebrig versucht, Blut in seinen Körper zu pumpen. Sie öffnet die Augen und dreht den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. Er sieht glücklich aus. „Ich meine“, fährt er vorsichtig fort, „so gut war es nie, als wir noch zusammen waren. Da hast du nicht gerade mitgemacht. Aber jetzt … wow, Ella.“ Er lacht leise und legt seine Arme um sie, zieht sie näher zu sich und küsst ihren Scheitel. Der alten Ella hätte das gefallen – in Victors Armen liegen und es gemütlich zu haben. Die neue Ella spürt hingegen die Klaustrophobie unter der Haut. Das Ganze war völlig irre. Mit Victor nach Hause zu gehen und Claude zu verlassen. Der Orgasmus hatte sie wieder nüchtern gemacht.
„Ich muss zurück in mein Hotel.“ Ella setzt sich auf und erinnert sich plötzlich an ihre Nacktheit. Sie wünschte, Victor würde seinen Blick abwenden, dass er sich hinlegen und einschlafen würde. Stattdessen nimmt er ihre Hand.
„Was? Du verlässt mich ja wohl nicht für ihn ?“ Wenn Victor über Claude spricht, tut er das mit einem solchen Ekel, dass sich Ella fast schämt. „Ich habe dich doch vor dem Alten gerettet. Du brauchst nicht zurückzugehen!“, fährt Victor fort und seine Finger umklammern ihre Hand noch stärker.
„Victor …“, hebt sie an, wird aber unterbrochen, als er seine Lippen wieder auf ihre drückt.
„Wir können es noch mal versuchen, Ella. Du bist jetzt ganz anders. Hätte ich gewusst, dass es so werden würde, hätte ich nie … bitte, geh nicht. Die Zeit ohne dich war furchtbar. Ich liebe dich doch“, keucht er in ihr Ohr. Das Zimmer dreht sich. Ella weiß nicht, was sie antworten soll. Sie muss etwas Kaltes trinken, und sie will an die frische Luft. Ohne Victor zu antworten, macht sie sich los. Sie zieht sich ihr Höschen an und zieht sich schweigend das Kleid über den Kopf. Im Flur steigt sie in ihre Pumps und ehe sie die Tür schließt, sieht sie zu Victor, der mit dem Kopf in den Händen auf der Bettkante sitzt.
„Ich muss darüber nachdenken, Victor.“ Und schon ist sie fort.
Ella schleicht sich ins Hotelzimmer. Sie hält den Atem an und lauscht nach Bewegungen. Es ist ganz still im Zimmer, abgesehen von den Gardinen, die sich leise in der lauen Morgenbrise des offenen Fensters bewegen. Er schläft, denkt sie, und spürt, wie erleichtert sie ist. Wenn sie es nur schafft, sich zum Bett zu schleichen und sich hinzulegen, ohne ihn zu wecken, dann kommt sie damit vielleicht durch. Vielleicht kann sie behaupten, dass sie sich verlaufen hat und dass er schlief, als sie doch noch zurückkam.
Sie lässt die Pumps auf der Fußmatter stehen und geht barfuß durch den Eingangsbereich, umrundet vorsichtig eine Ecke und schnappt nach Luft, als sie seinem Blick begegnet. Claude sitzt angezogen auf dem gemachten Hotelbett und beobachtet sie dabei, wie sie sich hereinzuschleichen versucht.
„Jetzt passt es dir also gut, zurückzukommen?“ Er sieht weder wütend, noch traurig aus. Vor allem müde. Er hat das Aussehen eines besorgten Mannes, der die ganze Nacht gewartet hat. Ella wäre nicht überrascht, wenn das den Tatsachen entspräche.
„Ich …“, fängt sie an, aber ihr fällt nicht ein, wie sie den Satz beenden soll, deshalb bleibt das Wort in der Luft zwischen ihnen hängen. Die Stille ist kaum auszuhalten. Claude seufzt schwer und steht auf. Er geht auf sie zu und plötzlich bekommt sie fast Angst. Was wird er tun? Aber dann geht er an ihr vorbei – lässt den Windzug die Haare aus ihrem Gesicht streichen. Sie erwartet, dass er gehen und sie allein zurücklassen wird, was sie tatsächlich verdienen würde, nachdem sie ihn vor seiner Nase betrogen hat. Aber dann spürt sie seine Hand in ihrer. Seine Lippen in ihrem Nacken.
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