LUST Auhtors
Willkommen bei Kitty - 21 erotische Novellen
Lust
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Coverbild / Illustration: Shutterstock
Copyright © 2019, 2022 LUST, SAGA Egmont, Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788728043066
1. Ebook-Auflage, 2022
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von LUST gestattet.
Willkommen bei Kitty
Elena Lund
Die Wärme liegt diesen Sommer wie eine Decke über allem in Berlin. Auf dem schwarzen Balkongeländer setzen sich Pollen und Abgase ab. Die gelben Punkte auf dem Metall sind von weitem nicht sichtbar, aber dicht und klebrig, wenn man von nahem hinsieht. Die Fingerspitzen bleiben kurz kleben, wenn man das Geländer anfasst. Auf Fionas Haut liegt eine Schicht von Sonnencreme, Schweiß und verwischter Foundation. Geschmolzen und verklebt. Vermischt und getrocknet, getrocknet und wieder geschmolzen. Sie zieht die Gabel langsam durch die Knoblauchnudeln, ein Tropfen Öl fällt auf ihren Bauch, als sie die überfüllte Gabel in den Mund schiebt. Läuft zum Nabel hinab, vermischt sich mit dem Schweiß und der geschmolzenen Sonnencreme und trocknet, schmilzt und trocknet wieder.
Überall ist diesen Sommer alles von einer Schicht bedeckt. Von Großstadt, von Sommer, von billigem angetrocknetem Wein auf Gartenmöbeln und von trockenen 37 Grad.
Es könnte alles etwas eklig sein. Aber vor allem macht es sie kraftlos. Der Schweiß, der sich in den Kniekehlen sammelt und in kleinen Tropfen am Nacken, fühlt sich reinigend an. Ihr Körper, der ausgestreckt auf dem kleinen Balkon liegt, vibriert und ist überempfindlich von der Wärme. Er glänzt und genießt es, sie ist durch die Sonne wie neugeboren und fühlt sich attraktiv. Sie stellt den Nudelteller weg und zündet sich eine Zigarette an. Der starke Rauchgeschmack legt sich in das Fett auf ihren Lippen. Ihr Höschen ist dunkelgrün, eng und hoch ausgeschnitten. Sie legt das linke Bein auf das Geländer. Inhaliert und atmet über den ganzen Rosenthaler Platz aus.
Im Schatten des Balkonbodens liegt Fionas Handy. Es liegt mit dem Bildschirm nach unten, denn sie weiß, dass sie eine Nachricht bekommen hat. Sie ist da. Nichts kann die Tatsache ändern, dass die Nachricht da ist, und sie muss sie noch nicht beantworten. Es ist egal, ob es nicht so wird wie gedacht, wenn sie noch nicht antwortet. Bisher gibt es nur eine unbeantwortete Nachricht, und das ist manchmal der beste Moment, wenn noch nichts passiert ist. Eine Zigarette in der schwitzigen Sommersonne, etwas beschwipst vom Glas Weißwein und ein ausgetrockneter Körper – und den Samstagabend mit seinen Erwartungen verpackt in eine Tindermitteilung. Sie kann die Erwartungen wie kleine Berührungen auf dem ganzen Körper spüren, das Pulsieren unter der Haut ist der Traum der längsten Nacht des Lebens, und das bringt die Fingerspitzen zum Kribbeln.
Hannah
Hi. Du willst also ein Abenteuer, richtig?
Es ist so einfach auf Tinder, zu etwas ja zu sagen, bei dem Fiona sonst errötend weggucken würde. Wo sie nervös mit den Fingern knacken, die Augen rollen und lachen würde. Auf dem Handy ist es anders, aber vor allem ist es im Ausland anders. Niemand, der sie kennt, kann sie hier sehen. Wie sie nervös und schüchtern wird, still und abgewandt. Niemand kennt jemanden, der jemanden kennt, der sie hier sieht, und dadurch ist sie überhaupt nicht mehr nervös.
Fiona
haha, ja, das hab ich wohl gesagt
Hannah
Hast du es dir anders überlegt?
Fiona
Hätte ich sollen?
Hannah
Deine Entscheidung, darling. Ich gehe heute Abend ins Kit Kat. Wenn du willst, komm doch mit mir mit
Es war drei Uhr, als die letzte Mitteilung ankam. Und damit hatte die Unruhe – am Abend allein in Berlin zu sein, allein an einem Samstag zu sein – nachgelassen. Eine rothaarige Hannah mit perfekten Wangenknochen, die sie darling nennt, fragt Fiona, ob sie mit ihr in einen Sexklub gehen will. Also hatte Fiona sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen, ihre Nudeln und eine Flasche Wein auf den aufgeheizten Balkon mitgenommen und mit der ganzen Stadt angestoßen. Das Kribbeln im Bauch behalten und über eine Stunde auf der Nachricht rumüberlegt. Was das alles bedeutet, was das alles werden kann. Aber jetzt kann sie nicht mehr. Das Handy ist warm, als sie es in die Hand nimmt.
Da war ich noch nie.
Das löscht sie. Da wollte ich schon immer mal hin. Nein.
Ja, gern. Nein.
Fiona
Sehr gerne.
Der Geruch in der Innenstadt hat sich beim Sonnenuntergang verändert. Die Sommerluft riecht noch immer nach Sommer, aber statt des klebrigen, dünnen Dufts nach Säure und Verkehr riecht es jetzt nach nassem Wald und Hasch. Immer liegt ein dumpfer Haschgeruch über dieser Stadt. Fiona greift wieder nach ihrem Handy. 23:07. Steckt es wieder in die Tasche und nimmt stattdessen ihr Zigarettenpäckchen. Manchmal kommen kleine Menschenströme aus der U-Bahn hoch. Alle gehen an ihr vorbei, entweder zum Kiosk, um Alkohol zu kaufen, oder direkt zur Schlange. Manchen sieht man sofort an, wo sie hinwollen. Oder eher, dass sie genau da hinwollen. Sie tragen enge Lederhalsbänder mit großen Silberringen vorn, hohe Stiefel in glänzendem Lack und eine knallpinke Peitsche, die aus dem Adidas-Rucksack guckt. Sie sehen fantastisch aus. Alle sehen fantastisch aus. Sie kann das Schild am Tor von ihrem Standpunkt aus sehen, rot und leuchtend: „Welcome to the Circus.“
Drei Türsteher stehen am Eingang, die bestimmen, ob man sich genug angestrengt hat, ob die Leute auch wissen, wohin sie gerade gehen. Fiona weiß, wohin sie geht. Sie hat drei Gläser Weißwein im Körper und fühlt sich mutig und sexy. Sie spürt ihre halterlosen Strümpfe – von denen bisher, aber nicht mehr lange, nur sie weiß, dass sie sie trägt –, die sich eng an ihre Schenkel schmiegen. Sie möchte sich nach der pinken Peitsche strecken, nur weil es hier nicht unmöglich ist. Sie will das vielleicht noch nicht ausprobieren, aber sie will sie in der Hand halten, ihre Schwere spüren und die Möglichkeit, sie zu benutzen.
Sie inhaliert noch ein letztes Mal von ihrer Zigarette, wirft sie zu Boden und sucht nach dem Handy in ihrer Tasche, als sie jemand am Oberarm greift. In der einen Sekunde, die Fiona zum Umdrehen braucht, rutscht ihr das Herz erst in die Hose und schlägt dann bis zum Hals und rutscht dann wieder in die Hose.
„Fiona, richtig?“, sagt Hannah. Ihre Stimme ist heller, als Fiona sie sich vorgestellt hat, laut, ohne schrill zu sein, aber klangvoll.
„Richtig“, flüstert Fiona und nimmt sie in den Arm. Sie riecht nach Männerdeo und Apfelsine. Hannahs Umarmung ist hart, sie hält sie fest und wippt zweimal hin und her, als ob sie beste Freundinnen wären, die sich nach sehr langer Zeit zum ersten Mal wiedersehen.
„Bereit?“, fragt sie und lächelt breit. Sie hat Grübchen, die man auf den Tinderbildern nicht sieht, aber ansonsten sieht sie aus wie erwartet. Groß und elegant. Die roten Haare in einem festen, hohen Pferdeschwanz. Sie hat deutlich geschwungene Lippen; deren scharfe Konturen sehen gemalt aus, wenn sie von den Straßenlaternen beleuchtet werden. Fiona möchte sich nach vorne beugen und ihre Zungenspitze in das Grübchen drücken.
„Ja, doch“, sagt Fiona und fängt beinah an zu lachen. Erleichtert und nervös, ängstlich und erregt.
„Dann stellen wir uns jetzt an? Oder willst du erst was trinken?“
„Nein, alles gut. Danke.“
Hannah guckt schnell zur Seite, ehe sie die Straße überquert, und Fiona läuft ihr hinterher.
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