„Ist das alles Aborigine-Kunst?“, fragte er. Sie lächelte nachsichtig. Sie ist arrogant, dachte er, kein Zweifel.
„Nein. Wir möchten von diesem Begriff wegkommen, mit dem man bald doch nur noch drittklassige Bilder in Touristenzentren meint.“ Sie strich sich mit einer grazilen Bewegung eine Strähne hinters Ohr.
„Viele Aborigines haben zweifellos ein besonders Talent, mit Farben und Formen umzugehen.“ Sie ließ ihren Blick durch den hohen Raum schweifen, der etwas von einem Tempel hatte. Ein Ausdruck von Besitzerstolz war nicht zu übersehen. Eine Spur von Gönnerhaftigkeit auch nicht.
„Nehmen wir zum Beispiel Emily Kame Kngwarreye, die alte Dame, die niemals in ihrem Leben ein Kunstmuseum betreten hat. Ihre Bilder können Sie problemlos neben andere moderne Bilder von akademisch gebildeten Künstlern stellen.“
Ihre grünen Augen wurden ein wenig wässrig, stellte er fest, sie schien sich in höhere Sphären hinaufzuschwingen.
„Aber das Problem ist der Markt. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wenn Bilder inflationär angeboten werden, sinkt der Preis. Clifford Possum zum Beispiel verkauft seine Bilder, egal an wen, weil er immer Geld braucht. Weil er seine Leute unterstützt. Am Ende bleibt kaum noch etwas für ihn. Dann muss er schleunigst das nächste Bild malen.“
Lorraine seufzte, sie schien die Last des gesamten Kunstmarkts auf ihren Schultern zu tragen. „Gute Bilder werden kopiert und kopiert und auf T-Shirts gedruckt. Schicken Sie ein Foto eines Bildes nach China, und Sie bekommen zig Kopien für ein paar Dollars.“ Resigniert fügte sie hinzu: „Man hat zu viele Aborigenes ermutigt, zu malen, um Geld zu verdienen.“
„Ist es denn so verwerflich für Geld zu malen?“
Sie lachte gekünstelt. „Natürlich nicht, wenn die Qualität stimmt.“ Es war Zeit, sie auf den Boden zurückzubringen.
„Was wissen Sie über Frank Copeland?“
Moodroo
Er stopfte sich Pitjuri in den Mund, kaute und blickte durch den Bogen des Höhleneingangs hinaus auf das Land. Die Sonne würde bald untergehen. Auch hier hatte er Angst vor der Nacht. Aber vielleicht würden die Ahnen ihm beistehen.
Weil er schon lange nicht mehr dagewesen war, musste er sich den Mimis wieder bekannt machen, den langen, dünnen menschenähnlichen Gestalten. Geister, die sich selbst an die Wand gemalt hatten. Vor langer, langer Zeit. Niemals hatte er gesehen, wie sie sich nachts aus der Felswand lösten und tanzten oder jagten. Sie jagten nur bei ganz ruhigem Wetter. Wenn es nicht regnete und kein Wind wehte. Denn der Wind würde ihre zarten Knochen brechen. Die Mimis waren leichter als eine Feder. Sie sahen und hörten so gut, dass sich niemals ein Wesen unbemerkt von ihnen nähern konnte. Dann entflohen sie in ihren Felsenhimmel, hauchten an die Höhlenwand, die sich wie eine Tür öffnete und sich hinter ihnen wieder schloss. Er nahm den graubleichen Schädel mit den trockenen Hautresten bedächtig in seine Hände. Sein Finger strich die Knochenwölbung über der Augenhöhle entlang, spürte die Zacken der Knochennähte, fuhr über die scharfen Spitzen der Nasenwände und glitt hinunter zu den Zähnen. Er hörte die Alten sagen: Der Schuldige muss nicht unbedingt der sein, der den Sperr wirft.
Shane
Im Taxi zum Headquarters grübelte er darüber nach, was Lorraine Reynolds wohl vor ihm verbergen mochte. Als er den Namen Copeland erwähnt hatte, war ihm ein Zucken ihrer Lippen nicht entgangen. Sie hatte ihn in ihr Büro geführt, eine Art Lagerraum für hunderte weiterer Bilder, mit einem Schreibtisch voller Papiere und einer kleinen, futuristisch anmutenden giftgrünen Sitzgruppe.
„Gerade aufgegossen. Ich hoffe, Sie mögen grünen Tee.“ Sie goss aus einer filigranen Kanne Tee ein, setzte sich ihm gegenüber und schlug elegant die Beine übereinander.
„Frank, ich meine Frank Copeland, kam aus London. Ich habe ihn auf der letzten Vernissage von Betty kennengelernt.“ Sie holte Luft. „Wir hatten Differenzen, Frank und ich. Ich war gegen das Buch. Aber Betty wollte es dann schließlich auch. Sie haben mich überredet. Und ich habe mich schließlich dazu bereit erklärt, es herauszubringen. Den Vorschuss von dreitausend Dollar habe ich gezahlt.“ In ihren Augen bemerkte er einen leichten Schleier. „Sie reisten nach Coocooloora, Frank und ... Betty – und dann erhielt ich die Nachricht von ihrem Selbstmord.“
„Und dann haben Sie Copeland angezeigt, weil er sich nicht mehr meldete und die dreitausend Dollar Vorschuss von Ihnen hatte.“
Sie nickte und deutete durch die offen stehende Tür des Büros hinaus auf ein großformatiges Bild.
„Das Bild ist von Betty.“ Shane sah ein breites erdfarbenes Band, das sich über grünlich und rötlich schattierte Flächen schlängelte.
„Bemerken Sie den roten Schatten des durchschimmernden Dreiecks? Es demaskiert die Farben und Formen in ihrer Oberflächlichkeit.“
Shane nickte nur.
„Ich stelle Bettys Bilder seit fünf Jahren aus. Sie haben sich sehr gut verkauft.“ Da war sie wieder, die Geschäftsfrau, sie gewann an Selbstsicherheit. Zeit, eine Frage zu stellen.
„Hatten Frank und Betty ein Verhältnis?“
Lorraine schenkte Tee nach, obwohl weder er noch sie mehr als einen Schluck getrunken hatten. Täuschte er sich, oder zitterten ihre Hände ein wenig?
„Wie war noch einmal ihre Frage?“ Ihr Lächeln war angestrengt, und die Falten um ihre Mundwinkel vertieften sich. Shane wiederholte die Frage.
„Wenn man Bettys Abschiedsbrief ernst nimmt, muss man wohl mit Ja antworten.“ Sie klang schnippisch.
„Aus dem Brief geht hervor, dass sie verlassen wurde. Sind Sie sicher, dass Betty damit Copeland meinte?“
„Wen um Himmels willen soll sie denn sonst gemeint haben?“ Lorraine wurde offensichtlich ungehalten, und seine Fragen wurden ihr lästig.
„Sie war eine Frau in Ihrem Alter, warum sollte sie nur diesen einen Mann geliebt haben? Und welche Frau könnte das gewesen sein, um derentwegen Frank Betty verlassen hat?“
Lorraine betrachtete ihre Hände mit den sorgfältig manikürten Nägeln. Sie trug am Ringfinger der linken Hand einen breiten Silberring.
„Empfanden Sie etwas für Frank Copeland?“
„Wie kommen Sie denn darauf?“ Ihre sonst angenehme Stimme war schriller geworden. „Und wenn, wieso sollte ich ihn dann anzeigen?“
„Vielleicht waren Sie ja eifersüchtig auf Betty Williams, die Ihnen Frank während der Arbeit an dem Buch ausgespannt hat. Vielleicht waren Sie ja deshalb gegen das Buch.“
„Was soll das eigentlich?“ Sie stand auf, ging zum Schreibtisch, hob Papiere hoch, verschob Bücher und hielt endlich eine Schachtel Zigaretten in der Hand. Sie zündete sich eine an. Sie wandte sich von ihm ab und schaute auf das bis zur Decke reichende Regal, in dem hunderte von Gemälden wie Bücher nebeneinander gereiht waren. Warum sprach sie nicht weiter? Schnelle Schritte näherten sich vom Ausstellungsraum. Eine junge Aborigine in Tarnhosen und einem olivfarbenen Top stand in der offenen Tür zu Lorraines Büro.
„Hi, Lorraine!“ Sie nickte Shane zu. „Bin gleich wieder weg, aber Martin Oxley hat wegen heute Abend angerufen, es sei wichtig.“
„Sag ihm, ich rufe ihn gleich zurück.“
„Okay.“ Shane sah ihr nach.
„Ihre Assistentin?“
„Tracy, ja.“
„Könnten Sie mir nicht auch so eine Assistentin besorgen?“ Er lächelte. Doch Lorraine ging auf die als Auflockerung gedachte Bemerkung nicht ein. Sie hatte sich wieder vollends unter Kontrolle.
„Sind Ihre Fragen nun beantwortet, Detective?“
„Was war das für ein Buch, das Copeland über Betty schreiben wollte?“
Lorraine betrachtete ihn, als wäge sie ab, ob er es wert sei, ihn in die persönliche Geschichte Bettys einzuweihen. Offenbar entschied sie sich dafür, denn sie zog eine Schublade auf und holte einen dünnen Stapel Papier hervor.
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