Thomas Seidl
JEDER
Krimithriller
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Thomas Seidl JEDER Krimithriller Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Gut geschlafen?
Die Rückkehr der Sterling-Männer
Die Villa
Wo ist John?
Lebenszeichen
Der Beweis
Folter
Überwachung
Ich will leben
Leben und leben lassen
Stirb, kleines Mädchen, stirb!
Des Rätsels Lösung
Familiendrama
Der Exodus
Die Wahrheit
Epilog
Danksagung
In eigener Sache
Impressum neobooks
Mit einer Hand griff John Down hastig in das Handschuhfach und versuchte, eine Zigarettenpackung zu finden. Seit er aus London losgefahren war, hat er keine einzige Zigarette mehr geraucht. „Da muss doch noch eine Packung zu finden sein“, fluchte er vor sich hin. Er war süchtig nach diesen Dingern und wollte auch jetzt nicht damit aufhören. Der Auftrag einer gewissen Julia Sterling führte ihn von London ins beschauliche Steakbeaver. Vor fünfzehn Jahren war er noch ein hochrangiger Scotland Yard-Ermittler gewesen, doch dann war er dem Alkohol verfallen, als er einen bestialischen Serienkiller nicht hatte zur Strecke bringen können. Immer mehr gab er sich den Genüssen dieser legalen Droge hin; am Ende kostete ihn das seinen Job und danach verlor er sein komplettes soziales Umfeld. Er hatte sich einfach nicht mehr im Griff. Als es nur noch eine Frage der Zeit war, wann er sterben würde – sei es durch den Alkohol oder die Art, wie er sein Leben bestritt – raffte er sich noch einmal auf und kehrte dem Alkohol den Rücken. Er eröffnete eine Detektei und schaffte wieder den Sprung ins soziale Leben.
Fünf Jahre war das nun her, und jetzt hatte er einen Auftrag von einer reichen Familie erhalten, der ihm neben ein wenig Kleingeld auch noch in beruflicher Hinsicht Ansehen bringen könnte. Nur das Rauchen hielt ihn davon ab, wieder mit dem Trinken zu beginnen, und darum suchte er gerade verzweifelt nach einer Packung Kippen. „Ah! Da haben wir dich ja!“ Glücklich über den Fund, steckte er sich gleich eine Zigarette an. In seiner alten Klapperkiste, einem silbernen Mercedes Benz E270, Baujahr letztes Jahrtausend, war es nicht mehr wichtig, ob er auf Sauberkeit achtete oder nicht. Die besten Tage dieses Wagens waren ohnehin schon lange vorbei. Selbst den letzten Service hatte er nicht mehr machen lassen, denn es wäre nur mehr reine Zeitverschwendung gewesen. Die Bremsen waren fast im Eimer und die Stoßdämpfer nur mehr Requisiten von einem alten Auto. Die Liste der Schäden war lang, sehr lang, doch John Down war das egal – Hauptsache, der Wagen brachte ihn noch in dieses kleine Kaff mit dem wunderlichen Namen. Steakbeaver lag zwar nur knapp hundert Kilometer von London entfernt, aber da John noch nie zuvor von diesem Örtchen gehört hatte, hatte er auf Google Earth einige Fotos davon betrachtet, und so war ihm nun klar, dass er in ein typisches, kleines englisches Dorf fuhr.
Im Dorfkern standen viele Back-to-Back-Häuser, Reihenhäuser, die sich eine gemeinsame Rückwand teilen. Im 19. Jahrhundert wurden solche Häuser hauptsächlich für die Industriearbeiterschaft errichtet. Die Bauform, viele einzelne Häuser direkt nebeneinander zu bauen, ermöglichte es außerdem, die geraden Parallelstraßen über die Hänge und Kämme des hügeligen Baugrundes des Dorfes zu ziehen. John bedauerte, dass solche Bauten in den englischen Großstädten kaum noch zu finden waren, da sie spätestens Mitte der 70er-Jahre abgerissen worden waren. Langsam fuhr er in das Dorf hinein. Hier im beschaulichen Steakbeaver, wo einst eine große Kohlefabrik stand, gab es solche Häuser noch immer und formten das Bild des Dorfes, an dessen Rand zudem viele allein stehende kleine und größere Häuser, meistens aus Backstein gebaut waren.
Zu diesen gehörte auch die Villa der Familie Sterling, vor deren Einfahrt John Down gerade Halt gemacht hatte. Er stoppte den Motor, um Benzin zu sparen, und sah sich um. Das Anwesen war von einer imposanten Steinmauer umgeben, und die Zufahrt wurde durch ein großes schwarzes Tor mit einem Drachensymbol versperrt. Zwei Säulen, auf deren Spitzen sich jeweils zwei Drachenstatuen befanden, streckten sich links und rechts des Tores empor. Alles wirkte hier sehr alt, bis auf die Überwachungskamera, die an der linken Säule befestigt war.
Kurz darauf öffnete sich quietschend das Tor. John startete den Motor wieder, fuhr hinein und eine lange Allee entlang. Die Blätter fielen bereits von den Bäumen, denn es war schon Ende Oktober. Er erblickte die große alte Villa, die seiner Meinung nach eine Renovierung bitter nötig hatte. Am Vorplatz hielt er mit seinem Wagen an und wurde beim Aussteigen gleich vom Hausmädchen der Sterlings empfangen.
„Guten Tag, werter Herr! Willkommen in Steakbeaver! Mrs. Sterling erwartet Sie bereits.“
John folgte dem Mädchen ins Innere der Villa. Was außen nach einem alten, renovierungsbedürftigen Gemäuer aussah, zeigte innen seinen wahren Glanz. In der Eingangshalle funkelte ein riesiger Kronleuchter von der Decke, und das Eichenholz der Treppe, die einen Stock höher führte, erstrahlte wie neu. An den Wänden hingen wunderschöne Ölporträts, deren Gesichter er aber nicht zuordnen konnte. Es müssen wohl Familienporträts sein, schlussfolgerte John.
Die Haushälterin führte ihn in einen Nebenraum in der unteren Etage. „Warten Sie bitte hier. Mrs. Sterling wird Sie in Kürze empfangen.“
John bedankte sich und sah sich im Raum um. Es war eine mittelgroße Bibliothek, vollgestopft mit Werken, deren Entstehungsjahre sich quer durch das Jahrhundert zogen. Keine spezifische Literatur, und dem Staub nach zu schließen waren sie in letzter Zeit auch nicht gelesen, sondern wohl mehr zu Dekorationszwecken aufgestellt worden. Ein alter Bürotisch, vermutlich aus viktorianischer Zeit, stand fast in der Mitte des Raumes. Es herrschte Unordnung auf ihm, und auch in der Ecke des Zimmers war Staub zu finden. Rasch wurde John klar, dass normalerweise nur der Hausherr oder die Hausherrin Zugang zu diesem Zimmer hatten, denn es schien schon lange nicht mehr gereinigt worden zu sein. Der Eingangsbereich, den er sich zuvor gut eingeprägt hatte, wirkte dagegen lupenrein, sogar der Kronleuchter, der mehrere Meter über den Boden hing, war ohne Staub gewesen.
In diesem Moment betrat Mrs. Sterling den Raum. Sie war älter, als John sie sich vorgestellt hatte. Sie wog etwa 65 Kilo, war nicht sonderlich groß und trug einen mittellangen, blauen Rock mit einer dazu passenden Bluse. Die Haare waren schulterlang und dunkelbraun, und selbst das Make-up passte perfekt zu ihrem Outfit. Sie wirkte smart und selbstbewusst. Außer mit dem Alter lag John mit allen seinen Vermutungen richtig.
Ihre bestimmte, aber doch sanfte Stimme erklang. „Guten Tag, Mr. Down. Ich hoffe, Sie mussten nicht zu lange warten. Wie war die Fahrt von London in unser kleines Steakbeaver?“
„Sehr gut, danke!“
„Dann kommen wir gleich dazu, warum Sie hier sind. Ich habe Ihnen ja am Telefon schon erklärt, dass meine Enkelin vermisst wird. Seit zwei Monaten ist sie verschwunden, und ich mache mir große Sorgen. Erst vor einem halben Jahr ist sie von London zurückkehrt. Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, und ich habe diesen immer und immer wieder durchgelesen, aber ich kann das dort Geschriebene einfach nicht glauben.“ Mrs. Sterling übergab John den Brief.
Aufmerksam las er ihn.
Liebe Großmutter, ich habe beschlossen, Steakbeaver wieder den Rücken zu kehren. Ich wollte in der Firma mithelfen, aber das ist einfach nicht mein Ding. Es tut mir leid, aber Du hättest es nicht verstanden, und darum gehe ich einfach. Mach Dir keine Sorgen. Deine Susan
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