Alexander Stania - Icecore

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Was ist vor 18 Jahren mit Thomas Novaks Frau Verena passiert?
Wieso musste vor 22 Jahren die Familie des Bergbauunternehmers Dr. Bernhard Seeger sterben?
Wo sind vor 26 Jahren die Forscher einer norwegischen Forschungsstation geblieben?
Eine Reihe von Geheimnissen sind Ausgangspunkt einer unglaublichen Reise an den unwirtlichsten Ort der Erde: Die Antarktis.
Eine Gruppe von Wissenschaftler, Dokumentarfilmern und Technikern starten eine Expedition von Punta Arenas aus. Ihr Ziel liegt hinter dem Transantarktischen Gebirge. Mit Spezialgerätschaften reisen sie 1600 Meter tief in den antarktischen Gletscher. Dort entdecken sie die verlassene Icecore-Forschungsstation.
Zurückgelassen und verwüstet.
Beim Erforschen stellen sich immer neue Fragen und unheilvolle Vorahnungen. Wer oder Was hat alle elektronischen Geräte herausgerissen und nicht mal halt vor 20 cm dicken Stahltüren gemacht?

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„Na, wie gefällt dir das? Sollte deine Größe sein.“ Mascha hielt ihr die erste Schicht vor die Nase, welche aus einem enganliegenden Polypropylenanzug bestand. Er war schwarz und hatte weiße Streifen über die ganze Länge der Ärmel. Die Hose hatte einen Eingriff.

„Etwas Schickeres gibt es nicht?“, fragte Annika ironisch.

„Dieses Ding wird niemand unter den anderen Schichten sehen. Lass mich kurz die Funktion erklären, damit du diese Mode mehr zu schätzen weißt.“

„Wie viel Schichten werden es denn?“, fragte Annika entsetzt. Marscha grinste. „Das hat alles seine Berechtigung. Dieser tolle Stoff zum Beispiel nimmt deinen Schweiß auf und verhindert das Auskühlen des Körpers. Er stoppt den Wärmeverlust. Darüber bekommst du dann noch eine Schicht, bestehend aus einer Baumwolljacke und Hose, die eine vom Körper erwärmte Luftschicht zwischen der Unterwäsche und der Außenschicht einschließen soll. Darüber kommt dann noch …“ Mit diesen Worten verschwand sie hinter den Kleiderständern, sodass Annika nur noch ihre blonden Lockenkopf herumspringen sah. Umkleidekabinen gab es nicht, dafür bildeten zwei Kleiderständer einen Vförmigen Sichtschutz. Davor stand ein Heizlüfter, der surrend warme Luft hineinblies. In der Spitze des „V“ stand ein großer Spiegel. Annika begab sich mit dem neuen Kleidungsstück dorthin und legte die lange Unterwäsche über einen der Ständer. Sie zog ihre Lederjacke, Pulli und Jeans aus. Trotz des Heißlüfters beeilte sich Annika, in die Polypropylenunterwäsche zu schlüpfen. Mascha hat wirklich ein gutes Auge, dachte sich Annika. Passt wie angegossen.

„Was für eine Schande! Unter dem Rest wird man deine weiblichen Rundungen nicht mehr sehen“, sagte Mascha, die mit jeder Menge Kleidung in den Armen zurückgekehrt war.

Annika war es etwas unangenehm, wie die Russin sie mit ihren Blicken von oben bis unten musterte. Im Spiegel trafen sich dann ihre Augen einen Moment zu lange. Annika blickte verlegen zur Seite.

„Wärst du lesbisch, dann würde ich dich hier auf der Stelle vernaschen. So süß siehst du aus. Dein indischer Freund kann sich glücklich schätzen.“

Annika war über diese direkte Offenheit ziemlich sprachlos. Aber irgendetwas wollte sie antworten, um nicht völlig verklemmt zu wirken. „Tut mir leid“, war alles, was ihr einfiel.

Mascha fing erst an, leicht zu kichern, steigerte es aber schnell in ein ausgewachsenes herzhaftes Lachen. „So etwas brauch dir nicht leidzutun, Kleine. Ich werde schon noch fündig. Mach dir mal keine Sorgen.“ Sie reichte Annika den Rest der Ausrüstung und sagte: „Dann wollen wir mal weitermachen. Bald kommt noch mehr Kundschaft.

Annika schlüpfte in die Baumwollschicht, welche für das warme Luftpolster zuständig war. Anschließend zog sie eine mit isolierenden Gänsedaumen gefütterte orangefarbene Latzhose über, die eine Außenschicht aus wasserdichtem Nylongewebe besaß.

Annika erkannte sich im Spiegel fast nicht mehr wieder. Sie kam sich vor wie ein orangefarbener Eskimo. Dabei hatte sie noch nicht mal die Handschuhe, die Socken und Füßlinge an. Ganz zu schweigen von den klobigen Stiefeln.

Distanz 123

Vor dem Hintergrund, dass ihr Vater und sie heute schon um vier Uhr früh im Hangar sein sollten, hatte sie gestern nach dem Containerlagerbesuch nur noch zu Mittag gegessen. Danach hatte sie sofort gepackt und versucht, noch so viel Schlaf wie möglich abzubekommen. Ein neues Gefühl drängte sie, Jenay auf seinem Zimmer zu besuchen, aber sie gab dem nicht nach. Ihre Gedanken kreisten um den süßen Inder genauso häufig wie um die bevorstehende Reise zum Südpol. Das verwirrte sie, denn sie war nicht hierhergekommen, um sich in eine Beziehung zu verwickeln. Sie wollte auf keinen Fall den Eindruck eines verliebten Mädchens erwecken. Unter den ganzen Technikern und Wissenschaftlern musste sie als ernst zu nehmende Kamerafrau wahrgenommen werden. Besonders in Dr. Seegers Augen musste sie sich beweisen. Niemand hatte ihr das gesagt. Sie spürte aber, dass dieser kahlköpfige Mann von ihrer Anwesenheit nicht begeistert war. Seinen Leuten den Kopf zu verdrehen war das Schlimmste, was sie machen konnte.

Nun stand sie in ihrem Hotelzimmer, blickte an sich herunter und konnte ihre weißen Turnschuhe kaum sehen, so dick war die dreischichtige Antarktiskleidung. Sie hatte die Jacke noch offen gelassen, um nicht unnötig zu schwitzen. Die Stiefel hingen links und rechts am Rucksack auf ihrem Rücken. Sie hatte wirklich versucht, im Rucksack nur das Nötigste unterzubringen. Sechs statt drei Unterhosen hatte sie einpacken müssen. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, mehr als zwei Tage in der gleichen Unterwäsche zu leben. Bei den restlichen Dingen hatte sie sich an die Vorgaben des Supervisors gehalten.

Ihr Vater trug die zwei Koffer mit der Kameraausrüstung. Sie musste lediglich die Tasche, in der das Solarladegerät und Ersatzakkus waren, tragen. Die hatte allerdings ein stattliches Gewicht.

Sie wollte gerade ihr Zimmer verlassen, als es an der Tür klopfte. Sie hatte vor, sich mit ihrem Vater im Hangar zu treffen und fragte sich, wer das wohl sein konnte. Nach dem Öffnen der Tür blickte sie in Jenays freundliches Gesicht.

„Ich dachte, dass du beim Tragen sicher Hilfe gebrauchen könntest“, sagte er mit seinem indischen Akzent, der ihr schon so vertraut war, dass sie ihn gar nicht mehr hörte. Was für ein Gentleman, dachte sie und drückte ihm gleich freudig die Tasche mit dem Solarstromgenerator in die Hand.

Distanz 122

Thomas konnte nicht warten. Zu aufgeregt war er gewesen, sodass er bereits kurz vor dem Wecksignal aufgewacht war. Er wollte seine Tochter nicht drängen, da er sie für die Positionierung der drei kleinen Stativscheinwerfer und den Aufbau der Kamera nicht brauchte. Nun stand er mit Alexander Müller in ihrer orangefarbenen Antarktisbekleidung zusammen vor einem der zwei riesigen Hubschrauber. Sie besprachen die Aufnahmen des bevorstehenden Einzugs des Teams und den Start der Mil Mi26. Das große Hangartor, das dem Flughafenrollfeld zugewandt war, stand bis zur Hangardecke offen. Draußen wartete der zweite Megahubschrauber. Fertig beladen und vollgetankt. Gestern hatten sie alle Expeditionsfahrzeuge und Bohrmaschinen in der Mil Mi26 verstaut. Die Maschine, die gestern noch draußen stand, war jetzt drinnen und wartete auf ihre Flugpassagiere.

„Woher bekommt man diese Maschinen, wenn ich fragen darf?“, wechselte Thomas das Thema, als sein Blick etwas zu lange an den Superhelikoptern hängen blieb.

„Aus Russland. Deutsche Helikopter sind viel zu teuer. Außerdem ist die Mil Mi der größte in Serie produzierte Hubschrauber der Welt.“ Alexander Müller war sichtlich stolz über ihre zwei Flugmaschinen. „Natürlich hätten die Amerikaner auch jede Menge hochmodernes Equipment, aber die sitzen auf ihrem Zeug wie die Henne auf dem Ei, und außerdem muss man noch jede Menge unangenehme Fragen beantworten“, fügte er hinzu, bevor sein Gesichtsausdruck wieder ernster wurde. „Trotzdem kostet diese Expedition noch sehr viel Geld, welches die DDC tragen muss. Und niemand weiß, ob wir etwas Gewinnträchtiges entdecken werden.“ Er schaute Thomas mit seinen graublauen Augen noch intensiver an als zuvor. „Aus dem Grund ist dieser Dokumentarfilm so wichtig. Ich hoffe, wenigstens einen Teil der Unkosten wieder hereinzubekommen.“ Sein Lächeln war schlagartig wieder zurück. „Und wenn der Film ein richtiger Kracher wird, dann umso besser. Geld kann man schließlich immer gebrauchen, nicht wahr?“ Über das Finanzielle hatten sie bisher noch nicht gesprochen. Thomas war froh gewesen, überhaupt die Möglichkeit zu haben, bei dieser Expedition dabei zu sein. Aber ab jetzt wurden sie nicht einfach mehr mitgenommen, sondern sie arbeiteten auch dafür. Damit hatten sie eine Aufgabe und würden niemandem untätig im Weg herumstehen.

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