»Mach dich nur lustig«, entgegnete ich reserviert. »Aber wir müssen uns auf schlechte Zeiten einstellen.«
»Indem du säckeweise Reis und Nudeln anschleppst? Was kommt als nächstes? Kartoffeln auf dem Balkon?«
»Gute Idee, aber nein, ich versuche nur zu überleben, wenn andere Hunger leiden oder obdachlos sind.«
»Apropos obdachlos. Ich habe heute mit dem Immobilienbüro Donnersberg telefoniert und eine Liste von Häusern bekommen, die zum Verkauf stehen.«
»Sobald ich wieder laufen kann, gerne«, versuchte ich mich mit schwachem Protest gegen Tessas Ignoranz aufzulehnen, aber keine halbe Stunde später saßen wir in der S-Bahn auf dem Weg nach Vaterstetten, wo Tessa ein fünfzig Jahre altes Reiheneckhaus anzuschauen gedachte.
Mich schauderte, als ich vor dem klinkergedeckten, gelblich blassen Fassadeneinerlei am Ende einer tristen Häuserzeile stand. Die hühnerstallartig aneinander gereihten Eingänge erinnerten eher an englische Arbeitersiedlungen, als an ein Wohnen im Grünen. Das einzig Grüne waren neben den entsprechend farbigen Papiertonnen die akkurat auf Hüfthöhe gestutzten Hecken und das Handtuch von Rasen, das sich verschämt von der Gartentür bis zum Hauseingang erstreckte. Platz genug für zwei ausgewachsene Meerschweine, nicht aber für eine Familie mit Hund und zwei Kindern.
»Wollen wir uns wenigstens das mit dem Hund nicht noch einmal überlegen?«, versuchte ich die Sache mit Humor zu nehmen, doch Tessa schien ganz angetan.
»Ach was, hinterm Haus wird Hector schon ausreichend Platz finden.«
»Noch ein Kind?«
»Nein, der Hund, oder hast du was gegen Hector?«
»Nein, ich habe nur etwas gegen diese Friedhofsatmosphäre hier draußen.«
»Warte nur, bis Philipp und Marie über den Rasen toben. Dann sehnst du dich nach der Stille hier zurück.«
»Genau das habe ich befürchtet«, murmelte ich noch, doch Tessa hatte bereits an der Gartentür geklingelt.
»Jetzt sei nicht so negativ. Das kann doch ganz hübsch werden. Und bei deinen Bürgerunruhen sind wir hier wenigstens weit ab vom Schuss«, zwinkerte sie mir noch zu, bevor sich die Haustür öffnete und ich dem Kommenden entgegen sah.
Das hatte vier Füße und fauchte. Eine fette, gelbrote Hauskatze schob sich durch den Türspalt, streckte uns ihre Krallen entgegen und zeigte die Zähne. An ein Streicheln war nicht zu denken.
»Keine Sorge, die will nur spielen«, rief uns eine unbekannte Stimme den meistgehasstesten Satz von Joggern im Stadtpark entgegen, bevor eine blondierte Frau in den Vierzigern im Hausanzug und Kuhkopfpantoffeln vor die Tür trat. Sie nahm den Mitleid erregenden Bettvorleger von einem Haustiger auf den Arm und bat uns einzutreten.
»Sie kommen auf die Anzeige?«
»Nein, Herr Hertling von der Agentur Donnersberg hat mir Ihre Adresse gegeben und gemeint, wir könnten jederzeit mal klingeln.«
»Da hat er Recht, aber kommen Sie erst mal rein. Was kann ich Ihnen anbieten?«
»Eine ungefähre Jahreszahl, wann Heizung und Dach das letzte Mal erneuert wurden«, kam es mir spontan über die Lippen, wofür ich Tessas Ellbogen in den Rippen spürte.
»Hören Sie nicht auf meinen Freund, ein Glas Wasser wäre nett«, entschuldigte sich Tessa bei der Gastgeberin und funkelte mich, als diese in der Küche verschwunden war, wütend an. »Schon mal was von guter Kinderstube gehört, du Trampel?«
»Nein, aber von den Kosten, die ein renovierungsbedürftiges Dach und eine marode Heizung verursachen, wenn ich dich mal an das Alter dieser Hütte erinnern darf.«
»Wenn wir uns einen Neubau leisten könnten, wären wir nicht hier. Also hör auf zu motzen oder such dir ’nen besseren Job«, presste meine Freundin zwischen den Zähnen hervor, als die Hausbesitzerin mit den Getränken zurückkam.
Fünfzig Minuten und eine Hausbesichtigung später ging Tessa schweigend neben mir zurück zur S-Bahn. Das Haus war in besserem Zustand, als ich befürchtet hatte, doch aus uns unerfindlichen Gründen hatten die Architekten bei der Hausplanung eine geräumige Küche ebenso wie ein Bad, in dem sich mehr als eine Person drehen konnte, für entbehrlich gehalten. So fehlte es nicht nur an einer Badewanne, auch ein Gemüsebrett wäre größer als die Arbeitsfläche in der Küche gewesen. Hier konnte man den Begriff Kochnische wörtlich nehmen.
»Ja, grins nur«, fuhr mich Tessa mit einem Seitenblick an, der mich zum Widerspruch reizte.
»Das ist nur der Schmerz. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber mit einem gebrochenen Zeh sollte ich nicht in fremden Häusern herumsteigen.«
»Schon gut. Dass ihr Männer aber auch immer nur jammern könnt.«
Ohne darauf zu antworten, las ich mir die nächste Hausbeschreibung auf dem Rückweg zur S-Bahn durch.
»Wo bitte liegt denn Gröbenzell?«
Tessa nahm mir die Anzeige aus der Hand, überflog sie kurz und tippte schließlich auf den unteren Absatz.
»Hier steht’s doch, im Westen von München, noch vor Fürstenfeldbruck.«
»Bruck? Nicht dein Ernst? Also, ich würde nie mit einem FFB Kennzeichen herumfahren. Kennst doch den Spruch: Hüte dich vor Eis und Schnee, EBE und FFB .«
»Darf ich dich mal daran erinnern, dass wir gar kein Auto haben und außerdem weiß ich gar nicht, was Gröbenzell für ein Kennzeichen hat.«
Missmutig folgte ich Tessa zum S-Bahn-Plan und versuchte heraus zu finden, wie viele Streifen ich zu meinem Isarcard-Abo hinzulösen musste. Trotz Abitur und einem Ingenieurstudium war es mir nicht möglich, anhand des Ringplans der Münchener Verkehrsbetriebe hierauf eine Antwort zu finden. Schließlich kauften wir uns jeder ein Singleticket und hofften, nicht kontrolliert zu werden.
Vom Gröbenzeller Bahnhof führte ein Weg direkt zur Hexe, einer Kneipe, die ironischerweise in der Kirchenstraße lag. Mir hing der Magen in den Kniekehlen, als wir vor der Wirtschaft auf ein Schild mit der Aufschrift: Riesenschnitzel mit Pommes stießen.
Das Lokal war schwach besucht. Zwei Männer hockten an der Theke und würfelten mit der Wirtin um Schnäpse. Ein anderer saß auf einer kleinen Bühne am Klavier und versuchte sich mehr recht als schlecht an Für Elise , während sich ein Pärchen auf der Bank am Fenster küsste. Aus dem Nebenraum hörte ich Billardkugeln aneinander stoßen, begleitet von Rock Antenne, die blechern aus gammeligen Boxen oberhalb der Theke wimmerte. Tessa wollte gleich wieder gehen, doch völlig ausgehungert zog ich sie an einen der freien Tische.
»Schnitzel, Pommes und ein Helles«, diktierte ich der wenige Minuten später an unseren Tisch getretenen Wirtin in den Bestellblock und sah Tessa erwartungsvoll an. »Und meine Freundin möchte…«,
»nichts«, beendete diese mürrisch meinen Satz, ohne dabei aufzusehen.
»Ein kleines Wasser«, korrigierte ich und trat unterm Tisch gegen Tessas Schienbein. »Uns hier Häuser anzusehen, war deine Idee. Da wird doch eine kurze Pause drin sein.«
»Ist ja gut. Ich find’s halt nicht besonders gemütlich hier. Vor allem der Typ drüben am Klavier nervt.«
Seufzend erhob ich mich und ging aufs Klo. Dort las ich stehend die über die Urinale gehängten Comics und beschloss, mich nicht von Tessas schlechter Laune anstecken zu lassen.
Zurück am Tisch fand ich mein Bier und eine in die Hausanzeige vertiefte Freundin vor, die mich plötzlich anstrahlte und auf die zweite Seite des Maklerschreibens tippte.
»Schau mal, das nächste Haus hat sogar einen Pool und im Keller eine Sauna.«
»Mir würde schon genügen, wenn es einen Keller hat und ein bisschen mehr Grün als die letzte Absteige.«
»Komm, so schlecht war das Haus gar nicht. Wenn nur Küche und Bad nicht so winzig gewesen wären. Das Zimmer unterm Dach war doch voll kuschelig.«
Bei dem Wort kuschelig überlief es mich kalt, doch zum Glück kam mein Schnitzel und die Welt wurde in Licht getaucht.
Читать дальше