Erwartungsfroh hoffte ich, die Frage von ihm beantwortet zu bekommen, doch weit gefehlt. Erst nach einigen Minuten peinlichen Schweigens bequemte sich mein Finanzdienstazubi und zeigte ins Innere der Bank.
»Wenden Sie sich mal an den Herrn dort drüben mit der roten Krawatte, der müsste sich auskennen.«
Unsicher, welcher der drei Herren mit einheitlich roter Krawatte auf hellblauem Hemd gemeint war, wollte ich meinem Banker des Vertrauens danken, doch der hatte sich bereits zu seiner Kollegin umgedreht und erzählte von seinem gestrigen Partyabsturz. Da wollte ich nicht stören und begab mich in den Kundenbereich der Bank, tastete mich von Servicepoint zu Servicepoint, hinter denen vereinzelt Bankangestellte saßen und so intensiv auf ihre Bildschirme starrten, dass ich mich nicht traute, sie dabei zu stören. Schließlich machte einer der roten Krawattenträger den Fehler, den Blick zu heben und mich just in dem Augenblick anzusehen, in dem ich vor seinem Schreibtisch stand. Man konnte ihm die Enttäuschung förmlich ansehen, als er mich fragte, wobei er mir helfen könne. Ich nahm erst einmal Platz, was seine Miene um eine weitere Nuance verfinsterte.
»Ich würde gern mein Sparguthaben in Gold tauschen.«
Schweigen.
»Ja nun, ich dachte, ich frag mal nach einer alternativen Anlage in Gold oder so.«
Noch lauteres Schweigen.
»Immerhin hört man ja hier und da, dass die Wirtschaftskrise noch nicht vorüber wäre und bevor wir eine Inflation bekommen, wäre Gold doch sicher keine schlechte Idee.«
Das Schweigen hallte in meinen Ohren wider.
Doch irgendwann schienen meine Worte bei meinem Gegenüber angekommen zu sein, zumindest wandte er seinen fragenden Blick von mir ab und starrte erneut in seinen Bildschirm, nicht ohne zuvor mit seinem rechten Zeigefinger suchend einzelne Tasten seiner Tastatur betätigt zu haben.
»Also, wir verkaufen Gold nur als Barren. An welchen Betrag hatten Sie denn gedacht?«
»Na ja, ungefähr das, was mein Girokonto hergibt.«
»Der Kurs steht aber nicht besonders günstig.«
»Da hatten andere wohl die gleiche Idee«, schmunzelte ich, doch mein Berater verzog keine Miene.
»Mag sein, vielleicht aber treibt auch die Nachfrage aus Fernost die Preise an. Die brauchen Gold für ihre Computerchips.«
»Glauben Sie nicht daran, dass die Leute sich vor einer Inflation schützen wollen?«
»Welcher Inflation?«, sah er mich fragend an.
»Die, mit der wir angesichts der Staatsverschuldung rechnen müssen.«
»Also unsere Bank hat kein Geld von der Regierung bekommen, wenn Sie darauf anspielen.«
Kommt schon noch, dachte ich, antwortete aber, dass ich an die Verschuldung ganz allgemein dachte.
»Allein in diesem Jahr 80 Milliarden. Das spielen die da oben doch nur ein, wenn sie den Euro abwerten, oder was meinen Sie?«
»Keine Ahnung«, zuckte der Kassenwart mit den Schultern. »Ich verkaufe hier Bausparverträge. Was gehen mich die Staatsschulden an?«
Vernünftige Einstellung für einen Banker, dachte ich noch, bevor mich der Vertreter der noch existierenden Mittelschicht nach meiner Kontonummer fragte.
»Und das wollen Sie in Gold anlegen?«
»Ja, den ganzen Betrag.«
»Davon ging ich aus, abzüglich der Bearbeitungsgebühr.«
»Bleibt dann noch was übrig?«, scherzte ich beim Unterzeichnen des Auftrages, doch der nachdenkliche Gesichtsausdruck meines Beraters beendete mein Schmunzeln.
»Ich weiß nicht, ob wir Barren in dieser Größe vorrätig haben. Haben Sie noch andere Konten bei uns?«
Ich verneinte und mein Gesprächspartner erhob sich stöhnend mit dem Hinweis, er käme gleich wieder. Auf dem – wie ich annahm – Weg zum Tresor, blieb er kurz bei einem seiner Kollegen stehen und wies flüsternd mit dem Kopf in meine Richtung. Grinsend gingen die beiden Männer auseinander.
Minuten später kam mein Berater zurück, doch statt eines, von mir erwarteten Mahagonikästchens hatte er ein Kuvert in der Hand. Aus diesem schüttelte er ein schmales Goldplättchen auf die Schreibtischunterlage und wies mit der Hand darauf.
»So, das wäre Ihr Barren.«
»Barren?«
Ich hielt sekundenlang die Luft an, aus Angst, das Plättchen versehentlich einzuatmen.
»Nun, ich sagte Ihnen ja, der Goldpreis steht gerade nicht besonders günstig. Aber mehr gab Ihr Girokonto nicht her. Wollen Sie es gleich mitnehmen oder soll ich ein Schließfach eröffnen?«
»Ich glaube, das lohnt den Aufwand nicht. Vielleicht sollte ich mir das mit dem Umtausch doch noch mal überlegen.«
»Wie Sie wollen, Sie zahlen die Gebühren. Soll ich den Barren wieder Ihrem Konto gutschreiben?«
Zwei Unterschriften später und zu einem deutlich schlechteren Ankaufspreis ging ich lediglich um Erfahrungen reicher zurück ins Büro.
Dort ignorierte ich meinen seit Tagen auflaufenden Poststapel und recherchierte nach alternativen Goldquellen im Netz. Dabei stieß ich auf eine Internetseite, auf der ein findiger Ex-Banker Auswege aus der unvermeidlichen Finanzkrise versprach und vom Zehn-Punkte-Plan bis zum solarbetriebenen Atombunker allerlei Überlebenswichtiges anbot. Eine clevere Geschäftsidee mit der Angst, aber auch die einzige Quelle für Antworten auf meine vielen Fragen zu dieser plötzlichen Schieflage der westlichen Welt.
Alles klang nach einem lang angelegten Plan, an dessen Ende eine Weltregierung unter dem Vorsitz der National Bank of America, kurz der FED, stehen sollte, die mittels Diktatur in den einzelnen früheren Nationalstaaten die Geschicke der Erde bestimmt. Ein beruhigendes Szenarium, hatte ich doch bisher die Angst, die Chinesen könnten zeitgleich in die Höhe springen und die Weltmacht durch den dadurch verursachten Tsunami übernehmen. Nun aber war die Gelbe Gefahr gebannt und alles blieb dort, wo ich die Weltregierung seit langem vermutete, in Amerika, und die gehörten seit den Rosinen-Bombern 1945 über Berlin zu den Guten.
Doch auch der Verfasser dieser investigativen Rette-Dich-Selbst-Seite riet angesichts einer unvermeidlichen Geldentwertung zur Anlage in Edelmetalle, allem voran in Gold, womit ich wieder beim Anfang des Tages landete.
Als nächstes aber empfahl die Internetseite: drohende Versorgungsengpässe zu überbrücken, solange es die entsprechenden Überlebensgüter noch zu kaufen gäbe .
Vorratswirtschaft also. Das kannte ich aus den Erzählungen älterer Kollegen, die bis heute nichts wegwerfen können. Eine dem Artikel angehängte Frageliste unterstrich die Brisanz dieses Ratschlages für den Tag X, an dem es Nacht in Deutschland werden würde:
Was tun Sie, wenn
- der Strom ausfällt?
- das Handy nicht mehr funktioniert?
- es Probleme mit der Trinkwasserversorgung gibt?
- es zu einer Panik kommt?
- Geschäfte schließen oder die Regale leer sind?
Besorgen Sie sich jetzt wichtige Ausrüstungsgegenstände, um externe Versorgungsrisiken abfangen zu können.
Und genau das hatte ich vor, als ich mir den restlichen Tag frei nahm, meinen Zimmerkollegen irgendetwas vom 60. Geburtstag einer Nachbarin erzählte und mir von unserer Teamassistentin zwei große IKEA-Taschen lieh, die sie in ihrem Kleiderschrank bunkerte. Heute endlich sollten die ihren Zweck erfüllen. Mein Ziel hieß Metro-Großmarkt und der Widerstand hatte begonnen. Mich würde diese Weltregierung nicht bekommen, eher ginge ich in den Untergrund und wenn es das Letzte wäre, das ich in diesem Leben noch tat.
Der Geschäftsstellenleiter des Großmarktes betrachtete skeptisch das Passbild auf meiner Einkaufskarte, ohne die Nichtgewerbetreibende keinen Zutritt zu dem Konsumtempel unserer zivilisierten Welt hatten. Es galt Großpackungen zu erwerben, rechnete ich doch mit mindestens zwei Jahren Ausnahmezustand und Hungersnot. Den zur Einkaufsberechtigung notwendigen Gewerbeschein hatte ich mir noch im Büro aus dem Internet herunter geladen und zusammen mit einem eingescannten Passbild meines Kantinenausweises ausgedruckt. Sah täuschend echt aus und überzeugte schließlich sogar die Oberaufsicht über die bunte Warenwelt der Familiepackungen.
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