»Ich bin zufällig hier vorbeigekommen«, sagte ich.
»Du bist zufällig hier vorbeigekommen?«, fragte Isabelle und hätte fast angefangen zu lachen. »Dann wolltest du gar nicht zu mir?«
»Äh doch, ich bin nur zufällig schon jetzt gekommen.«
»Und wieso zufällig?«
»Weil ich zufällig gerade ich Chania war um Geld zu holen.« Die griechische Sonne bretterte mir erbarmungslos auf die Birne. »Und das habe ich gleich genutzt, um einen Abstecher nach Rethimnon zu machen.«
»Wie bitte, ihr habt nach zwei Tagen schon kein Geld mehr? Ist Matala so teuer?« Ach ja, dass wir in Pale waren und nicht in Matala, konnte sie natürlich nicht wissen. Das musste ich erklären. Selbstredend nicht mit der Offenbarung, zu blöde zu sein, um die richtige Fähre zu besteigen.
»Wir sind gar nicht in Matala. Wir sind nach Paleochora runter, das liegt ganz im Südwesten von Kreta. Haben in Piräus 'nen Tipp bekommen und sind mit der Fähre nach Chania gefahren.« Wenigstens der letzte Satz stimmte.
»Da ist es natürlich der Vorteil, wenn man kein Hotel gebucht hat«, sagte Isabelle und hob ihre Augenbrauen. Ich konnte ihren Blick nicht so richtig deuten. War es Anerkennung für unsere enorme Flexibilität oder eher Mitleid, weil sie ahnte, dass wir uns zu doof angestellt hatten?
»Ja, das stimmt«, erwiderte ich und erhob mich.
»Habt ihr jetzt eigentlich ein Zimmer genommen oder schlaft ihr am Strand«, fragte Isabelle. Die Frage schien ihr auf den Nägeln gebrannt zu haben. Es war ein Fehler, davon im Flugzeug angefangen zu haben.
»Am Strand«, erwiderte ich einsilbig und machte sogleich den nächsten Fehler. »Wo ist eigentlich Petra?« Um schnell das Thema zu wechseln, fiel mir nichtes besseres ein, als diese Frage. Ich hätte ihre Antwort ahnen müssen.
»Interessiert dich Petra?« Isabelle sah mich mit einem prüfenden Blick an.
»Ach, überhaupt nicht.«
»Petra hat gestern jemanden kennen gelernt. Sie sind in Rethimnon.«
»Das ging ja schnell.«
»Ja. Wollen wir noch mal zum Strand oder wollen wir einen Kaffee trinken gehen?« Isabelle lächelte wieder, während ich einen kurzen Blick auf ihre Brüste warf, die unter ihrem engen Strandkleid wesentlich besser zur Geltung kamen, als im Flugzeug unter dem weiten Oberhemd. Wie Sybille 75B?
»Ist mir eigentlich egal«, erwiderte ich, obwohl ich auf Strand nicht besonders scharf war. Sie musste meinen Blick anderes gedeutet haben. »Gut, dann gehen wir zum Strand. Ich bin gerne dort. Hast du Badezeug dabei?« und deutete auf meinen Schlafsack.
»Äh ja, das heißt eigentlich nicht.« Mir versagte die Stimme. Meine zweite Unterhose im Schlafsack machte sich als Badehose vermutlich nicht besonders gut.
»Macht auch nichts«, sagte Isabelle, fasste mich am Handgelenk und schlug den Weg zum Strand ein, »ich habe ein Badetuch, das ist groß genug für uns beide.«
Ich griff vorsichtig meinen Schlafsack, dann gingen wir Hand in Hand Richtung Strand, so als wenn wir uns schon jahrelang kannten. Links hielt ich die grazile Hand von Isabelle, rechts den Schlafsack mit der Dose lauwarmen Bieres. Krampfhaft schielte ich nach einem Mülleimer, in dem ich das Teil unauffällig entsorgen konnte, musste aber wieder einmal feststellen, dass das Aufstellen von Mülleimern nicht zu den bevorzugten Interessen der Griechen gehörte.
Der Strand war immer noch gut gefüllt. Lange Schatten, weiche, satte Farben und tiefblaues Meer. Isabelle zog ihre weißen Stoffschuhe aus, steckte sie in die Tasche und stapfte zu einem freien Platz. Ich folgte ihr langsam.
»Ist das hier okay für dich?«, fragte sie. Noch bevor ich nicken konnte, hatte sie sich ihr Badetuch geschnappt, breitete es aus und ließ sich darauf nieder. Und dann passierte das, was passieren musste. Als ich mich setzen wollte, stieß ich den vorher vorsichtig platzierten Schlafsack um und warmes Bier verteilte sich über ihrem Badetuch. Eine Feuerwalze durchpflügte meinen Kopf. Isabelle schaute mich irritiert an und fing an zu lächeln. »Hast du dir etwas zu trinken mitgebracht?«
»Ja, das hatte ich noch im Schlafsack.«
Isabelle schien kurz darüber nachzugrübeln, was ich wohl noch alles im Schlafsack hatte. Ohne die Pfütze auf ihrem Handtuch weiter zu beachten, zog sie ihr Strandkleid aus. Stück für Stück kam ein schwarzer Bikini zum Vorschein. Sie legte das Kleid auf ihre Tasche und nahm das Bikinioberteil auch ab. Ich zwang mich, auf das Meer zu schauen, es wollte irgendwie nicht klappen. Isabelle steckte sich ihre Sonnenbrille in die Haare, setzte sich, die Armen vor den Knien verschränkt und blinzelte mich an.
»Willst du dir nicht auch dein T-Shirt ausziehen? Ich habe Sonnenmilch dabei.«
»Kann ich machen«, sagte ich und zog den Bauch ein, was ich immer tat, wenn dieses entblößte Teil irgendwo zum Vorschein kommen musste, wie beispielsweise beim Arzt. Etwas behäbig schälte ich mich aus dem T-Shirt. Im Gegensatz zu ihr sah ich aus wie ein Stück Käsekuchen, empfand meine Körperfarbe aber immer noch besser, als die des Paares rechts neben uns, die mich in ihrem blassroten Teint an die Himbeerschnitten unseres Bäckers erinnerten. Isabelle wühlte ein gelbes Plastikfläschchen mit Sonnenmilch aus ihrer Tasche und begann sich einzucremen, während ich den Horizont nach Schiffen absuchte, nicht ohne immer wieder einen knappen Blick aus den Augenwinkeln auf sie zu werfen.
Irgendwie muss ich mich neu sortieren, überlegte ich, die Geschichte mit Isabelle nahm langsam Fahrt auf. Geheuer war mir das nicht, aber die Sache hatte eine Eigendynamik entwickelt, die ich mir so nie vorgestellt hatte. Ebenso wenig wie ich mir jemals vorstellen konnte, schon nach zwei Tagen auf Kreta zwischen Unmengen von durchgegarten Pauschaltouristen einer Bettenburg zu sitzen.
Wir lagen nebeneinander auf Isabelles Badetuch und unterhielten uns über belanglose Dinge, die, genauer betrachtet, gar nicht so belanglos waren. Zum Beispiel über unsere gegenseitigen beruflichen Karrieren. Dummerweise hatte ich in dieser Hinsicht nicht allzu viel zu aufzubieten, zumindest versetzte ich Isabelle nicht in den Zustand zügelloser Ekstase, als ich ihr erzählte, dass ich im fünften Semester auf Berufsschullehrer studierte. Da war sie schon etliche Meilen weiter. Mein Kinn bewegte sich jedenfalls ruckartig nach vorne, als sie mir sagte, sie sei Ärztin. Der Klassenunterschied war plötzlich spürbar. Die nette Frau mit dem weißen Kittel. Ich bildete mir ein, dass es auf einmal statt nach Sonnencreme nach beißender Voltaren -Salbe und Heftpflaster roch. Ärztin war aber schon ein Hammer! Diesen Beruf hatte ich überhaupt nicht auf meiner Liste, als ich schon auf der Fähre darüber nachdachte, was sie beruflich machen würde. Anwältin, Floristin, Lehrerin, sogar an Schuhverkäuferin hatte ich für möglich gehalten, aber niemals Ärztin.
»Oh, Ärztin. Eine Göttin in Weiß.«
»Ach hör' auf.«
Noch sichtlich beeindruckt fragte ich Isabelle, wo sie in Berlin ihre Praxis hatte. Ich stellte mir ein kleines Wartezimmer mit von Strahlern beleuchteten Kandisky-Drucken an schneeweißen Wänden vor, mit einer Yuccapalme in der Ecke und einem mit Zeitschriften bedeckten, modernen Glastisch vor.
»Ich bin keine praktizierende Ärztin, sondern arbeite im Urban-Krankenhaus als Anästhesistin«.
Ach so, dachte ich und nickte wissend, obwohl ich mit dieser Fachrichtung nicht besonders viel anfangen konnte. Aber das hatte nichts zu sagen, ein Freizeitfußballer wie ich kannte nur Orthopäden. Noch als ich dabei war, Anästhesist gedanklich zu buchstabieren, fuhr Isabelle fort, mir ein paar Einzelheiten über ihren Beruf zu erzählen. Dass sie bei Operationen dabei sei und auch bei Geburten, dass ihr Schichtdienst sehr stressig, dafür die Bezahlung im Gegensatz zu niedergelassenen Ärzten ziemlich dürftig sei und so weiter. Ich nickte fortwährend.
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