Ulrich Paul Wenzel
Einmal und Zurück
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Titel Ulrich Paul Wenzel Einmal und Zurück Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Ich wurde an einem Mittwoch vorzeitig entlassen. Um 21.43 Uhr. Nach sieben Monaten und einer guten Woche. Oder 207 Tagen. Angeblich wegen schlechter Führung, auf jeden Fall ohne Bewährung.
Sybille begleitete mich an die Tür ihrer kleinen Altbauwohnung im Wedding. Da der Abschied etwas frostig ausfiel und nicht mehr vieler Worte bedurfte, verkniff ich es mir, die eigentliche Bedeutung dieses Tages zu erwähnen. Ich hätte nur weitere Fragen hinterlassen. Es war der 14. Juni und wäre der 50. Geburtstag von Che Guevarra gewesen. Eine der vielen Persönlichkeiten, mit der Sybille leider nichts anfangen konnte. Sie feuerte meine beiden Reisetaschen in den Hausflur und wies mir den Weg wie eine nordkoreanische Straßenpolizistin über die Türschwelle. Kurz darauf flog die Haustür zu wie der Vorhang des letzten Aktes. Unser Theaterstück war beendet.
Das war vor zwei Monaten. Inzwischen wohnte ich wieder in der Friedelstraße, in der Nähe des Herrmannplatzes. In meiner Wohnung. Ich war jedenfalls laut Mietvertrag immer noch der Hauptmieter. Meine Freunde Franky und Cash hatten das Desaster kommen sehen und mir für alle Fälle mein Zimmer in der WG freigehalten.
Ich hatte die beiden erst vor einem guten Jahr kennengelernt. Wir saßen jeden Dienstagnachmittag zusammen im Seminar Entwicklungspsychologie I an der Technischen Universität und schliefen regelmäßig nach spätestens zwanzig Minuten ein. Leider benötigten wir einen Schein, da wir alle drei unabhängig voneinander irgendwann mal auf die Idee gekommen waren, Berufsschullehrer zu werden. Natürlich der Ferien wegen, aber das erwähnten wir nirgendwo. Da wir schon nebeneinandersaßen und zusammen einschliefen, war es folgerichtig, dass wir drei das Referat Sozialisation und Selbstsozialisation als essentielle Einflüsse auf die menschliche Entwicklung bearbeiten. Nicht weil uns das Thema besonders interessierte. Dieses Thema und wir waren am Ende der Verteilung übriggeblieben. Franky schlug vor, die Ausarbeitung in der Dicken Wirtin in der Carmerstraße vorzunehmen, wo es Bier und Erbsensuppe gab. Unsere Schicksalsgemeinschaft entwickelte sich schnell zu einer intensiven Freundschaft.
Den Sommerurlaub mit Franky und Cash hatten wir vorausschauend geplant, als sich meine Beziehung mit Sybille dem Ende zuneigte.
Es gab zwei alternative Ziele: Ibiza oder Kreta. Schmelztiegel für Althippies und Aussteiger. Obwohl wir weder das eine noch das andere waren, glaubten wir dort definitiv richtig zu sein. Unsere Entscheidungsfindung brauchte genau drei Tage, dann kam Franky mit dem Tipp eines Freundes: Matala, ein Fischerdorf an Kretas Südküste. Also Matala.
Unglücklicherweise hatte Cash heute Morgen verpennt. Wäre nicht schlimm gewesen, war aber leider gerade der Tag unseres Abfluges. Und wenn Cash verpennte, verpennten wir alle, denn er hatte den einzigen Wecker in unserer Wohnung, in der es drei gut gepflegte HiFi-Anlagen, drei Fernseher, zwei Kühlschränke gab.
Obwohl wir auf eine flache Hierarchie in unserer WG bedacht waren, akzeptierten wir Cash als Vorstand. Er pflegte die Außenkontakte zu den Nachbarn, führte die Haushaltskasse und organisierte die Wohnungsreinigung, mit der wir uns jedes Wochenende schwertaten. Außerdem war er mit 1,87 der Längste von uns. Seine Führungsqualitäten zeigte er schon ganz am Anfang unserer Freundschaft, die zur Zeit des Referats noch eine Schicksalsgemeinschaft war. Er steuerte die gesamte Ausarbeitung, verteilte die Arbeitsaufgaben, erinnerte uns an unsere Treffen in der Dicken Wirtin und besorgte Literatur. Franky und ich glaubten, dass dieses Verhaltensmuster auf seinen Job als Aushilfskellner im Parkcafè zurückzuführen war, wo er Gäste mit einen gefühlten Altersdurchschnitt von 70 Jahren vor sich hatte. Seine Namen verdankte Cash dem amerikanischen Country-Sänger, einer dessen größter Fans er war.
Franky dagegen war eine tragische Figur, das lebende Beispiel für die These, dass sich naturwissenschaftliche Begabung und Lebenstauglichkeit diametral gegenüberstehen, oder sich sogar vollkommen ausschließen. Mit 27 Jahren war er der Älteste von uns dreien und mit einem Abi-Durchschnitt von 1,4 vermutlich auch der Intelligenteste. Er fuhr Taxi und studierte nebenbei. Nach BWL und Maschinenbau war es sein drittes angefangenes Studium, wahrscheinlich jedoch nicht sein letztes. Für Franky war das kein wirkliches Problem. Es zählten nur das Jetzt und Heute sowie Geld und Frauen. Von beidem hatte er, das mussten Cash und ich neidvoll anerkennen, mehr als genug.
Obwohl wir auf den letzten Drücker am Check-In erschienen, bekamen wir erstaunlicherweise noch drei fast zusammenhängende Plätze. Franky und Cash saßen in Reihe 28 links nebeneinander, ich in Reihe 27 auf der anderen Seite des Ganges. Direkt neben zwei Frauen.
Meine direkte Nachbarin für die nächsten drei Stunden in dieser Boing 727 von Dan-Air hatte Format, dafür nicht das geringste Interesse an mir. Gelangweilt blätterte sie in einem Frauenjournal, während ich meinen Platz einnahm. Nach Außen die kühle Nummer, während sie innerlich wahrscheinlich vor Flugangst implodierte. Ich musterte sie aus den Augenwinkeln. Sie hatte ihre schulterlangen blonden Haare hinter das Ohr gelegt. Natürlich konnte sie nicht ahnen, dass Ohren und Halspartien bei Frauen auf mich einen ganz außergewöhnlichen Reiz ausübten, insbesondere im Zusammenhang mit dem anziehenden Duft eines Parfüms. Selbstverständlich hatte ich auch einen Blick fürs Ganze, aber ich hatte irgendwo einmal gelesen - wahrscheinlich war es in einer von Sybilles unzähligen Frauenzeitschriften, die sich meterhoch neben dem Klo gestapelt hatten - das Ohren charakterbildend seien. Und auf Charakter legte ich wert. Schon meine Mutter gab mir den wohlgemeinten Ratschlag, ich sollte unbedingt auf den Charakter einer Frau achten. Der zähle mehr als Aussehen, Geld oder Intelligenz. Scheinbar war sie nicht eindringlich genug, bei mir zählten einzig und allein optische Merkmale.
Es war tatsächlich ihr Ohr, mit dem meine Sitznachbarin Akzente setzte und nicht der silberne Hänger mit dem grünen Stein. Ein hinreißendes Ohr, weich, mit klaren Konturen und einem zarten Läppchen, auf dem ich winzige blonde Härchen erkennen konnte. Ich begann vorsichtig zu schnüffeln. Ihr exotisches Duftwasser warum etliches aufregender als Sybilles französisches Parfüm, das am Ende unserer Beziehung irgendwie nach verwelkten Sonnenblumen roch.
Den Seitenblick auf Franky und Cash schräg hinter mir hätte ich mir ersparen sollen. Ich zuckte zusammen. Die verwischten Spuren der Nacht, die erst am Morgen gegen vier Uhr im Dschungel endete.
Cashs unrasiertes Gesicht unter seinen dunkelblonden Haaren ähnelte einer Zeitung, auf der sich jemand eine ganze Nacht lang herumgewälzt hatte. Franky übertraf ihn um Längen. Sein Kopf erinnerte mich spontan an einen alten Lederball, dem die Luft entwichen ist. Er hatte seine Augen vorsichtshalber hinter seiner großen, geschmacklosen Sonnenbrille versteckt. Auf dem Kopf trug er sein schon etwas in die Jahre gekommenes Che-Guevara-Barett, was ihm unter normalen Umständen eine gewisse militärische Note verliehen hätte, an diesem Morgen jedoch eine Karneval-Utensilien wirkte. Alles in allem erinnerte Franky mich an eine missratene Comic-Figur.
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