»Das geht dich nichts an!«, antwortete ich.
»Hast du mit Sekhem geschlafen? Ich habe euch zusammen weggehen sehen.«
»Und wenn es so wäre?«
»Er ist nicht der richtige Mann für dich.«
»Ich entscheide selbst, wer der Richtige ist!«, erklärte ich trotzig.
Mein Vater beobachtete, wie ich mich abends für den Spaziergang am Fluss fertig machte. Während ich mir die Haare kämmte, sah ich ihn das Zelt verlassen.
Durch den Spalt am Zelteingang beobachtete ich, wie er sich mit Sekhem unterhielt, der sich aus seiner knienden Position erhoben hatte. Mein Vater ging einige Schritte mit Sekhem vom Zelt weg und hatte den Arm freundschaftlich um die Schultern des jüngeren Mannes gelegt. Sie schienen sich angeregt zu unterhalten. Worüber sprachen sie? Sekhem war doch erst vorgestern Nachmittag zu einer Besprechung ins Zelt des Bauleiters gekommen. Hatte es weitere Diebstähle im Lager gegeben?
Später gingen Sekhem und ich am Fluss entlang, doch an diesem Abend hielt er nicht einmal meine Hand. Er schwieg.
Ich fragte ihn, was los sei. Nichts, antwortete er einsilbig. Ich fragte ihn, ob er Probleme habe. Nein, antwortete er, er habe keine Probleme. Ich fragte ihn, ob seine Einsilbigkeit mit dem Gespräch mit meinem Vater zu tun habe. Nein, antwortete er, nicht direkt.
»Jetzt sag mir endlich, was los ist! Was hat mein Vater dir gesagt, Sekhem?«
»Er hat mir verboten, mich weiter mit dir zu treffen und ...«
»Er hat es dir verboten?«, unterbrach ich ihn.
»Das waren seine Worte: Sekhem, wenn du meine Tochter noch einmal auch nur ansiehst, wirst du deine Position als Kommandant auf dieser Baustelle verlieren.«
»Das hat er gesagt? Und was hast du ihm geantwortet?«
»Was hätte ich sagen sollen? Er ist mein Vorgesetzter!«
»Du meinst, du hast ihm nicht widersprochen?«
»Nein.«
»Ich dachte, du liebst mich!«, schrie ich ihn an.
»Nefrit, das ist alles nicht so einfach …«
»Doch, offensichtlich ist es das!«
»Es ist für mich nicht so einfach, wie du denkst, Nefrit!«, unterbrach er mich. »Ich bin kein reicher Mann.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Dein Vater hat mir Gold gegeben, damit ich nicht mehr mit dir schlafe.«
»Wie viel Gold?«
Sekhem holte einen Goldring aus der Tasche seines Leinenschurzes. »Mehr als ein Jahresgehalt.«
Ich entriss ihm den Goldring und rannte zu unserem Zelt.
Mein Vater lag auf seinem Bett, als ich den Vorhang zur Seite riss.
Ich warf ihm das Gold vor die Füße. »Was glaubst du eigentlich, was du damit erreichst?«, schrie ich ihn an. »Wie konntest du!«
Mein Vater hob den Goldring vom Boden auf.
»Nefrit, ich will dir helfen, aus dieser Situation wieder herauszukommen.«
»Aus welcher Situation?«
»Sekhem hat dich verführt. Du bist noch zu jung für eine solche Beziehung.«
»Wieso bist du so sicher, dass er mich verführt hat? Ich werde bald vierzehn Jahre alt, Vater. Ich kenne das Leben außerhalb dieser Zeltwände. Vergiss nicht, dass ich auf einer Baustelle aufgewachsen bin!«, schrie ich.
Traurig vergrub er sein Gesicht in den Händen. »Ich wollte dir immer ein besseres Leben bieten, Nefrit. Ich habe hart dafür gearbeitet, um genug Kupfer zu verdienen, damit wir eines Tages von hier fortgehen könnten. Das Schicksal hat es anders gemeint. Glaub mir, Nefrit, ich habe lange überlegt, ob ich die Stelle als Bauleiter aufgeben sollte, damit wir zusammen woanders hingehen. Aber was hätte ich machen sollen? Ich habe keinen Beruf erlernt außer Gemüsebauer und Steinschlepper. Welches Leben hätte ich dir bieten können, das dich zufrieden gestellt hätte? Und so entschloss ich mich, auf der Baustelle zu bleiben und das Beste daraus zu machen.« Er sah mich nicht an und rang mit den Tränen.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Er hatte Opfer gebracht, das stimmte. Aber in meinem Zorn verkannte ich seine Argumente. Ich sehnte mich nach meiner Freiheit, und er stand mir dabei mit seinem Verhalten und seiner Position im Weg.
Ohne ein Wort zu sagen, verließ ich das Zelt und ging zurück zum Flussufer. Ich fand Sekhem, wo ich ihn verlassen hatte.
Wir liebten uns so leidenschaftlich, als wüsste er, welch hohen Preis er für diese Nacht mit mir zahlen würde.
Am nächsten Morgen befahl mein Vater Sekhems Versetzung auf eine Baustelle in Mempi. So endete unsere Affäre, jedoch nicht ohne Nachspiel. Zwei Tage später bekam ich heftige Schmerzen im Bauch und Blut lief an der Innenseite meiner Beine hinab.
Ich war verwirrt: War das Blut eine Folge unserer Vereinigung? Die Schmerzen nahmen im Verlauf des Tages noch zu, und auch der Blutfluss ließ sich nicht stillen. Ich wusch mich zweimal am Fluss.
Am darauf folgenden Tag hörten weder die Schmerzen noch die Blutungen auf. Ich bekam Angst, innerlich zu verbluten. Wen sollte ich um Rat fragen? Meinen Vater? Niemals! Satamun? Sie war in Pihuni. Einen Arzt? Die Ärzte auf der Baustelle kannten sich, wie ich vermutete, besser mit Amputationen und gequetschten Gliedmaßen aus.
Trotz meiner Zweifel ging ich zu einem der Ärzte, die mit ihren Tragekisten voller Instrumente über die Baustelle liefen, um Verletzten sofort helfen zu können. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
»Bist du verletzt?«
»Ich glaube schon …«
»Du glaubst schon?«, fragte er mich. »Du siehst nicht verletzt aus.«
»Ich blute seit zwei Tagen.«
Er sah mich vom Scheitel bis zu den Füßen prüfend an, während er seine Messer und Skalpelle auf einem sauberen Tuch ausbreitete. »Wo?«
Ich deutete auf meinen Schoß.
»Und du hattest noch nie solche Blutungen?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie alt bist du?«
»Ich werde bald vierzehn Jahre alt.«
Er räumte die Instrumente wieder in seine Tragekiste ein.
»Was ist denn nun?«, fragte ich ungeduldig, als er mir seine Antwort schuldig blieb.
»Du bist nicht verletzt. Du hast deinen Mondzyklus.«
Der Arzt erläuterte mir in unfarbigen Worten, welches Schicksal Frauen am Ende ihrer Kindheit ereilt. Er nahm mir die Angst vor dem Verbluten. Was er mir nicht nehmen konnte, war der Hass auf meinen Vater, der mich auf diese Veränderung in meinem Leben nicht vorbereitet hatte.
Im Frühsommer, zur Zeit der Getreideernte, gestand ich meinem Vater, dass ich mich bereits vier Jahre zuvor für die Aufnahme in der Tempelschule in Mempi beworben hatte, und zeigte ihm die Zusage des Priesters Sethi.
Im zehnten Regierungsjahr des Seneferu, wenige Tage nachdem ich vierzehn Jahre alt geworden war, gab er endgültig auf.
Macht entsteht aus Ohnmacht und dem unbeugsamen Willen, nicht aufzugeben. Für mich war die Barkenfahrt ein Triumphzug, für meinen Vater, der den Aufenthalt in Mempi mit einem Besuch auf der Baustelle des neuen Atum-Tempels verband, schien sie eine Niederlage zu sein. Die Fahrt stromabwärts dauerte bei leichtem Gegenwind weniger als einen Tag. Während ich ungeduldig am Bug saß, ging meinem Vater selbst das noch viel zu schnell. Wie für ihn meine ganze Kindheit zu schnell vergangen war.
Ich kauerte auf meinem Sack, in dem ich alle meine Sachen verstaut hatte. Ich besaß einen Pinsel und einen Tintenstein, drei Kleider und einen Leinenschurz, ein paar alte Sandalen, einen Kamm und einige Kupferbarren. Mein Vater hatte mir noch heimlich drei Goldringe ins Gepäck gesteckt. Aber ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. Denn dann hätte ich mich bei ihm bedanken müssen.
Am frühen Abend kamen wir in der Alten Hauptstadt an. Wir gingen von Bord und mein Vater brachte mich zum Haus des Ptah. Ich wurde erwartet, weil ich meine Anreise durch einen Brief angekündigt hatte.
Mein Vater stellte meinen Sack auf den Boden und siegelte den Ausbildungsvertrag mit dem Tempel.
»Können wir den Abend zusammen verbringen, bevor ich morgen wieder nach Pihuni zurückkehre?«, fragte er. In seinen Augen sah ich den Wunsch nach Versöhnung.
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