Robert Asprin - Die Herrin der Flammen

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Die Zauberkugel wurde zerstört, und die Todesfee Roxane ist verschwunden. In Freistatt scheint endlich wieder Frieden eingekehrt zu sein. Tempus denkt sogar daran, seine wilden Stiefsöhne wieder zum Hexenwall abzuziehen. Doch wer wird dann die Macht in der Diebeswelt ergreifen? Da tritt Chenaya, die Gladiatorin und Tochter der Sonne, auf den Plan: Sie will sich mit den gefürchtetsten Männern von ganz Freistatt verbünden – der Rebellen der Unterwelt.
Neue Abenteuer aus der Stadt der Diebe, wo man sich mit Feuer und Flamme der Magie verschreibt, selbst wenn man sich dabei furchtbar die Finger verbrennt.

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Die Herrin der Flammen

Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey

Mit Illustrationen von Helmut W. Pesch

Anmerkung des Herausgebers

Dem aufmerksamen Leser fallen möglicherweise kleine Unstimmigkeiten bei den Figuren dieser Stories auf. Ihre Sprechweise, ihre Darstellung bestimmter Ereignisse, und ihre Ansichten, wer in der Stadt mehr oder weniger zu sagen hat, variieren von Zeit zu Zeit.

DAS SIND JEDOCH KEINE UNSTIMMIGKEITEN!

Der Leser sollte diese scheinbaren Widersprüchlichkeiten noch einmal genauer betrachten und dabei dreierlei bedenken:

Erstens: Jede Geschichte wird aus einer anderen Sicht erzählt, und jeder sieht und hört die Dinge eben ein bißchen anders. Selbst augenscheinliche Tatsachen werden durch Wahrnehmung und Standpunkt des einzelnen beeinflußt. So wird beispielsweise ein Spielmann ein Gespräch mit einem Magier anders wiedergeben als ein Dieb, der dasselbe Gespräch mit anhörte.

Zweitens: Die Bürger von Freistatt sind zwangsläufig mehr als nur ein bißchen paranoid. Sie neigen dazu, im Gespräch manche Dinge entweder ganz zu übersehen oder abzuwandeln. Sie tun das eher automatisch als vorsätzlich, weil es für das Überleben in dieser Gesellschaft notwendig ist.

Drittens: In Freistatt ist der Konkurrenzkampf groß. Man wird z.B. nicht angeheuert, wenn man von vornherein zugibt, ›der zweitbeste Schwertkämpfer der Stadt‹ zu sein. Man schneidet also nicht nur auf, was die eigene Person betrifft, sondern setzt auch seinen gefährlichsten Rivalen herab oder ignoriert ihn. Folglich variiert die Rangordnung in Freistatt je nachdem, wer erzählt – oder mehr noch, wem man glaubt.

Freistatt wohin?

Robert Lynn Asprin

Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ertappte Hakiem sich dabei, daß er ernsthaft überlegte, ob er seiner Wahlheimat Freistatt nicht lieber den Rücken kehren sollte.

Er lehnte sich, während er überlegte, aus einem oberen Fenster des Palastes und betrachtete die Stadt – doch nicht einmal das verbesserte seine Stimmung. Er war immer gern durch die Straßen geschlendert, anfangs als Geschichtenerzähler und später als Ratgeber der beysibischen Kaiserin. Solange er sich erinnerte, hatte die Stadt ihre eigene, herbe Ausstrahlung gehabt, ähnlich dem Zersetzungsgeruch des Sumpfes, und er hatte sie ebenso aufgesogen wie all die Gerüche, um die beruhigende Lebenskraft der Stadt zu spüren. Doch jetzt begab er sich kaum noch auf die Straße, um sie auf sich einwirken zu lassen.

Nicht, daß er um seine Sicherheit fürchtete, o nein. Ob es an seiner langjährigen Bürgerschaft lag, an seiner allgemein bekannten Unparteilichkeit und Harmlosigkeit, an der Achtung für sein Amt als Ratgeber der Beysa oder an all diesen Tatsachen zusammen, er wurde jedenfalls auf der Straße nie belästigt. Daß er sich soviel im Halbdunkel des Palasts verkroch, lag eher daran, daß er sich den Schmerz ersparen wollte, mitansehen zu müssen, wie es seinem geliebten Freistatt erging.

Der Geist der Stadt war durch das Elternpaar Armut und Verzweiflung gezeugt. Zwar hatte Hakiem, genau wie alle anderen Bürger, die Schandtaten und den Schmutz verdammt, aber er war auch insgeheim stolz auf die Unerschütterlichkeit und Zähigkeit der Freistätter gewesen. Ähnlich der herausfordernden Zuversicht eines Gassenbengels hatte die Überzeugung in der Luft gehangen, daß die Stadt überleben würde, egal welche Klötze das Schicksal oder das Rankanische Reich ihr in den Weg werfen würde. Scheinbar unbedeutende Augenblicke der Zärtlichkeit oder des aufopfernden Heldentums prägten sich hier als unanfechtbarer Beweis der Kraft des menschlichen Geistes um so stärker ein.

Dann ereignete sich zweierlei fast gleichzeitig: Die Beysiber trafen ein, und Rankes Sturmgott war plötzlich gestorben oder hatte sich ins Nichts zurückgezogen.

Als sich Freistatts wirtschaftliche Lage durch beysibisches Gold verbesserte, hatten Einfluß und Macht des Reiches zu schwinden begonnen – und das Wesen der Stadt hatte sich verändert. Statt kleiner, wilder Raufereien ums Überleben waren in der Stadt eigensüchtige Machtkämpfe ausgebrochen, die sich als zerstörerischer und tödlicher erwiesen als alles, womit die Bewohner bisher geplagt gewesen waren. Statt nach Verzweiflung und Armut stank es nun nach Habgier, und das fand Hakiem viel bedrückender.

Vielleicht sollte er die Stadt wirklich verlassen – bald, bevor die gegenwärtigen Unruhen auch noch die letzten angenehmen Erinnerungen verdrängten. Wenn die Stadt erst auf ihrem neuen Kurs festlag, konnte er nicht…

»Ihr seid so ruhig, Weiser, für einen, der sich den Unterhalt mit seiner geschickten Zunge verdient.«

Aus seinen Gedanken gerissen, drehte Hakiem sich um und sah, daß ihn Shupansea, das lebende Avatar der Mutter Bey und Erbmonarchin – wenngleich jetzt im Exil – des Beysibischen Reiches, mit dem glücklichen Lächeln eines Kindes bedachte, das seinen Lehrer auf einen Rechtschreibfehler aufmerksam machen kann.

»Verzeiht, o Beysa, ich hörte Euch nicht kommen.«

»Außer uns ist niemand hier, Hakiem. Förmlichkeit zwischen uns ist nur vor uns nicht wohlwollenden Augen erforderlich. Außerdem bezweifle ich, daß Ihr selbst den Aufmarsch einer ganzen Armee gehört hättet. Wo ist diese stete Wachsamkeit geblieben, die Ihr mir so angestrengt anzuerziehen trachtet?«

»Ich – ich habe nachgedacht.«

Das Lächeln schwand aus dem Gesicht der Beysa und machte Besorgnis Platz. Sie legte sanft eine Hand auf den Arm ihres Ratgebers. »Ich weiß. Ihr erscheint mir in letzter Zeit unglücklich, Weiser. Ich vermisse unsere anregenden Gespräche. Ich gestehe, ich habe mir heute Zeit genommen, um Euch aufzusuchen und zu erfahren, was Euch bedrückt. Ihr habt mir so oft geholfen, daß es mit Gold allein nicht aufzuwiegen ist. Verratet mir, was bekümmert Euch? Gibt es irgend etwas, was ich tun kann, um Euch zu helfen?«

Trotz seiner Niedergeschlagenheit war Hakiem gerührt durch die ehrliche Besorgnis dieser jungen Frau, die geboren und erzogen war, ein großes Reich zu regieren, und die es statt dessen nach Freistatt verschlagen hatte. Obwohl ein Teil seines Ichs instinktiv seine Gefühle verbergen wollte, sah er sich veranlaßt, ehrlich zu antworten.

»Ich habe Angst um meine Stadt.« Er warf wieder einen Blick durch das Fenster. »Die Freistätter haben sich verändert, seit die Beysiber hier sind.

Nicht, daß ich Euch die Schuld daran gebe«, fügte er hastig hinzu. »Ihr mußtet irgendwohin, und Eure Leute haben alles Erdenkliche getan, sich dieser für sie fremden und oft feindlichen Umwelt anzupassen.

Nein, was mit meiner Stadt geschehen ist, haben ihr jene angetan, die schon am längsten hier leben. Gewiß, viele der Veränderungen wurden ihnen durch das Rankanische Reich und seine Götter aufgezwungen – ich weiß auch, daß die Zeit nicht stehenbleibt und alles sich verändern muß. Trotzdem befürchte ich, daß die Freistätter den Willen verloren haben und gewißlich die Weisheit, die Veränderungen zu überleben, die so sicher folgen werden wie Donner auf Blitz. Der Rankanische Kaiser ist bereits dabei, Truppen zu rekrutieren, um…«

Er hielt abrupt inne, als er bemerkte, daß die Beysa lautlos lachte.

»Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu belustigen«, sagte er steif, während Ärger in ihm aufwallte. »Es ist mir natürlich klar, daß die Probleme eines einfachen Geschichtenerzählers unbedeutend sind gegenüber…«

»Verzeiht mir, Weiser, ich wollte Euch wahrhaftig nicht kränken. Es ist nur… Bitte laßt ausnahmsweise einmal mich die Lehrerin sein.«

Zu Hakiems Überraschung trat sie neben ihn ans Fenster und lehnte sich so weit hinaus, daß gerade noch die Spitzen ihrer nackten Zehen den kühlen Boden berührten.

»Ich fürchte, Ihr seid dem Problem zu nah«, sagte sie ernst. »Ihr wißt soviel über Freistatt und beobachtet so viele seiner Bürger, daß Euch die oberflächlichen Veränderungen den Blick getrübt haben für die Strömungen unter der Oberfläche. Laßt mich Euch sagen, was ich, die ich verhältnismäßig neu in Freistatt bin, sehen kann.

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