Gemeinsam gingen die beiden Männer zwischen Haupthaus und linkem Nebengebäude hindurch, dorthin wo sich jetzt die modernen Stallungen befanden. Der Kies der Auffahrt knirschte unter ihren Stiefeln, als sie schweigend den Innenhof verließen.
Josefine Springer schob die kleine Spitzengardine zur Seite, beobachtete wiederum ihre Angestellten; verborgen hinter der großen schweren Eingangstür des Haupthauses, stand sie da. Man musste immer alles überprüfen. Wenn der Schlendrian unter den Angestellten einmal eingezogen war, bekam man ihn nur sehr schwer wieder bekämpft. Doch auf Frau von Matussek konnte sie sich verlassen. Sie ließ die Gardine nach unten gleiten und überlegte, ob die Köchin mit dem Essen für ihren Mann schon fertig war. Sie atmete einmal aus und machte sich auf dem Weg in die Küche des Hauses.
*
Bonn, Präsidium
Lea hatte erfolglos die Kollegen von der Bonner Vermisstenstelle befragt, die Sitte hatte für Klauk leider auch nur ein Kopfschütteln parat gehabt. Dementsprechend wenig motiviert fiel auch ihr Bericht aus.
„Ich kann nur sagen, dass sie sich an ihre Kollegen in anderen Regionen wenden wollen, um zu hören, ob dort eine junge Frau vermisst wird. Mehr können wir von da nicht erwarten“, schloss er mit einem Achselzucken. Vermied es, Lea anzusehen. Christina Meinhold blieb dies nicht verborgen, sie vermutete, dass sie an einem geheimen Kummer litt. Dessen Grund sicher Klauk war. Mal wieder. Innerlich stieß sie einen Seufzer aus und dankte Gott dafür, dass sie von solchem Beziehungsstress verschont blieb. Auch wenn die Abende und Nächte oft sehr einsam waren, aber auch das überlebte sie.
„Wie sieht es mit den Flüchtlingslagern aus? Hat schon mal einer darüber nachgedacht, ob die junge Frau vielleicht ein Flüchtling sein könnte?“, fragte sie jetzt und schob den Gedanken in den Vordergrund, der ihr gerade spontan gekommen war.
„Flüchtling?“ Wendts Augen wurden schmal. „Und wie sollen wir das herausfinden? Du hast sicher gehört, dass tausende von Flüchtlingskindern in Deutschland spurlos verschwunden sind. Wie auch immer, ob es doppelte Anmeldungen sind oder schlicht und innig ein Fehler der völlig überforderten Ämter ist.“
Oliver Hell hörte dem Gespräch seiner Kollegen interessiert zu, hielt aber seinen Blick auf Bond gerichtet, der friedlich neben Rosins Schreibtisch auf dem Boden schlummerte.
„Ja, habe ich. Und auch wenn ein großer Teil von ihnen sicher an einem anderen Ort wieder auftaucht, so bleibt ein Teil von ihnen sicher wirklich verschwunden. Sie wurden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt, erinnere dich an die Berichterstattung im Fernsehen und an die dramatischen Ereignisse an den Grenzen im Osten. Das war ja menschenunwürdig“, brachte Meinhold mit einem Klos im Hals hervor.
Wendt betrachtete sie nachdenklich. „Und wo willst du da ansetzen? Ich meine, wenn wir die ganzen Listen mit verschwundenen Kindern abarbeiten wollen, dann finden wir den Mörder erst, wenn alle Flüchtlingslager längst wieder leer sind!“
„War auch nur so eine Idee, das ‚Bonner Bundesamt für Migration und Flüchtlinge‘ können wir auf jeden Fall einschalten oder?“
Hell löste den Blick von seinem Hund und sprach Meinhold direkt an. „Kümmere du dich bitte darum, der Ansatz ist so gut, dass man ihm nachgehen sollte.“
Meinhold nickte und verbuchte es gedanklich als Erfolg.
„Wir müssen sonst eingestehen, dass wir rein gar nichts haben“, sagte er dann und ließ den Blick durch die Reihe gehen.
„Es ist allerdings auch noch recht früh, wir dürfen nicht vergessen, dass wir keinen herkömmlichen Fall vor uns haben, keine Leiche in einem Haus gefunden haben und nicht im Umfeld nach einem möglichen Täter suchen können, sondern wir haben noch nicht einmal einen Namen“, wandte Klauk ein.
„Richtig“, stimmte ihm Hell zu.
„Was sollen wir tun? Ein Bild veröffentlichen? Und Gefahr laufen, dass sich die Medien auf das Thema stürzen und Gott weiß was draus konstruieren? Tenor: Jetzt bringen sich die Flüchtlinge schon gegenseitig um. Danke, Mutti Merkel!“
Hell schüttelte den Kopf. „Nein, wir halten uns das noch in der Hinterhand. Sollten wir keine heiße Spur bekommen, können wir das Bild noch immer der Presse überlassen. Apropos Bild: Hat die Fahndung nach den beiden Flüchtigen schon etwas ergeben?“
Klauk fühlte sich angesprochen und verneinte die Frage. „Leider nein.“
Als sich plötzlich die Tür zum Besprechungsraum öffnete, erhielt der Auftritt von Constanze Nimmermann die nötige Beachtung.
„Hallo zusammen, ich bin die Neue in der KTU und dort die Ersatzfrau für Julian Kirsch. Mein Name ist Constanze Nimmermann“, sagte sie und lächelte. Hell hätte sie ohne den weißen Overall nicht erkannt und grüßte als erster zurück. Die widerspenstige Locke, die ihm schon bei Untersuchung bei der Kiesgrube aufgefallen war, gehört zu einem blonden Wuschelkopf.
„Hallo, Sie haben Ergebnisse für uns? Hoffentlich ist etwas Außergewöhnliches dabei“, wollte er wissen. Die Neue hörte sich erst die freundliche Begrüßung aller an, bevor sie antwortete. „Leider habe ich nichts wirklich Bahnbrechendes für Sie, Kommissar Hell“, antwortete sie in die Runde, ihr Blick fing sich bei Klauk. Es war, als schenkte sie ihm ein besonderes Lächeln.
„Das ist genauso viel, wie wir bereits haben“, stellte Hell ernüchtert fest. Nimmermann kam jetzt zu ihm an den Tisch und gab ihm einen schmalen Aktenordner in die Hand.
„Sorry, die Abdrücke im Auto stammen von der Besitzerin, die anderen, die wir am Lenkrad, den Türen und auf dem Kofferraumdeckel gefunden haben, sind nicht im System. Unsere beiden Verdächtigen sind bislang nicht polizeilich aufgefallen.“
Wieder sah sie zu Klauk hinüber. Lea blieb dieser fragende Blick nicht verborgen. Das erste Mal, seitdem sie wieder im Präsidium angekommen waren, sah sie zu ihrem Freund hinüber. Doch dieser Blick verriet nichts Gutes.
„Und was ist mit der Reizwäsche, die die Tote trug?“, fragte Hell sie. Nimmermann nickte, schien sich aber nur schwer zu einer Antwort durchreißen zu können. Sie war mit ihren Gedanken ganz offensichtlich woanders.
„Hmh, die Kollegen sind noch bei der Untersuchung. Es gibt Spermaspuren am Slip, das würde sich mit den Ergebnissen von Doktor Beisiegel decken, die herausfand, dass diese junge Frau kurz vor ihrem Tod noch Sex hatte.“ Diese Worte sprach sie ohne Bedauern. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht und es platzte nur so aus ihr heraus: „Sebastian Klauk, jetzt hat es Klick gemacht! Mensch, dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin“, entfuhr es ihr begeistert. Klauk konnte ihren Enthusiasmus nicht teilen, fuhr sich aber verlegen mit der Hand über das Haar. Spürte sicher, wie sich Leas glühender Blick von rechts langsam in sein Hirn bohrte. Constanze ging die drei Schritte zu ihm hinüber und baute sich neben ihm auf. „Du erkennst mich immer noch nicht, stimmt’s?“, fragte sie ihn lächelnd.
„Nein“, antwortete Klauk ohne Bedauern.
„Friederike Nimmermann. Die kleine nervige Schwester?“, fragte sie vorsichtig weiter. Klauk sah sie prüfend an, dann schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Conny?“ Auch sein Gesicht hellte sich auf.
„Bingo! Die Conny!“
„Verrückt, wie lange ist das denn her?“, ließ er seiner Überraschung freien Lauf.
„Fünfzehn Jahre … mindestens, Sebastian“, antwortete sie froh. „Wir können gerne mal einen Cappuccino trinken gehen und uns um das Update kümmern. Ich würde mich total freuen“, schlug sie vor.
„Gerne, Conny“, entfuhr es Klauk, der noch nicht nach rechts geschaut hatte. Constanze legte ihm zu allem Überfluss die Hand auf die Schulter. „Ich weiß ja jetzt, wo ich dich finde!“
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