Bundesgenossen schritten Sarpedon und Glaukos. Diese Fürsten alle aber hatten andere bewährte
Helden zur Seite. Von den sämtlichen Streitern wollte nur Asios seinen Wagen nicht verlassen. Er
wandte sich mit demselben zur Linken, wo die Achajer selbst beim Bau einen Durchgang für ihre
eigenen Rosse und Streitwagen gelassen hatten. Hier sah er die Flügel des Tores offen; denn die
Griechen harrten, ob nicht noch ein verspäteter Genosse käme, der, dem Treffen entflohen, Rettung
im Lager suchte. So lenkte Asios die Rosse gerade auf den Durchgang los, und andere Trojaner
folgten ihm zu Fuße mit lautem Geschrei nach. Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer
aufgestellt, Polypötes, der Sohn des Peirithoos, und Leonteus. Diese standen am Tore, hohen
Bergeichen gleich, die mit langen und breiten Wurzeln in den Boden eingesenkt in Sturm und
Regenschauer unverrückt aushalten. Plötzlich stürzten diese beiden auf die hereinstürmenden
Trojaner vor, und zugleich flog ein Schwall von Steinen von den festen Türmen der Mauer herab.
Während Asios und die ihn umringenden verdrießlich den unvermuteten Kampf bestanden und viele
erlagen, kämpften andere, zu Fuß über den Graben stürmend, um andere Tore des griechischen
Lagers. Die Argiver waren jetzt auf die Beschirmung ihrer Schiffe beschränkt; und die Götter, soviel
ihrer ihnen halfen, trauerten herzlich, vom Olymp herabschauend. Nur die zahlreichste und tapferste
Schar der Trojaner, unter Hektor und Polydamas, verweilte noch unschlüssig am jenseitigen Rande
des Grabens, den sie eben erstiegen; denn vor ihren Augen hatte sich ein bedenkliches Zeichen
ereignet. Ein Adler streifte links über das Kriegsheer hin; er trug eine rote, zappelnde Schlange in den
Klauen, die sich unter seinen Krallen wehrte und, den Kopf rückwärts drehend, den Vogel in den Hals
stach; von Schmerzen gequält, ließ er sie fahren und flog davon; die Schlange aber fiel mitten im
Haufen der Trojaner nieder, die sie mit Schrecken im Staube liegen sahen und in diesem Ereignis ein
Zeichen des Zeus erkannten. »Laß uns nicht weitergehen«, rief Polydamas, der Sohn des Panthoos,
seinem Busenfreunde, dem Hektor, erschrocken zu, »es könnte uns ergehen wie dem Adler, der
seinen Raub nicht heimbrachte.« Aber Hektor erwiderte finster: »Was kümmern mich die Vögel, ob
sie rechts oder links daherfliegen; ich verlasse mich auf des Zeus Ratschluß! Ich kenne nur ein
Wahrzeichen: es heißt Rettung des Vaterlandes! Warum zitterst denn du vor dem Kampfe? Sänken
wir auch alle an den Schiffen darnieder, dir droht kein Todesschrecken, denn du hast kein Herz, in der
Feldschlacht auszuhalten; doch wisse, wo du dich dem Kampf entziehest, so fällst du, von meiner
eigenen Lanze durchbohrt!« So sprach Hektor und ging voran, und alle andern folgten ihm unter
gräßlichem Geschrei. Zeus aber schickte einen ungeheuren Sturmwind vom Idagebirge herab, der
den Staub zu den Schiffen hinüberwirbelte, daß den Griechen der Mut entsank, die Trojaner aber,
dem Winke des Donnergottes und der eigenen Kraft vertrauend, die große Verschanzung der Danaer
zu durchbrechen sich anschickten, indem sie die Zinnen der Türme herabrissen, an der Brustwehr
rüttelten und die hervorragenden Pfeiler des Walles mit Hebeln umzuwühlen begannen.
Aber die Danaer wichen nicht von der Stelle; wie ein Zaun standen sie mit ihren Schilden auf der
Brustwehr und begrüßten die Mauerstürmer mit Steinen und Geschossen. Die beiden Ajax machten
die Runde auf der Mauer und ermahnten das Streitvolk auf den Türmen, die Tapferen freundlich, die
Nachlässigen mit strengen Drohworten. Inzwischen flogen die Steine hin und her wie Schneeflocken;
doch hätte Hektor mit seinen Trojanern den mächtigen Riegel an der Wallpforte noch immer nicht
durchbrochen, wenn nicht Zeus seinen Sohn Sarpedon, den Lykier mit dem goldgeränderten Schilde,
wie einen heißhungrigen Berglöwen gegen die Feinde gereizt hätte, daß er schnell zu seinem
Genossen Glaukos sprach: »Was ist es, Freund, daß man uns im Lykiervolke mit Ehrensitz und
gefüllten Bechern beim Gastmahle wie die Götter ehrt, wenn wir in der brennenden Schlacht nicht
auch uns im Vorkampfe zeigen? Auf, entweder wollen wir den eigenen Ruhm oder durch unsern Tod
den Ruhm anderer verherrlichen!« Glaukos vernahm es nicht träge, und beide stürmten mit ihren
Lykiern in gerader Richtung voran. Menestheus, von seinem Turme herab, stutzte, als er sie so
wütend herannahen und sich und die Seinigen dem Verderben ausgesetzt sah. Ängstlich schaute er
sich nach der Unterstützung anderer Helden um: wohl sah er in der Ferne die beiden Ajax,
unersättlich im Kampfe, dastehen und noch näher den Teucer, der eben von den Zelten zurückkam;
doch hallte sein Hilferuf nicht so weit, er prallte an Helmen und Schilden ab, und das Getöse der
Schlacht verschlang ihn. Deswegen schickte er den Herold Thootes zu den beiden Ajax hinüber und
bat den Telamonier durch ihn, samt seinem Bruder Teucer, wenn sie beide dies könnten, ihm aus der
Bedrängnis zu helfen. Der große Ajax war nicht säumig, er eilte mit seinem Bruder Teucer und
Pandion, der dessen Bogen trug, der Mauer entlang, von innen dem Turme zu. Sie kamen bei
Menestheus an, als eben die Lykier an der Brustwehr emporzuklimmen anfingen. Ajax brach sogleich
einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst aus der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles,
einem Freunde des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Turme herabschoß.
Teucer aber verwundete den Glaukos am entblößten Arme, während er eben den Wall hinanstieg.
Dieser sprang ganz geheim von der Mauer, um nicht von den Griechen erblickt und mit seiner Wunde
gehöhnt zu werden. Mit Schmerzen sah Sarpedon seinen Bruder aus der Schlacht scheiden; er selbst
aber klomm aufwärts, durchstach den Alkmaon, den Sohn Thestors, mit der Lanze, daß dieser der
wieder herausgezogenen taumelnd folgte, faßte dann mit aller Gewalt die Brustwehr, daß sie von
seinem Stoß zusammenstürzte und die Mauer, entblößt, für viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax
und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen;
Ajax durchstach dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen
Augenblick wich Sarpedon von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich bald wieder, und gegen
die Schar seiner Lykier sich umdrehend, rief er laut: »Lykier, vergesset ihr des Sturmes? Mir allein,
und wäre ich der Tapferste, ist es unmöglich, durchzubrechen! Nur wenn wir zusammenhalten,
können wir uns die Bahn zu den Schiffen öffnen!« Die Lykier drängten sich um ihren scheltenden
König und stürmten rascher empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren Widerstand,
und so standen sie, nur durch die Brustwehr getrennt und über sie hin wild aufeinander loshauend,
wie zwei Bauern auf der Grenzscheide stehen und miteinander darum hadern. Rechts und links von
den Türmen und der Brustwehr rieselte das Blut hinab. Lange stand die Waage der Schlacht
schwebend, bis endlich Zeus dem Hektor die Oberhand gab, daß er zuerst an das Tor der Mauer
vordrang und die Genossen teils ihm folgten, teils zu seinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten.
Am verschlossenen Tore, dessen Doppelflügel zwei sich begegnende Riegel von innen
zusammenhielten, stand ein dicker, oben zugespitzter Feldstein. Diesen riß Hektor mit
übermenschlicher Gewalt aus dem Boden und zerschmetterte damit die Angeln und die Bohlen, daß
die mächtigen Riegel nicht mehr standhielten, das Tor dumpf aufkrachte und der Stein schwer
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