zu sorgen haben, schlafen getrennt von dem Heere und unbewacht. Wenn ihr in das trojanische
Lager wandeln wollet, so stoßet ihr zuerst auf die eben angekommenen Thrakier, die um ihren
Fürsten Rhesos, den Sohn des Eïoneus, hingestreckt ruhen. Seine blendend weißen Rosse sind die
schönsten, größesten und schnellfüßigsten, die ich je gesehen habe; sein Wagen ist mit Silber und
Gold köstlich geschmückt; er selbst trägt eine wundervolle goldne Rüstung wie ein Unsterblicher und
nicht wie ein Mensch. Nun wißt ihr alles, führet mich nun nach den Schiffen oder laßt mich gebunden
hier und überzeuget euch, daß ich die Wahrheit gesagt habe.« Aber Diomedes schaute den
Gefangenen finster an und sprach: »Ich merke wohl, Betrüger, du sinnest auf Flucht; aber meine
Hand wird dafür sorgen, daß du den Argivern nicht mehr verderblich sein kannst!« Zitternd erhob
Dolon seine Rechte, das Kinn des Helden flehentlich zu berühren, als schon das Schwert des Tydiden
ihm durch den Nacken fuhr, daß das Haupt des Redenden in den Staub hinrollte. Hierauf nahmen
ihm die Helden den Otterhelm vom Scheitel, zogen dem Rumpfe das Wolfsfell ab, lösten den Bogen,
nahmen den Speer des Getöteten zur Hand und legten die ganze Rüstung zum Merkmale für den
Heimweg auf einige Rohrbüschel; dann gingen sie vorwärts und stießen endlich auf die harmlos
schlafenden Thrakier. Bei jedem stand ein Doppelgespann von stampfenden Rossen; die Rüstungen
lagen in schöner Ordnung und in dreifachen Reihen blinkend auf dem Boden. In der Mitte schlief
Rhesos, und seine Rosse standen am hintersten Wagenringe, mit Riemen angebunden. »Hier sind
unsre Leute«, sprach Odysseus ins Ohr des Tydiden; »jetzt gilt es Tätigkeit, löse du die Rosse ab, oder
besser, töte du die Männer und laß mir die Rosse.« Diomedes antwortete ihm nicht, sondern wie ein
Löwe unter Ziegen oder Schafe fährt, hieb er wild um sich her, daß sich ein Röcheln unter seinem
Schwert erhub und der Boden rot von Blute ward. Bald hatte er zwölf Thrakier gemordet; der kluge
Odysseus aber zog jeden Getöteten, am Fuß ihn ergreifend, zurück, um den Rossen eine Bahn zu
machen. Nun hieb Diomedes auch den dreizehnten nieder: und dies war der König Rhesos, der eben
in einem schweren Traume stöhnte, den ihm die Götter gesendet hatten. Inzwischen hatte Odysseus
die Rosse vom Wagen abgelöst, mit Riemen verbunden und, indem er sich seines Bogens anstatt der
Geißel bediente, sie aus dem Haufen hinweggetrieben. Dann gab er seinem Genossen ein Zeichen
durch leises Pfeifen: dieser besann sich, ob er den köstlichen Wagen an der Deichsel wegziehen oder
auf den Schultern hinaustragen sollte; da nahte ihm warnend Pallas, die Göttin, und trieb ihn zur
Flucht. Eilend bestieg Diomedes das eine Roß, Odysseus trieb, nebenher laufend, beide mit dem
Bogen an, und nun flogen sie dem Schiffslager wieder zu.
Der Schutzgott der Trojaner, Apollo, hatte bemerkt, wie sich Athene zu Diomedes gesellte. Dies
verdroß ihn; er machte sich ins Getümmel des trojanischen Heeres und weckte den tapfern Freund
des Rhesos, den Thrakier Hippokoon, aus dem Schlaf. Als dieser die Stelle, wo die Rosse des Fürsten
gestanden, leer und ermordete Männer am Boden zuckend fand, rief er laut wehklagend den Namen
seines Freundes. Die Trojaner stürzten im Aufruhr heran und starrten vor Schrecken, als sie die
entsetzliche Tat sahen.
Unterdessen hatten die beiden Griechenhelden den Ort wieder erreicht, wo sie den Dolon getötet
hatten; Diomedes sprang vom Rosse, schwang sich aber wieder hinauf, nachdem er die Rüstung den
Händen des Freundes überreicht; Odysseus bestieg das andere Tier, und bald waren sie mit den
rasch dahinfliegenden Pferden bei den Schiffen angekommen. Nestor hörte zuerst das Stampfen der
Hufe und machte die Fürsten der Griechen aufmerksam; aber ehe er sich recht besinnen konnte, ob
er geirrt oder Wirkliches vernommen, waren die Helden mit den Rossen da, schwangen sich vom
Pferde, reichten den Freunden die Hände ringsumher zum Gruße und erzählten unter dem Jubel des
Heeres den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens. Dann trieb Odysseus die Rosse durch den
Graben, und die andere Achiver folgten ihm jauchzend zur Lagerhütte des Tydiden. Dort wurden die
Pferde zu den andern Rossen des Fürsten an die mit Weizen wohlgefüllte Krippe gebunden. Die
blutige Rüstung Dolons aber legte Odysseus hinten im Schiffe nieder, bis sie bei einem Dankfest
Athenes prangen könnte. Nun spülten sich beide Helden mit der Meerflut Schweiß und Blut von den
Gliedern, setzten sich zum warmen Bad in Wannen, salbten sich mit Öl und genossen das Frühmahl
beim vollen Kruge; und Pallas Athene ward mit dem Trankopfer nicht vergessen.
Zweite Niederlage der Griechen
Es war Morgen. Agamemnon befahl dem Volke, sich zu gürten, und legte selbst die Rüstung an, den
herrlichen Harnisch, an dem zehn bläuliche Stahlstreifen mit zwölf aus funkelndem Gold und zwanzig
aus Zinn wechselten; die Halsbrünne bildeten drei Drachen, glänzend wie Regenbogen; der Panzer
war ein Geschenk des Kinyras, Fürsten von Cypern; dann warf er sich das Schwert, mit goldenen
Buckeln am Griff, in silberner Scheide, am strahlenden Goldgehenke befestigt, um die Schulter;
darauf hob er den kunstreich gewölbten Schild, um den zehn Erzkreise herliefen und zwanzig weiße
zinnerne Buckeln blinkten; auf dem mittleren dunkelblauen Felde war das gräßliche Gorgonenhaupt
abgebildet, das Schildgehenk hatte die Gestalt eines bläulichen Drachens mit drei gekrümmten
Häuptern. Dann setzte er sich den viergipflichten, von Roßhaaren umwallten Helm, mit fürchterlich
nickendem Helmbusch, aufs Haupt, ergriff zwei mächtige Lanzen mit strahlenden Erzspitzen und
schritt in die Schlacht. Hera und Athene begrüßten vom Himmel herab den herrlich gerüsteten König
der Völker mit einem freudigen Donner. Zuerst drangen die Fußgänger mit den ehernen
Waffenrüstungen über den Graben, ihnen folgten die Reisigen auf den Streitwagen, und mit lautem
Getümmel eilte das ganze Heer vorwärts.
Auf der andern Seite hielten die Trojaner einen Hügel des Feldes mit ihren Scharen besetzt; ihre
Führer waren Hektor, Polydamas und Äneas; nächst ihnen Polybos, Agenor und Akamas, die drei
tapfern Söhne Antenors. Wie ein Stern durch Nachtgewölk wandelte Hektor bald durch den
vordersten, bald durch den äußersten Zug und ordnete die Schlachtreihen; in seiner Erzrüstung
leuchtete er wie ein Blitzstrahl des Donnerers. Bald stürmten nun Trojaner und Danaer mordend
gegeneinander, wie Schnitter mähend in die Schwaden fahren; alles drängte sich Haupt an Haupt zur
Schlacht, in beiden Heeren tobten die Streiter wie Wölfe. Endlich durchbrachen die Griechen mit
ihrer Kraft die Schlachtreihen der Feinde, und Agamemnon stieß, voranstürmend, den Fürsten Bianor
und seinen Wagenlenker nieder. Dann warf er sich auf zwei Söhne des Königes Priamos, den
Antiphos und seinen Wagenlenker, den Bastard Isos; jenem durchschoß er die Brust mit der Lanze,
diesen stürzte er mit einem Schwerthiebe vom Wagen, und den Getöteten entzog er eilig die
Rüstung. Jetzt begegnete er zwei Söhnen des Antimachos, des Trojanerfürsten, der einst, von Paris'
Golde betört, die Helena auszuliefern verboten hatte. Vergebens flehten ihn die Knaben, in den
Wagen hineingeschmiegt, um Schonung an. Ihres Vaters gedenkend, durchbohrte er den einen und
hieb dem andern die Hände vom Leib und das Haupt von der Schulter. Immer tiefer drang die
Verfolgung der Griechen ein, auf Fußvolk und auf Wagen, wie ein Feuerbrand unter Sturm durch
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