Längst befassten sich diese doch mit den ernsthaften Angelegenheiten dieser Welt. Die meisten hatten enorme Ländereien zu verwalten, was seit einiger Zeit eine komplizierte Angelegenheit geworden war. Zum Missfallen vieler Landesherren, war die Bauernschaft, die die Felder, Weinberge und Äcker bestellte, inzwischen aus der Leibeigenschaft entlassen worden. Die jetzt als freie Bürger zu betrachtenden Leute, dazu anzutreiben, möglichst einen großen Ertrag zu erwirtschaften, der sich in klingende Münze umsetzen ließ, schien vielen eine Mammutaufgabe zu sein. Die schwere Last dieser Verantwortung, die nun schon in zarten Jahren auf den schmalschultrigen Männern lastete, war Nicht von Ungefähr glücklicherweise erspart geblieben. Zwar besaßen auch die von Ungefährs noch einige Hektar Ackerland und Weideflächen, doch war die Mutter unseres Helden, nicht der Meinung, dass ein urban erzogener junger Mann wie Nicht, sich mit derlei Nichtigkeiten befassen sollte. Hierzu hatte Laurentia einen Verwalter aus gutem Hause eingestellt, der nun schon seit Jahren, nach dem Tod ihrer lieben Eltern, sich mit diesen Profanitäten recht erfolgreich befasste. Der nun auch nicht mehr ganz taufrische Junker Meiselzahn, ein Spross einer verarmten kontinentalen Landadelfamilie kümmerte sich um alles, was Landwirtschaft, Pferde und Viehzucht anging. Nicht hatte die beiden, seine werte Frau Mutter und den alten Zausel Meiselzahn, wie er ihn insgeheim nannte, in Verdacht, seit Jahren ein geheimes Verhältnis zu unterhalten, hätte sich aber niemals herausgenommen, sich einmal danach zu erkundigen, warum Meiselzahn Tag für Tag, auch wenn die Freifrau in Weentbehl weilte, im Hauptgebäude des Sommersitzes geradezu residierte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte Laurentia von Ungefähr, wenn es sich denn wirklich so darstellte, wie der Sohn annahm, dieses Techtelmechtel niemals zugegeben. Aber wie gesagt wollte Nicht dies auch so genau nicht wissen. Die Vorstellung, die beiden einmal zusammen im Bett zu ertappen, trieb ihm jetzt schon die Schamesröte ins Gesicht. Andererseits, warum sollte er seiner armen Mutter ein solches Liebesverhältnis nicht gönnen? In früheren Zeiten hätte man Laurentia wahrscheinlich, nachdem sie ihren Sohn gesund auf die Welt gebracht hatte, gleich darauf lebenslänglich in ein Kloster gesteckt, wo sie es dann jedoch bestimmt recht schnell zur Äbtissin gebracht hätte, wie Nicht schätzte.
Gerade wollte sich der Detektiv von der Wohnungstüre abwenden, er glaubte inzwischen das Geräusch müsse von unten aus der Schreinerei gekommen sein, von wo immer ein wenig Lärm heraufdrang, da klopfte es erneut und nun war er sicher, dass dieses Klopfen genau vor seiner Nase stattgefunden hatte. ‚Will mich wohl doch jemand auf den Arm nehmen‘, dachte der Jüngling, hielt den Atem an, während seine Hand zur Türklinke griff, diese hektisch herunterdrückte und die Türe dann mit einem Ruck nach innen aufriß.
Zuerst sah er immer noch niemanden; das Licht, das durch das Fenster auf der Halbetage hereinschien, blendete ihn allerdings derart, dass er im Grunde überhaupt nichts mehr sehen konnte. Da stieß etwas schmerzhaft mit seinem Knie zusammen.
„Aua“, konnte Nicht nicht vermeiden erschrocken laut auszurufen. Endlich bemerkte er die rotbemützten, winzigen Kerle, die vor seine Füße gekullert waren und sich nun unter lasterhaftem Fluchen mühsam aufrappelten. Die Gestalten gingen Nicht gerade einmal bis unters Knie, obwohl er doch selbst nicht besonders groß war, fiel ihm dann auf, als die fünf kleinen Gestalten wieder auf ihren Beinchen standen. Eine von ihnen baute sich nun vor dem Detektiv auf, stemmte die Arme in die Seiten und räusperte sich lauthals.
„Gestatten, Kringskranx“, begann der winzige Kerl, deutete auf seine vier Kameraden und meinte noch, „Krautschuk, Fargraffel, Düsselkrink und Runkelpetz! Haben wir die Ehre mit Freiherrn von Ungefähr?“
Nicht war einen Augenblick lang unfähig zu antworten. Tausend Gedanken schossen ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf. ‚Waren das nicht diese sagenhaften Screechies', dachte er, ‚die seit einigen Wochen die Theaterwelt in der Metropole in Aufruhr brachten?‘
Jeder der Gnome hatte sich bei Nennung seines Namens artig verbeugt, was einen überaus drolligen Eindruck machte. Der Reichsverweser Puntigam hatte vor circa einem Monat die Kerlchen nach Weentbehl-Lachapelle aus fernen Landen herbeiholen lassen. Eigentlich glaubte seit Jahrhunderten kein Mensch auf dem Kontinent mehr an die Existenz dieser Wesen, die sich selbst Hurveniks nannten, wie Nicht von Ungefähr glaubte sich zu erinnern, im Anzeiger gelesen zu haben, dessen Feuilletonteil den allerbesten Ruf in der Welt der Künste besaß. Was hatte dort nicht noch gestanden über diese winzigen Schauspieler, deren Aufführungen sich alsbald jedermann, der sich für das Theater interessierte, unbedingt ansehen musste, um weiterhin mitreden zu können? Gut, es hatte selbstverständlich auch böse Verrisse gegeben. Wie könnte es auch anders sein? Wenn Einigkeit in Kritikerkreisen herrschen würde, hätten diese Schmierfinken immerhin ihr Berufsbild vollkommen verfehlt. Was der eine hinreißend, revolutionär und elementar nannte, musste zwangsläufig vom anderen Blatt als grobschlächtig und primitiv dargestellt werden. In seltener Einigkeit jedoch hatte jede Zeitung immerhin über die Vorstellungen berichtet, und diese in den meisten Fällen doch anerkennenswert befunden.
„Mein Herr …?“, ein fragendes Stimmchen erklang vom Dielenboden herauf ans Ohr Nicht von Ungefährs, der immer noch ein unglaublich dämliches Gesicht machte und nur so vor sich hin zu stieren schien. Dann fiel ihm endlich ein, dass er diese Leute, so klein und seltsam sie auch erscheinen mochten, doch jedenfalls hereinbitten sollte. Was machte das denn sonst für einen Eindruck?
„Treten sie doch näher, meine Herren", meinte also der Detektiv, trat einen halben Schritt beiseite und ließ die vier Wichte im Gänsemarsch an sich vorbeischwadronieren. „Gehen sie nur geradeaus durch, meine Herren!“, fügte er schließlich hinzu, schloß die Wohnungstür und tappte den winzigen Schauspielern hinterher, die Füße vorsichtig auf den Boden setzend, um ja keines der Kerlchen zu verletzten. Allerdings hätte sich Nicht von Ungefähr diesbezüglich keine Sorgen machen müssen, verfügen Hurveniks doch über starke, stabile Knochen und eine ausgesprochen robuste Konstitution.
Als das merkwürdige Trüppchen im Büro angekommen war, meinte Nicht, im Bemühen sich den kleinen Leuten gegenüber genauso zu verhalten, wie allen anderen gegenüber auch: „Machen sie es sich nur bequem, meine Herren! Fühlen sie sich ganz wie zu Hause!“
Eine Aufforderung, der die Winzlinge auf der Stelle geradezu im Übermaß nachzugehen begannen. So hatte sich der Detektiv dies auch wieder nicht vorgestellt. Zwei der Kerlchen machten es sich auf dem Besuchersessel bequem, die drei anderen hüpften geradewegs auf den Schreibtisch, wobei sich Nicht doch sehr über die Sprungkraft der kurzen Beinchen dieser Wichte wundern musste. Dann packten sie sogleich aus den Taschen ihrer leuchtend grünen Westen, winzige Pfeifchen und Tabakbeutel heraus und bald darauf vernebelten sie den Raum auf eine Weise, dass Nicht kaum mehr die Hand vor Augen erkennen konnte. Kurz nachdem er selbst seine pflichtmäßige Nikotinzufuhr hinter sich gebracht hatte, empfand der Detektiv den Qualm jetzt als äußerst unangenehm. Aber was sollte er machen? ‚Und was war das überhaupt für ein fürchterliches Kraut, das die kleinen Kerle konsumierten? Entsetzlich!‘
Nicht von Ungefähr brachte es dennoch schließlich fertig, nach einigem Hüsteln die Hurveniks nach ihrem Anliegen zu fragen.
„Nun, meine Herren“, begann der Detektiv und wedelte mit beiden Händen etwas den Nebel vor seinem Gesicht beiseite. „Was kann ich denn für sie tun?“
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