zu verrückt. So ein dämliches Aas!« Und da hatte der
Pastor gelacht, daß die Wände gewackelt hatten.
Er trat aus den Halmen heraus, allenthalben klebte
Stroh an seinem Anzug und an seinem Haar. Sein
Kleiderbündel hatte er unterwegs verloren. Die Ähren
trug er noch in seiner Hand, und er schwenkte sie vor
sich her wie eine goldene Fahne. Er marschierte stramm
aus. »Rechten, Linken, Speck und Schinken«, summte er
vor sich hin. Und die Kletten, die an seiner Hose saßen,
flogen in weiten Bögen ab.
»Abteilung halt«, kommandierte er. Er steckte seine
Fahne in den Sand des Feldwegs und warf sich in den
Graben.
Plötzlich bekam er vor der Sonne Angst, die auf seine
Schläfe brannte. Er glaubte, sie wollte über ihn herfallen,
und steckte sein Gesicht tief in das Gras hinein. Dann
schlief er ein.
Kinderstimmen weckten ihn auf. Neben ihm standen
ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen. Als sie sahen,
daß der Mann aufgewacht war, liefen sie weg.
Er bekam eine furchtbare Wut auf diese beiden
Kinder, er wurde im Gesicht rot wie ein Krebs.
Mit einem Satze sprang er auf und lief den Kindern
nach. Als die seine Schritte hörten, fingen sie an zu
schreien und liefen schneller. Der kleine Junge zog sein
Schwesterchen hinter sich her. Das stolperte, fiel hin und
fing an zu weinen.
Und weinen konnte er überhaupt nicht vertragen.
Er holte die Kinder ein und riß das kleine Mädchen
aus dem Sande auf. Es sah das verzerrte Gesicht über
sich und schrie laut auf. Auch der Junge schrie und wollte
fortlaufen. Da bekam er ihn mit der andern Hand zu
packen. Er schlug die Köpfe der beiden Kinder
gegeneinander. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, zählte er,
und bei drei krachten die beiden kleinen Schädel immer
zusammen wie das reine Donnerwetter. Jetzt kam schon
das Blut. Das berauschte ihn, machte ihn zu einem Gott.
Er mußte singen. Ihm fiel ein Choral ein. Und er sang:
»Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
Die uns jetzt hat betroffen.
Der alt-böse Feind,
Mit Ernst er's jetzt meint,
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht sein'sgleichen.«
Er akzentuierte die einzelnen Takte laut, und bei jedem
ließ er die beiden kleinen Köpfe aufeinanderstoßen, wie
ein Musiker, der seine Becken zusammenhaut.
Als der Choral zu Ende war, ließ er die beiden
zerschmetterten Schädel aus seinen Händen fallen. Er
begann wie in einer Verzückung um die beiden Leichen
herumzutanzen. Dabei schwang er seine Arme wie ein
großer Vogel, und das Blut daran sprang um ihn herum
wie ein feuriger Regen.
Mit einem Male schlug seine Stimmung um. Ein
unbezwingliches Mitleid mit den beiden armen Kindern
schnürte ihm von innen heraus fast den Hals ab. Er hob
ihre Leichname aus dem Staub des Weges und schleppte
sie in das Korn hinüber. Er wischte mit einer Handvoll
Unkraut das Blut, das Gehirn und den Schmutz aus dem
Gesicht und setzte sich zwischen die beiden kleinen
Leichen. Dann nahm er ihre Händchen in seine Faust
und streichelte sie mit blutigen Fingern.
Er mußte weinen, große Tränen liefen langsam über
seine Backen hinunter.
Ihm kam der Gedanke, daß er vielleicht die Kinder
wieder zum Leben bringen könnte. Er kniete sich über
ihre Gesichter und blies seinen Atem in die Löcher ihrer
Schädel. Aber die Kinder rührten sich nicht. Da dachte
er, es wäre vielleicht noch nicht genug, und wiederholte
den Versuch. Aber auch dieses Mal war es nichts. »Na
denn eben nicht«, sagte er, »tot ist tot.«
Nach und nach kamen unzählige Mengen von Fliegen,
Mücken und anderem Ungeziefer aus den Feldern heraus,
hinter dem Blutgeruch her. Sie schwebten wie eine dichte
Wolke über den Wunden. Ein paar Mal machte er den
Versuch, sie fortzutreiben. Als er aber selbst gestochen
wurde, wurde ihm die Sache zu unbequem. Er stand auf
und ging fort, während sich die Insekten in einem dicken
schwarzen Schwarm auf die blutigen Löcher der Schädel
stürzten.
Ja, wo nun hin?
Da fiel ihm seine Aufgabe wieder ein. Er hatte ja mit
seiner Frau abzurechnen. Und im Vorgefühl seiner Rache
leuchtete sein Gesicht wie eine purpurne Sonne.
Er bog in eine Landstraße ein, die auf die Vorstadt
zuführte. Er sah sich um.
Die Straße war leer. In der Ferne verlor sich der Weg.
Oben auf einem Hügel hinter ihm saß ein Mann vor
einem Leierkasten. Jetzt kam über den Hügel eine Frau
herauf, die einen kleinen Handwagen hinter sich herzog.
Er wartete, bis sie heran war, ließ sie an sich vorbei
und ging ihr nach.
Er glaubte, sie zu kennen. War das nicht die
Grünkramfritzen von der Ecke? Er wollte sie
ansprechen, aber er schämte sich. Ach, die denkt, ich bin
ja der Verrückte aus Nr. 17. Wenn die mich
wiedererkennt, die lacht mich ja aus. Und ich lasse mich
nicht auslachen, zum Donnerwetter. Eher schlage ich ihr
den Schädel ein.
Er fühlte, daß in ihm wieder die Wut aufkommen
wollte. Er fürchtete sich vor dieser dunklen Tollheit. Pfui,
jetzt wird sie mich gleich wieder haben, dachte er. Ihn
schwindelte, er hielt sich an einem Baum und schloß die
Augen.
Plötzlich sah er das Tier wieder, das in ihm saß. Unten
zwischen dem Magen, wie eine große Hyäne. Hatte die
einen Rachen. Und das Aas wollte raus. Ja, ja, du mußt
raus.
Jetzt war er selber das Tier, und auf allen vieren kroch
er die Straße entlang. Schnell, schnell, sonst läuft sie weg.
Wie die laufen kann, aber so eine Hyäne ist noch
schneller.
Er bellte laut wie ein Schakal. Die Frau sah sich um.
Als sie da einen Mann auf Händen und Füßen hinter sich
herlaufen sah, das wirre Haar in dem dicken Gesicht,
weiß von Staub, da ließ sie ihren Wagen stehen und laut
schreiend rannte sie die Straße hinunter.
Da sprang das Tier auf. Wie ein Wilder war es hinter
ihr her. Seine lange Mähne flog, seine Krallen schlugen in
die Luft, und aus seinem Rachen hing seine Zunge
heraus.
Jetzt hörte es schon den Atem der Frau. Die keuchte,
schrie und jagte davon, was sie konnte. So, noch ein, zwei
Sätze. Nun springt das Tier ihr auf den Hals mitten
hinauf.
Die Frau wälzt sich im Sand, das Tier schmeißt sie
herum. Hier ist die Kehle, da ist das beste Blut; man
trinkt immer aus der Kehle. Es haut seinen Rachen in
ihre Gurgel und saugt das Blut aus ihrem Leibe. Pfui
Teufel, ist das aber schön.
Das Tier läßt die Frau liegen und springt auf. Da oben
kommt noch einer. Ist der aber dumm. Der merkt ja gar
nicht, daß hier Hyänen sitzen. So ein Idiot, na.
Der alte Mann kam heran. Als er nahe war, sah er aus
seiner großen Brille die Frau, die im Sande lag mit ihren
verrutschten Röcken und ihren Knien, die sie im
Todeskampf auf den Leib gezogen hatte. Auch um ihren
Kopf war eine große Blutlache.
Er blieb neben der Frau stehen, starr vor Bestürzung.
Da teilten sich die hohen Kornblumen, und heraus kam
ein Mann, verwüstet und zerrissen. Sein Mund war ganz
voll Blut.
»Das ist sicher der Mörder«, dachte der alte Mann.
In seiner Angst wußte er nicht recht, was er machen
sollte. Sollte er fortlaufen oder sollte er stehenbleiben?
Am Ende wollte er es zuerst einmal mit
Freundlichkeit versuchen. Denn mit dem da war es doch
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