Etwas wie Aufregung erfasste Lu, denn einer der Herren war Nicholas Hammond.
Die Gelegenheit sich mit Mr Hammond zu unterhalten, ergab sich vor dem offiziellen Teil der Veranstaltung nicht, doch das störte Lu wenig. Was ihm gewaltig auf den Sack ging, war das elende Geschwafel der Redner, die einer nach dem anderen zu dem Podium gingen und immer wieder denselben Mist mit anderen Worten sagten.
Eine Hälfte versuchte auf das Mitgefühl und das Gewissen der reichen Geldsäcke einzuwirken – schlechte Strategie – während die andere Hälfte sich besser anstellte, denn sie hoben die gute Publicity und die steuerlichen Vorteile hervor, die mit einer großzügigen Spende einhergingen.
Ihnen war Lu fast schon wohlwollend gegenüber gestimmt, doch Dummschwätzer waren sie alle.
„Ich werde von Menschen heimgesucht“, flüsterte Lu in sein Glas, ehe er den teuren Scotch hinunterkippte.
„Nicht nur du“, seufzte Gul neben ihm. „Manchmal sind sie so lästig. Sie reden und reden und reden…“
„Ja“, pflichtete Lu ihm bei. „Darum schauen wir uns auch an, was sie tun, anstatt auf ihr ständiges Geschwätz zu hören.“
„Mr Hammond ist aus einem anderen Holz geschnitzt.“ Gul deutete mit einer kleinen Kopfbewegung zu dem Menschen, der mit ernster Miene weiter souverän seinen Vortrag hielt. Er sah so rechtschaffen aus, mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt seiner dunkelblonden Haare und dem schlichten Anzug.
Zum Glück war er der letzte Redner für diesen Abend.
Lu seufzte: „Natürlich, sonst säßen wir nun nicht so tief in der Scheiße.“
Nach einer gefühlten Ewigkeit – und das sollte etwas heißen, so alt wie Lu war – ertönte endlich der Abschlussapplaus und die Veranstaltung ging zum angenehmeren Teil über. Getränke wurden nachgeschenkt und die ersten Horsd'œuvre von den Kellnern herumgereicht.
Und endlich kam der Mann an den Tisch zurück, dessen Untergang Lu und jedes einzelne Höllengeschöpf herbeisehnte.
„Glückwunsch, Mr Hammond“, lobte Lu, prostete dem Mann zu und schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln. Gul fiel in sein Lob mit ein.
„Danke die Herren“, erwiderte Mr Hammond, ein echtes Lächeln in den braunen Augen. „Bitte entschuldigen Sie, ich habe ein grauenhaftes Namensgedächtnis. Sie sind Mr…?“
„Morningstar“, erwiderte Lu und nahm die angebotenen Hand von Mr Hammond, wenn auch widerwillig. Er hatte Lil nicht angelogen als er sagte, dass er fürchtete, in der Nähe dieses Mannes Ausschlag zu bekommen. Doch weder eine spontane allergische Reaktion noch Rauch stieg auf, als er die Hand des Mannes schüttelte.
„Eine Freude Sie kennenzulernen“, fügte er hinzu. „Darf ich Sie meinem Begleiter Mr Smith vorstellen?“
Gul schüttelte ebenfalls die Hand von Mr Hammond - und zog wie aus dem Nichts die Weinflasche hervor, die der erste Nagel zum Sarg von Nicholas Hammonds gutem Ruf werden sollte.
„Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein besonderes Präsent mitzubringen“, setzte Völlerei an. „Als Zeichen meiner Bewunderung für Ihre Arbeit. Ich bin mir sicher, dass auch dieser Abend wieder ein voller Erfolg werden wird und es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mit mir anstoßen würden.“
Gul spielte seine Rolle perfekt und Lu war tatsächlich stolz auf ihn. Denn das wahre Böse war, vor allen anderen Dingen, verführerisch.
Und das Lockmittel war perfekt, denn man konnte deutlich den Kampf in den Augen des Menschen sehen, die mit einer gewissen Begehrlichkeit auf dem Etikett lagen. Lu konnte nicht anders, als ein Quäntchen seiner Macht zu nutzen, um die moralische Waage von Mr Hammond zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen.
„Es wäre unhöflich, dazu Nein zu sagen“, antwortete er schließlich. Gul winkte sofort nach einem Kellner, um den teuren Tropfen dekantieren zu lassen.
Wie Blut floss der Wein in die bauchige Flasche und Gul wurde nicht müde, über die besondere Blume dieses Jahrgangs zu reden, wie meisterlich der Winzer sein Handwerk verstand und was für ein besonderer Genuss es war, etwas so Einzigartiges genießen zu dürfen.
Mit jedem einzelnen Wort zog Gul Mr Hammond weiter in seinen Bann, nährte in ihm das Verlangen nach dieser vermeintlich kleinen Sünde. Selbst Lu, der eher etwas für härtere Alkoholsorten übrig hatte, lief bei der Schwärmerei der Todsünde das Wasser im Mund zusammen.
Als Gul dem Menschen schließlich einschenkte und er an dem Glas roch, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Nun, in der Bibel heißt es ja schließlich ‚Der Wein erfreut des Menschen Herz‘.“
„Ein schönes Zitat“, sagte Lu und lächelte vor sich hin. „Sind Sie denn bibelsicher, Mr Hammond?“
„Nun, ich kenne sie zumindest so gut, wie jeder Christ sie kennen sollte.“
„Wussten Sie, dass in der Bibel Gott weit mehr Menschen tötet als der Teufel? Ganze fünfundzwanzig Millionen hat Er auf dem Gewissen, wohingegen der Teufel nur für sechzig Tode verantwortlich ist. Was meinen Sie, was das über die Güte des Herrn und die Boshaftigkeit des Teufels aussagt?“
Gul trat ihm unter dem Tisch ans Bein und er hätte ihn für diese Respektlosigkeit direkt in Flammen aufgehen lassen, doch er beherrschte sich. Dafür machte es ihm viel zu viel Spaß, die Schweißperlen zu beobachten, die bei seiner Frage auf der Stirn von Mr Hammond erschienen.
„Ach, tatsächlich?“
„Durchaus“, bestätigte Lu.
Nachdenklich betrachtete Mr Hammond ihn, seine Miene war nur schwer zu lesen. Doch er trank weiter von dem Wein, was Lu fast noch lieber war als der Denkanstoß, den er ihm eben gegeben hatte.
„Wissen Sie, Mr Morningstar“, sagte er schließlich nachdenklich. „Ich denke, der Teufel ist eine tragische Figur.“
Dieses Mal war es an Lu zu fragen: „Ach, tatsächlich?“
„Wie meinen Sie das, Mr Hammond?“, klinkte sich Gul ein, während er dem Menschen nachschenkte. Lu hätte schwören können, dass er ein hämisches Grinsen auf dem Gesicht der Todsünde sah, doch er hatte sich schnell wieder im Griff.
„Heißt es nicht immer, dass wir für die verdorbenen Seelen und die Sünder beten sollen?“, fragte Mr Hammond und musterte Lu eindringlich. „Aber wer betet für den Teufel? Wer in den letzten Jahrtausenden besitzt wirkliches Mitgefühl und betet für den einen Sünder, der es am nötigsten hat?“
„Oh, Mr Hammond“, schnurrte Lu und beugte sich ein Stück zu ihm vor, bis er das dezente Aftershave des Mannes riechen konnte. „Wer sagt, dass er das nötig hat?“
Fünf Tage nach der Spendengala war es an Lilith, die Todsünden zu begleiten.
Dieses Mal würde Bia die Hauptrolle spielen, während Gul gleichzeitig seinen Einfluss auf Nicholas Hammond weiter ausbauen wollte. Lil hingegen würde daran arbeiten, den Auftritt von Lux vorzubereiten. Wenn ihre Inkarnation von Jessy Bell den Leiter der Hilfsorganisation nicht heißes Begehren auslöste, dann wohl sonst nichts auf der Welt.
Aber dafür war es noch zu früh, ihre tugendhafte Zielperson noch zu rein. Aber bald würde sich das ändern. Lu hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er von dem Erfolg der ganzen Aktion überzeugt war. Nicht nur, weil er wie alle anderen auch nicht unter der Fuchtel des Himmels stehen wollte, sondern weil allein der Spaß an der Sache und natürlich der Wettbewerb unter den Todsünden ihre Chancen extrem gutaussehen ließ.
„Sie sind wie ein Rudel wilder Wölfe“, hatte Lu gesagt, als er nach der Spendengala zu ihr ins Bett gekrochen war. Heiße Haut, warmer Atem und ein so zufriedener Fürst der Unterwelt wie Lil ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte.
„Sie fangen schon jetzt an, sich um Hammond zu prügeln wie um einen fleischigen Knochen.“
„Wen willst du als nächstes schicken?“, hatte Lil gefragt, während sie sich bereitwillig an seine Brust geschmiegt hatte. Lu war gefährlich für sie, wenn er so guter Laune war. Noch mehr, als wenn sie sich erbittert stritten.
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