„Das ist jetzt aber Mobbing“, beschwerte er sich. „Ihr wisst genau, dass Faulheit ein Schlüssel zur Effizienz ist. Außerdem habe ich genauso wenig Bock darauf, mir von Michael sagen zu lassen, was ich tun soll wie ihr auch.“
„Unsere Mimose hat Recht“, schaltete sich Ira ein und warf Ace einen Luftkuss zu. „Die dort oben scheinen zu vergessen, dass unsere Eigenschaften nur im Übermaß etwas „Schlechtes“ sind.“ Sie hatte tatsächlich die Arme gehoben und Gänsefüßchen in die Luft gemalt. Seine Todsünden konnten manchmal so albern sein.
„Danke für diese Ausführung“, sagte Lu mit erhobener Augenbraue. „Aber können wir nur einmal beim Thema bleiben?“
„Was ist denn der Fleck?“, wollte Gul wissen.
„Schön, dass gerade du das fragst“, bemerkte Lu mit einem Grinsen. „Denn der Mann hat tatsächlich eine Schwäche für guten Wein.“
„Tatsächlich?“, fragte Völlerei und es trat ein aufgeregtes Leuchten in seine schwarzen Augen.
Ira hingegen war nicht so euphorisch, sondern fragte skeptisch: „Wirklich? Dass ist das einzige Laster, das er hat?“ Sie sah zu Lil und fügte hinzu: „Das ist dein Ernst?“
„Ich habe doch gesagt, dass er eine Stufe unter der Jungfrau Maria steht, was hast du erwartet? Wir können froh sein, dass er nicht Abstinenzler ist.“
Ein Raunen ging durch den Saal, begleitet von vorgetäuschten Würggeräuschen. Lu konnte die Todsünde des Zorns verstehen, denn ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn Nicholas Hammond einen Hang zum Geiz oder zu zwanghafter Masturbation gehabt hätte.
„Wir müssen nehmen, was wir bekommen“, sagte er über das Gemurmel hinweg. „Also, was tun wir um dieses wirklich lächerliche Laster zu unserem Vorteil zu nutzen?“
Sofort entbrannten mehrere Diskussionen am Tisch, die Todsünden spekulierten was die beste Vorgehensweise wäre und schmiedeten einen Plan nach dem anderen.
Lu lehnte sich in seinem Stuhl zurück, so zufrieden wie ein Fuchs, der gerade einen ganzen Hühnerstall aufgefressen hatte. Das Bild passte herrlich, denn wie Hühner wollte er die geflügelten Dreckssäcke aus der oberen Etage rupfen.
Nach einigen Minuten stand er auf und forderte: „Klappe zu!“ Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihm.
„Ich will, dass wir das in Phasen angehen. Eine Todsünde nach der anderen. Wir werden seine Seele Stück für Stück verderben um Erfolg zu haben. Den Anfang wird logischerweise Gul machen.“ Der Mann, der heute komplett in Versace gekleidet war, setzte sich sofort aufrechter hin.
„Wie wäre es, ihm ein Weinpräsent zu machen, dass er nicht ablehnen kann? Ich habe da einen ganz besonderen Palacios Priorat im Blick. Wenn er wirklich eine Schwäche für Wein hat, dann kann er zu dem nicht Nein sagen.“
„Gefällt mir“, erwiderte Lu. „Ich will, dass du dich als Investor ausgibst und den Wein auch mit ihm zusammen trinkst. Dein unmittelbarer Einfluss wird garantiert auf ihn abfärben und ihm die Mäßigkeit austreiben.“
„Ran wird ausrasten“, gluckste Bia zufrieden, während sie sich durch ihre goldenen Haare und die vielen Perlen darin strich, die dabei ein leises Klimpern von sich gaben.
Ein Lachen ging durch den Raum, niederträchtig und schadenfroh. Es wärmte Lu richtiggehend das Herz. Er grinste breit und sagte: „Okay Ladies, dann mal Titten hoch und los!“
„Jetzt entspann dich“, sagte Lu zu Gul und musterte die Todsünde mit hochgezogener Augenbraue. „Sonst gewinne ich noch den Eindruck, dass das dein erstes Mal ist, dass du einen Menschen verführen willst.“
„Red keinen Unsinn“, schnaubte Völlerei. „Aber bisher ging es nie um so viel.“
Lu seufzte, denn Gul hatte Recht. Er stellte sich vor den Mann und richtete seine Fliege. Nicht weil sie schief saß – Gul war wie immer in makellosem Armani gekleidet – sondern eher, um ihm ein wenig Zuwendung zuteil werden zu lassen.
Manchmal benahmen sich seine Sieben wie Kinder, obwohl sie fast so alt waren wie er selbst. Demnach war keine der Todsünden wirklich kindlich. Aber gelegentlich wandten sie sich an ihn wie zu einer Art Vater. Ihre Beziehung zueinander war kompliziert, geformt durch so viele Zeitalter und Epochen, dass Lu manchmal Kopfschmerzen davon bekam, wenn er darüber nachdachte.
Lu legte die Hände auf Guls Schultern und sagte: „Wer es schafft, selbst während Hungersnöten seinen Einfluss auf die Menschen geltend zu machen, der schafft es auch diesen Spießer zum Trinken zu überreden.“
„Ja, nicht wahr?“, fragte Gul und grinste vor sich hin.
„Ganz genau. Und jetzt los, ich werde nicht jünger.“
Ein Lachen von der Todsünde neben ihm, ehe sie sich in Bewegung setzten. Sie hatten sich in einer uneinsehbaren Nische des Luxushotels materialisiert, in dem an diesem Abend eine Spendengala für die Initiative stattfinden sollte. Nicholas Hammond war natürlich anwesend, ebenso wie zweihundert erlesene, stinkreiche Gäste. Lu rechnete fest damit, dass hier einige Kandidaten für sein Reich herumliefen und es sollte ihn der Schlag treffen, wenn er ihre Seelen verlieren würde.
Obwohl sie keine Einladung hatten, passierten sie den Empfangstresen und die anschließenden Sicherheitsleute ohne Probleme. Es war lächerlich wenig Magie nötig gewesen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass sie hierhergehörten.
Lu seufzte, als sie endlich in den Saal gelangt waren, und richtete sein schwarzes Jackett. „Wäre ich kleinlicher, dann hätte ich Geld verlangen müssen für die Grabscherei, die der Sicherheitsmann da eben abgezogen hat.“
Gul lachte neben ihm, ein durchtriebenes Funkeln in den schwarzen Augen.
„Du siehst aber auch zum Anbeißen aus“, schnurrte er und musterte Lu von oben bis unten, als wolle er ihn ausziehen. „Ich wusste nicht, dass du so etwas neben deinen zerrissenen Jeans und den T-Shirts im Schrank versteckst.“
„Beklagst du dich gerade über meinen Kleidungsstil?“
„Niemals, mein Fürst.“ Dieses Mal war es Gul, der sich an Lus Kragen zu schaffen machte. Er hatte im Gegensatz zu Völlerei auf eine Fliege verzichtet, trug zu dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug nur ein schwarzes Hemd, ganz ohne zusätzlichen Schmuck am Hals. Eben bei diesem Hemd öffnete Gul die obersten zwei Knöpfe.
„So ist es besser“, verkündete er zufrieden. „Niemand kauft dir den zugeknöpften Milliardär ab.“
„Du und Bia, ihr seid euch manchmal so ähnlich.“
Daraufhin zuckte Gul nur mit den Schultern und ließ die Hände sinken, ehe er sich umsah. Lu tat es ihm gleich und fragte: „Wie willst du es anstellen?“
„Ich?“
„Ja, natürlich du. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nur als Zaungast hier bin. Ich werde mich hüten, mich in deine Angelegenheiten einzumischen.“
„Ein feiner Fürst bist du“, murrte Gul und schüttelte den Kopf. „Na schön. Setzen wir uns und dann sehen wir weiter.“
Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die locker verteilten Tische. An jedem einzelnen war für zehn Personen eingedeckt worden, kleine Karten waren auf den Platzsets verteilt und der Tischschmuck war schlicht, aber stilvoll. Dieses Thema zog sich durch den ganzen Saal des Hotels, bis vor zu dem kleinen Podium. Es war bereits die Hälfte der Gesellschaft anwesend, so dass das Gemurmel ihrer Gespräche zu einem monotonen Hintergrundgeräusch verschmolz.
Mehr als ein Augenpaar folgte den beiden Männern bei ihrem Weg, zu Lus Freude und Erleichterung waren es durchweg menschliche. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn zumindest eine Tugend oder gar ein verschissener Erzengel hier herumlungern würde.
Wie selbstverständlich gingen Gul und er zu einem der vordersten Tische. Vier der anderen Tischgäste waren bereits anwesend: Zwei Frauen in hochgeschlossenen, traurig-unförmigen Etuikleidern und zwei Männer in schlichten Smokings.
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