„Was ist mit den Flecken auf der Seele von Nicholas Hammond?“, wollte er zum Schluss ihres Berichts wissen.
„Ich konnte noch keine finden.“
„Verarschst du mich?“, platzte es aus Lu heraus, so dass sich einige der anderen Bargäste zu ihnen umdrehten. Sie wandten sich jedoch schnell wieder ab, als würden sie unterbewusst spüren, wer hier unter ihnen saß und dass sie besser nicht seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollten.
Lil sah genauso unglücklich aus, wie Lu sich fühlte.
„Das heißt nicht, dass er keine hat“, sagte Lil. „Ich werde sie finden, das garantiere ich dir.“
„Das heißt, du gehst morgen wieder hin?“
„Ja – auch wenn ich mich lieber von einem Schwarm Kolibris zu Tode picken lassen würde.“
Lu lachte. „Das steht leider nicht zur Auswahl.“
„Das sollte es aber“, seufzte Lil. Sie trank ein wenig und lehnte sich wieder an seine Schulter. „Die sind da alle so nett. “
„Du kannst auch nett sein.“
„Das ist aber jedes Mal verdammt anstrengend. Niemand flucht, niemand macht schmutzige Witze, keiner lästert. Stattdessen lächeln alle und sind immer freundlich.“
Unwillkürlich zog Lu die Mundwinkel nach unten, während er seinen Kopf drehte, um Lil anzusehen. „Sind dir auch wirklich keine Tugenden begegnet? Das hört sich ganz so an, als würden sie da wohnen.“
„Zum Glück nicht. Ich hoffe, dass sie da morgen auch nicht auftauchen.“
Lu lächelte, warf einige Geldscheine auf den Tresen und legte einen Arm um sie. „Du schaffst das. Und jetzt schwing deinen sexy Hintern von diesem Barhocker, damit wir nach Hause gehen können und du wieder dein eigenes Gesicht zeigen kannst.“
Er hörte Lil leise lachen, während sie seiner Aufforderung nachkam.
Der Abend des folgenden Tages war bereits fortgeschritten, als sich die Türen zu Lus Wohnräumen endlich öffneten.
Er hob den Kopf von seiner Lektüre und beobachtete, wie Lil hereinkam. Mit jedem Schritt, den sie weiter in den Raum hineinmachte, legte sie mehr von der Maske ab und wurde wieder zu sich selbst. Als sie bei ihm angekommen war, ließ sie sich mit einem tiefen Seufzen auf das Sofa fallen.
„Oh, du lebst noch“, sagte er süffisant, was ihm einen vernichtenden Blick aus blauen Augen einbrachte.
„Hör auf das so enttäuscht zu sagen, ich könnte anfangen zu glauben, dass du mich nicht magst.“
„Ich bete dich an“, erwiderte Lu mit einem langsamen Lächeln. Er legte sein Buch zur Seite und zog Lil auf seinen Schoß. Die Königin der Dämonen schmiegte sich an ihn und platzierte einen Kuss auf seinem Hals. Lu hätte es niemals zugegeben, doch er war leicht nervös gewesen, weil Lil so lange gebraucht hatte.
„Wie ist es gelaufen?“
„Du schuldest mir ein verdammt teures Abendessen“, brummte sie statt einer Antwort.
„Süße, wir werden aus unserem Reich rausgeschmissen. Das zu verhindern dürfte doch wohl Lohn genug sein.“
Ein Schwall an Flüchen, die sie gegen seine Schulter zischte, ließ ihn lachen.
„Na schön“, lenkte Lu ein. „Wenn ich ja sage, erzählst du mir dann endlich, was du so lange dort oben gemacht hast?“
„Gearbeitet“, sagte Lil und seufzte nochmals. „Und das schwer, denn sonst hätte ich nicht genügend Zeit mit Nicholas verbringen können.“
„Nicholas“, schnurrte Lu und merkte, wie sich die Schwärze in ihm regte. „Wie schön, dass ihr euch beim Vornamen nennt.“
Lil hob den Kopf und schlug ihm gleichzeitig gegen die Brust. „Jetzt führ dich doch einmal nicht wie ein eifersüchtiges Arschloch auf. Du warst es doch, der gesagt hat, ich soll mich an ihn dranhängen.“
Lu beschloss, nicht auf die Triade seiner Königin einzugehen. Vielleicht, weil sie Recht hatte und das zuzugeben im Augenblick nicht im Bereich seiner Macht lag. Verdammt.
Stattdessen fragte er: „Haben sie gemerkt, dass du eine schwarze Seele hast?“
„Ich war sehr höflich, verflucht nochmal!“ Sie schüttelte sich und fuhr fort: „Genau deswegen fühlte ich mich wie auf die Folterbank gespannt. Ich schwöre beim Höllenfeuer, dass ich so höflich war wie noch kein Dämon vor oder nach mir je sein wird. Man sollte mir ein verdammtes Denkmal setzen.“
„Ein Abendessen und ein Denkmal? Ich glaube, du verbringst zu viel Zeit mit Ava, sie färbt auf dich ab.“
„Sei froh, dass ich so gierig bin, denn Ran hat in dem Gebäude überall seine Mäßigkeit versprüht.“
Lu merkte auf. „Ist dir eine der Tugenden über den Weg gelaufen?“, fragte er und konnte nicht verhindern, dass sich seine Mundwinkel bei dem Gedanken wieder nach unten zogen. Er hasste diese sieben Arschkriecher fast so sehr wie das geflügelte Pack.
„Ja, Pat“, sagte Lil.
„Was wollte Geduld denn dort?“
„Dafür sorgen, dass niemand das Handtuch wirft. Ich dachte anfangs ja, dass diese Organisation allein von Cari, Mani und Ria betrieben wird. Aber das war ein Irrtum, denn neben Mildtätigkeit, Wohlwollen und Fleiß waren auch die anderen vier Tugenden nötig gewesen, um diese Initiative so erfolgreich werden zu lassen.“
Lu ging ein Licht auf und er fragte: „Du meinst, wäre Lita nicht da gewesen, dann wären sie statt Demut für ihren Erfolg zu empfinden dem Stolz verfallen?“
„Ganz genau. Sie haben scheinbar aus ihren früheren Fehlern gelernt.“
„Scheiße.“
„Schöner hätte ich es nicht ausdrücken können.“
„Hat Pat dich erkannt?“, fragte er. Er wusste nicht genau, ob ihm das gefallen würde oder nicht. Lu wollte zwar, dass der Himmel mitbekam, dass sie ihren Joker gefunden hatten, aber noch war der Plan zu unausgereift.
Und so war er sehr froh, als Lil seine Frage verneinte. „Zum Glück nicht. Ich habe mich vor ihm in die Damentoilette geflüchtet, als er durch die Flure gegangen ist.“
„Du bist einmalig“, lachte Lu und gab ihr einen schnellen Kuss. Seine Heiterkeit verflog jedoch, als er die eine Frage stellte, die sprichwörtlich über das Schicksal seiner Welt entscheiden würde: „Was ist mit Hammond? Hast du den Fleck auf seiner Seele finden können?“
Ein träges, sinnliches Lächeln von der Königin der Dämonen, das ein dunkles Feuer in ihre blauen Katzenaugen treten ließ.
„Ruft Eure Gefolgschaft zusammen, Fürst der Unterwelt. Es gibt Arbeit für uns.“
„Wir sollten diesen Tag rot im Kalender anstreichen“, verkündete Lu, als Ace als erster den Sitzungssaal betrat.
Der Mann, der wie so oft aussah, als hätte er stundenlang an irgendeinem Strand in der Sonne gelegen, zeigte ihm den Finger. Was er sich auch nur deswegen traute, weil Lu gute Laune hatte. Man könnte sagen, teuflisch gute Laune.
Kaum hatte sich Faulheit gesetzt, kamen schon die anderen Todsünden in den Saal, um ihre Plätze einzunehmen. Das Schlusslicht bildeten Lux und Bia, die wahrscheinlich wieder mal etwas am Laufen hatten, so wie sie aneinanderhingen. Lu konnte nur hoffen, dass sie sich dieses Mal trennten, ohne einen der Höllenkreise in Schutt und Asche zu zerlegen.
„Schön“, sagte Lu und die Gespräche am Tisch verstummten sofort. „Da wir nun vollzählig sind, kommen wir gleich zur Sache.“ Er legte eine Pause ein und ließ mit einem Schnippen ein Bild von Nicholas Hammond auf der Leinwand erscheinen. „Lil hat herausfinden können, wo ein schwarzer Fleck auf der Seele dieses Menschen klebt und was genau dieser Fleck ist, so dass wir damit anfangen können, ihm die Reinheit auszutreiben.“
„Was die Tugendhaftigkeit dieses Mannes betrifft, rangiert er eine Stufe unter der Jungfrau Maria“, sagte Lil. „Es wird also ein hartes Stück Arbeit.“ Sie sah dabei vor allem Ace an, der mit den Augen rollte.
Читать дальше